Finale der Vierschanzentournee: Der beste Zweite

Andreas Wellinger beendet die Vierschanzentournee auf dem zweiten Rang hinter Ryoyu Kobayashi. Der ist längst Stammplatz der deutschen Springer.

Andreas Wellinger fliegt in diochtem Schneegestäber durch die Luft

Andreas Wellinger im Schnee­gestöber über Bischofshofen Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

BISCHOFSHOFEN taz | Sven Hannawald stand mit seinem Handy im Flockenwirbel von Bischofs­hofen und knipste ein Selfie mit der Siegerehrung im Hintergrund. Ganz oben auf dem Podest: der Japaner Ryoyu Kobayashi. Links neben ihm Andreas Wellinger mit einem gequälten Lächeln. Zum fünften Mal seit 2016 beendete ein deutschen Skispringer die Vierschanzentournee als Gesamt-Zweiter. Damit konnten die Vize-Flieger auch 22 Jahre nach dem letzten deutschen Gesamtsieg von Hannawald den Tournee-Fluch nicht brechen.

„Es ist wie verhext. Trotzdem bleibt diesmal ein gutes Gefühl – denn Andreas Wellinger hat Momente für die Ewigkeit kreiert. Die Einschaltquoten im TV waren super, die beiden Tourneespringen in Deutschland ausverkauft, bei seinem Sieg in Oberstdorf haben 25.000 Zuschauer die deutsche Nationalhymne mitgesungen“, kommentierte die Skisprung-Legende Hannawald: „Die Nation stand hinter Andi Wellinger, er hat eine neue Skisprung-Begeisterung ausgelöst. Das war der beste zweite Platz ever.“

Das konnte aber weder Andi Wellinger noch den Rest des deutschen Flieger-Team so richtig trösten. „Olympia-Gold, WM-Titel: Wir haben in den letzten zehn Jahren alles gewonnen, was man gewinnen kann. Natürlich haben wir davon geträumt, endlich mal wieder bei der Tournee ganz oben zu stehen Jetzt müssen wir noch mal ein Jahr kämpfen, weil wieder jemand um die Ecke kam, der besser war. Das ist mühsam“, meinte Sportdirektor Horst Hüttel.

Nach seinem phänomenalen Auftakt-Sieg in Oberstdorf und Platz drei in Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen habe Halbzeit-Spitzenreiter Wellinger etwas die „Lockerheit und den Fluss“ verloren. Zwei fünfte Plätze in Innsbruck und beim Finale in Bischofshofen reichten nicht aus, um den bei der Tournee mit vier zweiten Plätzen ungemein stabilen Kobayashi zu stoppen. Der Japaner gewann den Skisprung-Grand-Slam als erster Flieger seit 25 Jahren ohne einen einzigen Tagessieg.

Gute Show

Wellinger bot laut Bundestrainer Stefan Horngacher zwar eine „Wahnsinns-Show, auf die er verdammt stolz sein kann“. Aber in der Ergebnisliste des weltweit wichtigsten jährlichen Skisprung-Events stand wieder ein anderer ganz oben. Was haben die deutschen Flieger in der Vergangenheit nicht schon alles versucht, um diesen Tournee-Fluch zu brechen. Der ehemalige Bundestrainer Werner Schuster ließ sein Team einmal im Sommer die kompletten zehn Tage in den vier Tournee-Orten imitieren. Diesmal gab es beim Auftakt in Oberstdorf erstmals ein neues Team-Quartier im Hotel Sonnenbichl am Rotfischbach.

Doch beim Fischzug nach dem Goldenen Adler ging schon beim Tournee-Auftakt einiges schief. Die Mitfavoriten Karl Geiger und Pius Paschke – beide hatten unmittelbar vor der Tournee Weltcups gewonnen – waren dem Druck nicht gewachsen und fielen bereits in Oberstdorf aussichtlos in der Tournee-Wertung zurück. „Andi war halt sehr früh schon allein da vorn aus unserem Team. Und ich weiß aus den letzten Jahren, wie groß dieser Rucksack ist“, analysierte Karl Geiger, am Ende enttäuschender 14. bei der Tournee. Paschke wurde gar nur 20.

Wellinger kam als Einziger aus dem eigentlich stärksten deutschen Team seit Hannawalds Triumph 2002 durch – doch auch bei ihm zeigte die Formkurve leicht nach unten. „Kobayashi beantwortet die meisten Fragen nach den Springen halt nur mit Ja und Nein – und dann geht er. Andi hatte immer ein Riesenprogramm an Interviews, weil wir daheim halt so im Fokus stehen“, nannte Horngacher ein Detail als Grund für Platz zwei. Sich noch mehr von der Öffentlichkeit bei der Tournee abzuschotten, sei für die Zukunft trotzdem keine Option.

Gute Balance

Auch Wellinger selbst wollte den öffentlichen Druck nicht als Ausrede gelten lassen: „Den meisten Druck mache ich mir ohnehin selbst – und das Interesse der Öffentlichkeit ist auch ein Privileg. Mir ist die Balance zwischen Anspannung und Entspannung in den letzten zehn Tournee-Tagen eigentlich gut gelungen – bei den beiden Springen in Österreich hat mir vielleicht ein wenig Leichtigkeit und Glück gefehlt. Ich habe nicht viel Fehler gemacht, aber es waren halt ein paar zu viel.“ Man müsse anerkennen, dass Kobayashi einfach ein klein wenig besser gewesen sei.

Der japanische Überflieger kassierte neben der Siegprämie von 100.000 Schweizer nach 2019 und 2022 seinen dritten Goldenen Adler ein – nach Markus Eisenbichler und Karl Geiger war diesmal Wellinger sein „deutsches Opfer“. Und das Flug-Ausnahmetalent aus Fernost will weitersiegen – schließlich fehlen ihm nur noch zwei Tournee-Gesamtsiege zum ewigen Rekordhalter Janne Ahonen (Finnland): „Ich bin bereit, es zu versuchen.“

Andreas Wellinger ist jedoch nach seinem süßsauren zweiten Platz motivierter denn je, den deutschen Tournee-Fluch zu brechen: „Irgendwann kann man uns nicht mehr aufhalten. Wir müssen hoffentlich nur noch ein Jahr warten.“ Sven Hannawald wäre es recht und er glaubt daran, dass ähnlich wie Tabellenführer Bayer Leverkusen in der Fußball-Bundesliga auch die deutschen Vize-Flieger den Ruf als „ewige“ Tournee-Zweite ablegen werden: „Ich will meinen Rucksack endlich abgeben und einen Nachfolger bekommen. Die Hoffnung ist nach dieser Tournee größer denn je.“

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