Filmempfehlungen für Berlin: „Na, siehst Du?“

Das Roma-Filmfestival adressiert Erinnerungskulturen in Deutschland und Europa, Corinna Harfouch liest aus Arbeitstagebüchern von Ingmar Bergmann.

Ein Mann sitzt in der Fahrrerkabine eines geparkten LKWs und schaut hinaus. Vor ihm steht eine Wasserflasche.

Läuft beim „Ake dikhea?“-Festival und beim Human Rights Film Festival: Tomáš Kratochvíls „Pogo Calling“ Foto: Hitchhiker Cinema

Im Nationalsozialismus massiv verfolgt und als Opfer erst spät wirklich anerkannt, gestaltet sich die Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma heute vor allem in einigen osteuropäischen Ländern, aber auch in Deutschland immer noch ausnehmend düster. Das von der Roma-Selbstorganisation RomaTrial seit 2017 veranstaltete Berliner Roma-Filmfestival „Ake dikhea?“ („Na, siehst Du?“) widmet sich deshalb insbesondere der Dekonstruktion gängiger Klischees und zeigt Filme aus der eigenen Perspektive.

In diesem Jahr beschäftigt man sich vor allem mit der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa und eröffnet das Festival am 24. Oktober, dem 10. Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma Europas. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer sprechen Grußworte, ehe am Premierenabend neun animierte Kurzfilmbiografien verfolgter Sinti und Roma gezeigt werden; Gespräch mit Beteiligten, darunter der niederländische Holocaust-Überlebende Zoni Weisz, schließen sich an. Das Festival läuft bis zum 30. Oktober (24.10., 19 Uhr, Babylon Mitte).

Bis zur Verschmelzung

Ingmar Bergmans rätselhaftes Werk „Persona“ gehört zu den großen europäischen Filmkunstklassikern der 60er-Jahre. Zwei Frauen treffen in einem ständigen Wechsel von Distanz und Nähe aufeinander: Die Schauspielerin Elisabeth Vogler (Liv Ullmann) ist angesichts der von ihr als entsetzlich wahrgenommenen Realität verstummt, ihre Betreuerin, die Krankenschwester Alma (Bibi Andersson), ist hingegen ausgesprochen mitteilungsbedürftig. Sie fängt schließlich an, sich so weit mit der Patientin zu identifizieren, dass es zu einer Verschmelzung der beiden Persönlichkeiten kommt – manifestiert in einer berühmten Einstellung, die jeweils eine Gesichtshälfte der beiden Darstellerinnen zu einem gemeinsamen Antlitz montiert.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Es geht um Sein und Schein des Daseins, existentielle Einsamkeit, möglicherweise auch um multiple Persönlichkeiten – das komplexe Psychodrama bleibt vielseitig deutbar. Bergman selbst sagt: „Ich lade die Phantasie der Zuschauer ein, frei über das Material zu verfügen, dass ich ihnen anbiete.“ Corinna Harfouch, die in Bühnenversionen von „Persona“ bereits beide Frauenrollen gespielt hat, liest am 23. Oktober aus Ingmar Bergmans Arbeitstagebüchern, die Renate Bleibtreu unter dem deutschen Titel „Ich schreibe Filme“ herausgegeben hat; der Film läuft im Anschluss an die Lesung (23.10., 18 Uhr, Babylon Mitte; weitere „Persona“-Vorstellungen ohne Lesung: 24.10., 18.15 Uhr und 25.10., 18.45 Uhr).

Drei mal unerkannt

Einer der besten Filme überhaupt ist Max Ophüls' „Letter from an Unknown Woman“, eine Stefan-Zweig-Verfilmung, die der Regisseur 1948 in Hollywood realisierte: ein fantastisches Melodram um eine Amour fou und zwei verpfuschte Leben. Lisa (Joan Fontaine) verliebt sich bereits als junges Mädchen in ihren Nachbarn, den Konzertpianisten Stefan Brand, und wird ihrer Obsession im Laufe der Jahre alles opfern.

Brand (Louis Jourdan) hingegen verschleudert sein musikalisches Talent, um sich einem Leben als Playboy zu widmen. Drei Mal noch wird er in Lisas Leben treten – doch nie wird er sie wiedererkennen. Das Filmmuseum Potsdam zeigt den Film begleitend zur Ausstellung „Ich sehe was, was du nicht siehst“ mit Objekten aus der Sammlung des Experimentalfilmers Werner Nekes, darunter ein Rollpanorama ähnlich dem im Film auf einem Jahrmarkt gezeigten (21.10., 21 Uhr, Filmmuseum Potsdam; Eröffnung der Ausstellung um 19 Uhr).

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.