Geschichte des Antisemitismus: Von der Antike bis zur Documenta

Der Historiker Sebastian Voigt legt mit „Der Judenhass“ ein gerade jetzt wichtiges Buch vor. Es zeigt die Tradition antisemitischer Judenbilder auf.

Auf einer Zeichnung sind verschiedene Männer zu sehen. Zwei davon tragen schwere Säcke, ein anderer trägt einen Bauchladen vor dich her. Das Bild hat den Titel: Hausierer und Agenten.

Nazi-Propaganda: Aus der Ausstellung ‚Der ewige Jude‘ im Berliner Reichstagsgebäude im November 1938 Foto: Paul Mai/ ullstein

Der 7. Oktober 2023 stellt eine Zäsur in der Geschichte Israels dar. An diesem Tag starben mehr Jüdinnen und Juden als an jedem andern Tag seit der Shoah. Paradoxerweise befeuert das Massaker erneut den Judenhass, dessen Ende einmal mehr nicht absehbar ist.

Bereits vor der militärischen Reaktion Israels wurde weltweit der Terror der Hamas als „Dschihad“ und „antikolonialer Widerstand“ begrüßt. Diese Allianz aus Islamismus und postkolonialem Jargon muss aufhorchen lassen, da die verbindende Klammer einmal eine offene, ein anderes Mal eine klammheimliche Freude über die Morde an Jüdinnen und Juden bildet.

In diesem Kontext erscheint das Buch „Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?“ des Historikers Sebastian Voigt. Sein Unternehmen, die Geschichte des Judenhasses von der Antike bis zur documenta fifteen nachzuzeichnen, ist von erschreckender Aktualität.

Der Autor weiß das und fügt dem bereits fertiggestellten Buch ein bestürztes, wenn auch nicht verwundertes Nachwort bei, das den 7. Oktober und dessen Folgen thematisiert. So zieht sich die in den Reaktionen auf das Massaker auftretende Täter-Opfer-Umkehr und die Tatsache, dass sich der Hass auf Juden von keiner Erfahrung korrigieren lässt, wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Sebastian Voigt: „Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?“. Hitzel Verlag, Stuttgart 2023, 232 Seiten, 25 Euro

Auch wenn der Schwerpunkt des Buches auf dem modernen Antisemitismus in der deutschsprachigen Welt liegt, beansprucht Voigt, über die Entwicklungen ab dem 19. Jahrhundert hinaus eine durchaus umfassende Geschichte des Judenhasses zu schreiben. Wird dieser doch bereits im 5. Jahrhundert v. u. Z. im Buch Ester erstmalig erwähnt. Hier setzt das Buch an und eilt rasant auf gerade einmal zehn Seiten in die Neuzeit.

Dieser Zeitspanne ungeachtet gelingt es Voigt, auf wenigen Seiten die Entstehung antijudaistischer Stereotype wie den Vorwurf des Gottesmordes, der Hostienschändung oder der mittelalterlichen Brunnenvergiftung plausibel zu erklären und zu verdeutlichen, wie diese als verschwörungsideologische Strukturelemente des modernen Antisemitismus fortleben.

Als minderwertig und überlegen zugleich imaginiert

Gleichwohl schreibt Voigt keine Kontinuitätsgeschichte des Antisemitismus, wie etwa der Judaist Peter Schäfer in seiner „Kurzen Geschichte des Antisemitismus“ aus dem Jahr 2020 oder die Auseinandersetzung Tilman Tarachs mit den christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus aus dem Jahr 2022.

Das Buch hebt dagegen ideologiekritisch die widersprüchliche Spezifik des modernen Antisemitismus hervor, der die Juden als minderwertig und überlegen zugleich imaginiert. Nur Juden wurden und werden als Imperialisten und Kommunisten in einer Figur wahrgenommen, wie das zentrale Kapitel zum Nationalsozialismus zeigt.

Gerade hierin liegt eine Stärke des Buchs. Voigt legt präzise dar, dass der moderne Antisemitismus gerade wegen seiner flexiblen Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche Umstände bis heute Bestand hat. Pointiert werden ideologische Verbindungen etwa des antiimperialistischen Weltbildes eines linken Antizionismus der 1970er Jahre mit dem von Rechtsterroristen aus den 1980er Jahren nachgezeichnet – Voigt erwähnt auch einen holocaustrelativierenden Artikel der taz aus jener Zeit.

Nach der Lektüre des Buches sollte es nicht mehr verwundern, warum sich etwa Mitglieder der RAF und Neonazis der Wehrsportgruppe Hoffmann in denselben Trainingslagern der PLO ausbilden ließen, warum der FDP-Politiker Jürgen Möllemann Verständnis für islamistische Selbstmordattentate äußerte oder warum so viele Nachrufe auf den kürzlich verstorbenen Martin Walser so wenig von dessen antisemitischer Schuldabwehr wissen wollten.

Gerade jetzt, wo Rufe nach Kontextualisierung des 7. Oktobers laut werden, die erstaunlich oft vergessen, jüdische Opfer zu erwähnen, ist das für eine breite Le­se­r:in­nen­schaft bestimmte Buch von Voigt wichtig. Der Autor beharrt darauf, dass die Menschen der Geschichte nicht einfach hilflos ausgeliefert sind, auch wenn sie sich niemals vollständig von ihr lösen können. Das Buch zeigt die lange Tradition antisemitischer Judenbilder auf und weist dennoch zu Recht darauf hin, dass ein Ende der Geschichte des Judenhasses möglich ist. Gegenwärtig befinden wir uns indes noch mitten darin.

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