Geheimes Gutachten zur Köhlbrandbrücke: Hoffnung für Hamburger Wahrzeichen

Die Köhlbrandbrücke sollte abgerissen werden. Nun wird diskutiert, ob sie doch erhalten werden kann. Zehn Fragen und Antworten.

Köhlbrandbrücke im Abendlicht

Elegant sieht sie aus, die Köhlbrandbrücke im Abendlicht. Aber wie lange noch? Foto: Christian Charisius/dpa

Warum redet ganz Hamburg plötzlich über die Köhlbrandbrücke?

Die Köhlbrandbrücke ist eines der Hamburger Wahrzeichen. Wer hier rüberfährt, hat einen fantastischen Blick über die Stadt und den Hafen. Bis vor Kurzem schien festzustehen, dass das elegant geschwungene Bauwerk abgerissen werden soll. Ob das so sein muss, steht jetzt infrage. Denn Die Zeit hat ein 15 Jahre altes Gutachten öffentlich gemacht, von dem zwar immer wieder die Rede war, das aber bisher weder Bürgerschaftsabgeordnete noch Medienleute einsehen konnten.

Was steht in dem Gutachten?

Experten der Technischen Universität Hamburg (damals noch TU Hamburg) ermittelten, dass die Brücke mit einem jährlichen Aufwand von 1,5 Millionen Euro pro Jahr bis 2030 befahren werden könnte. Um sie danach weitere Jahrzehnte erhalten zu können, müssten die Spannbetonrampen, die zum Mittelteil der Brücke hinaufführen, komplett ersetzt werden. Nach damaliger Schätzung hätte das mindestens 90 Millionen Euro gekostet. Der Betrag wäre angesichts der stark gestiegenen Baukosten zwar heute viel höher. Er wäre aber sicher gering im Vergleich zu den Kosten von 5,3 Milliarden Euro, die die Hamburg Port Authority (HPA) für einen Tunnel als Ersatzbau errechnet hat.

Wer will die Brücke abreißen und warum?

Die Hafenwirtschaft und die Mehrheit der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien – SPD, CDU, AfD, FDP – glauben, dass der Hafen als Logistikdrehscheibe auf absehbare Zeit das Herz Hamburgs bleiben wird. Deshalb müsse die wichtigste Querverbindung zwischen dem östlichen und westlichen Teil des Hafens erneuert werden. Die Wirtschaftsbehörde argumentiert, die Erbauer hätten nicht voraussehen können, wie stark der künftige Verkehr die Brücke belasten würde. Heute fahren werktags 40.000 Fahrzeuge darüber, ein Drittel davon Lastwagen, die eine Straße um ein Vielfaches mehr verschleißen als Pkws. Berechnet wurde sie für 31.000 Fahrzeuge täglich. Wegen der Belastung müssen die Laster Abstand halten und dürfen nicht überholen. Zudem sei die Brücke mit 53 Meter nicht mehr hoch genug für die heutigen Schiffe.

Müssen die Riesenschiffe unbedingt unter der Brücke durch?

Hinter der Brücke liegt Hamburgs modernster Containerterminal Altenwerder. Hier wird aber nur deutlich weniger als ein Drittel aller Container umgeschlagen. Die anderen Terminals sind ohne Höheneinschränkungen anzulaufen.

Wie hat der Senat die Öffentlichkeit informiert?

Über das Gutachten hat kurz nach seiner Fertigstellung 2008 die Bild berichtet. In den beiden Artikeln ist von den Schäden an den Auffahrten die Rede und auch von den 90 Millionen Euro für eine Sanierung. Der Bürgerschaft gegenüber hat der Senat immer wieder unter Verweis auf das Gutachten mitgeteilt, dass ab 2030 der Unterhaltungsaufwand so hoch würde, dass ein Neubau fällig wäre. Publik gemacht hat er es bis heute nicht unter Verweis darauf, dass es ja vor dem Inkrafttreten des hamburgischen Transparenzgesetzes erstellt worden sei. Dass die 90 Millionen für eine Sanierung viel billiger wären als ein Neubau, ist der Zeit aufgefallen, als die exorbitante Summe von 5,3 Milliarden Euro für einen Tunnel bekannt wurde.

