Gender und die Kunst der Vormoderne: Ob der Bart wohl männlich ist

Eine Schau im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel befragt Alte Meister nach ihrer Darstellung von Geschlechtlichkeit. Die kann überraschend fluide sein.

Bronze von einer Liegenden Hermaphrodit, man lediglich den Rücken und kann das Geschlecht nicht erkennen

Giacomo Zoffoli, Liegender Hermaphrodit, 1740-1760, Hessen Kassel Heritage Foto: Mirja van Ijken

Nicht nur in den letzten Jahren setzt man sich mit Queerness und diversen Geschlechter­iden­ti­täten auseinander, aber vielleicht entwickelt man erst jetzt eine Sprache dafür. Dass es in der Vergangenheit bereits Versuche gegeben hat, das Geschlecht auch jenseits der Binarität von Mann und Frau zu diskutieren, veranschaulicht ein Gemälde von ca. 1704, das „Bildnis der Elisabetha Knechtlin mit Vollbart“.

Zu sehen ist darauf eine Bauerstochter aus der Schweiz, eng geschnürtes Korsett, weite Blusenärmel – und langer Bart. Das etwas düstere Porträt von unbekannter Au­to­r:in­nen­schaft bot schon im 19. Jahrhundert in Vorlesungen der Universität in Göttingen Anlass, darüber zu debattieren, ob ein Bart denn überhaupt ein männliches Attribut sei.

Die bärtige Bauerstochter hängt derzeit an einer rosa gestrichenen Wand im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. Für die Ausstellung „Alte Meister ­que(e)r gelesen“ sind hier Werke der Vormoderne aus der Sammlung der Hessen Kassel Heritage zusammengebracht. Gemälde, Skulpturen und Keramiken aus der Zeit der Antike bis ca. 1800 werden in dieser Schau nun danach befragt, wie sich Geschlechtlichkeit in der Kunst der Vergangenheit ausdrückte, wie fluide sie vielleicht auch da schon sein konnte.

Die farbenreiche Ausstellungsgestaltung holt die historischen Exponate in die Gegenwart: Da sind die Werke der Alten Meister wie der Holzschnitt „Das Männerbad“ von Albrecht Dürer, die Schnitzfigur des „Heiligen Sebastian in der Marter“, kopiert nach Georg Petel, oder die Grafitzeichnungen antiker Krieger von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Eingebettet sind sie alle in die satten Farben und die geometrischen Formen des Ausstellungsdesigns. Der Raum ist derart bunt, er erinnert an die Regenbogenfahne, das Symbol für LGBTQIA+.

Die Geschichte der Binarität beginnt im Buch Genesis
Altes Bildnis einer Bauerstochter mit lagem Bart

„Bildnis Elisabetha Knechtlin mit Vollbart“, um 1704, Künstler unbekannt, Hessen Kassel Heritage Foto: Katrin Venhorst

Geschlechtliche Binarität beginnt in dieser Schau mit der Abbildung von Adam und Eva. Ein Kupferstich Albrecht Dürers von 1504 mit ebendiesem biblischen Motiv bildet den Auftakt, von den Aus­stel­lungs­ma­che­r:in­nen versehen mit der Frage „Ist es so einfach wie hier dargestellt?“. Dürers patriarchale Darstellung der Eva, ihre gesenkte Körperhaltung und Zurückhaltung gegenüber dem raumgreifenden Adam, sie zieht sich durch viele der gezeigten Werke.

Die zeitliche Dimension einer Reproduktion von Stereotypen wird hier sichtbar: Ein Symbol für weibliche Rollenzuschreibungen ist etwa die Webspindel, wie sie auf einer griechisch-antiken Keramik aus der Zeit um 450 v. Chr. zu sehen ist, sie soll die weibliche Verpflichtung zur Herstellung von Textilien versinnbildlichen.

Später, um 1850, verdeutlicht der Gestalter und Maler Carl Heinrich Arnold mit seiner gehässigen Karikatur „Bundestagssekretär Günther im Ballettkleid auf Zehenspitzen“, dass die Überschreitung fester geschlechtlicher Rollen auf Bildern auch diffamierend eingesetzt werden konnte. Arnold verhöhnt den Bundestagssekretär durch das Kleid und die Perücke, die er auf der Karikatur trägt.

Ganz anders die menschengroße Holzfigur einer Minerva. Der römisch-antiken Göttin der taktischen Kriegsführung gab um 1728 ein:e un­be­kann­te:r Künst­le­r:in nicht etwa Schild und Speer, sondern eine Pistole in die Hand. Ursprünglich konnte diese Figur über einen Weckermechanismus sogar die Waffe auslösen. Dieser Minerva-Automat erregt Aufsehen. Die selbstbewusste und stolze Körperhaltung, die offene Armhaltung und der zielgerichteten Blick der Frauenfigur brechen mit der auf anderen Exponaten dargestellten Passivität des weiblichen Geschlechts. Die Minerva steht passend in der Mitte des Ausstellungsraums.

Die Schuhe der hessischen Prinzessin und des Prinzen

Rollenzuschreibungen wurden auch durch Äußerlichkeiten wie Kleidung und Farbcodierungen statuiert: Porträtmaler Johann Heinrich Tischbein lässt um 1785 Prinz Ernst-Victor von Hessen-Rheinfels-Rotenburg blaue Schuhe tragen, 1802 kleidet er die hessische Prinzessin in rosafarbene.

„Alte Meister que(e)r gelesen“: Schloss Wilhelmshöhe, Hessen Kassel Heritage, bis 24. März 2024

Diese Farbzuordnung ist bekanntlich bis heute gültig: Bei sogenannten Gender Reveal Partys, die als Videos im Internet herumwabern und tausendfach geschaut werden, erfahren werdende Eltern durch ein organisiertes Feuerwerk oder platzende Ballons in Blau oder Rosa das Geschlecht ihres Ungeborenen.

Ausstellungen wie „Alte Meister que(e)r gelesen“ regen die Auseinandersetzung mit Binarität und Diversität, mit Queerness an. Zunächst mittels der Bilder. Damit man auch unkompliziert über Geschlecht und seine Flui­dität sprechen kann, bräuchte die Schau dann noch zugängliche Erklärtexte und damit eine Sprache, die aus ihren akademischen Angeln gehoben worden ist.

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