Ist das Gutachten veraltet?

Die Berechnungen sind Experten zufolge seriös und nach wie vor gültig, nur sind wir heute im Prognosezeitraum eben 15 Jahre weiter. Der CDU hat der Senat kürzlich mitgeteilt, als Folge der Grundinstandsetzung der Brücke bis 2016 und der laufenden Bauwerksprüfungen lägen heute „deutlich präzisere und aktuellere Ergebnisse über den Bauwerkszustand vor“. Das gilt insbesondere für den zwischen den Pylonen hängenden stählernen Mittelteil, der damals als unproblematisch gesehen wurde. Heute bekommt er von der HPA die Note Fünf. Auch diese neueren Untersuchungen will der Senat bisher nicht publik machen.

Welche Alternativen zur heutigen Brücke prüft der Senat?

Bisher hat die HPA einen gebohrten Tunnel favorisiert. Die Vorplanung hat nun ergeben, dass der Tunnel aufgrund des stellenweise ungeeigneten Baugrundes 5,40 Meter tiefer liegen müsste als erwartet und 165 Meter länger werden müsste. Das macht ihn sehr teuer. Das Problem bei einer neuen Brücke ist die erwünschte Höhe von mehr als 73 Metern. Die Rampen, um dort hinauf zu gelangen, brauchen sehr viel Platz.

Der Senat plant drei Kilometer südlich eine Ost-West-Autobahn. Könnten die Lastwagen nicht dorthin ausweichen?

Für diese Autobahn läuft gerade das Planfeststellungsverfahren. Der Senat argumentiert, aufgrund ihrer Lage im Verkehrsnetz würden sich Autobahn und Köhlbrandquerung ergänzen, nicht ersetzen. Sie dienten sich gegenseitig als Ausweichroute. Die Autobahn entlaste zudem den Stadtteil Wilhelmsburg. Die Umweltverbände halten eine neue Autobahn durch die Stadt für unzeitgemäß, ebenso Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). Die Linke beschied schon vor zwei Jahren, mit der alten, aber verstärkten Köhlbrandbrücke könne sie „gut leben“.

Spielt der Denkmalschutz eine Rolle?

Natürlich nicht. Zwar müsste er, denn die Köhlbrandbrücke ist ein eingetragenes Denkmal, Listennummer 28577. Und der Senat wäre laut Hamburgischem Denkmalschutzgesetz dazu verpflichtet, „durch vorbildliche Unterhaltungsmaßnahmen an Denkmälern für den Wert des kulturellen Erbes in der Öffentlichkeit“ einzutreten. Aber darauf wird im Hafen seit jeher gepflegt geschissen: Bis 2013 konnte die Hafenverwaltung per Vetorecht die Unterschutzstellung von Anlagen verhindern. Jetzt stehen sie zwar in der Denkmalliste. Aber über Löschung entscheidet der Senat allein.

Was tut der Kultursenator?

Er bewahrt Statuen reaktionärer Personen wie den kapitalen Bismarck an den Landungsbrücken unter Berufung auf den Denkmalschutz vor Veränderungen: Es ist beschämend, aber nicht erstaunlich, dass sich Carsten Brosda (SPD) als Fachsenator zum Propagandisten dieses Missverhältnisses macht: Erst profiliert er sich als Erhalter des Bismarck-Denkmals, das einen feudalen imperialistischen deutschen Staat preußischer Prägung repräsentiert. Jetzt karikiert er im NDR dumm-polemisch den Widerstand gegen den Abriss des stadtbildprägendsten Bauwerks der demokratischen Hälfte des 20. Jahrhunderts als Verlangen nach Schönheit. Wenn sie ihren Zweck nicht mehr erfülle, reiche das nicht aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.