„Fallende Blätter“ im Kino: Pittoreskes im Prekären

Aki Kaurismäkis Film „Fallende Blätter“ taucht in den Alltag des Proletariats ab und lässt die Protagonisten stoisch durch ihre Probleme manövrieren.

Schleppende Annäherung: Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) Foto: Foto: Pandora

„Über das eine gebieten wir, über das andere nicht“, heißt es bei Epiktet. Gelassenheit kann nur erlangen, wer den Unterschied anerkennt und das eigene Handeln und Wollen auf das beschränkt, was allein von ihm ausgeht. Jedenfalls, wenn man dem Philosophen folgt, demzufolge etwa unser sozialer Status, unser Ruf und unsere Gesundheit außerhalb des Reiches liegt, über das wir regieren.

Anders ausgedrückt: Wir haben keinen Einfluss darauf, was uns widerfährt. Nur darauf, wie wir damit umgehen.

Den Figuren des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki scheinen diese stoischen Lehren in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Zumindest kehrt er in seiner bereits über 40 Jahre währenden Karriere wiederholt zu Protagonisten zurück, die den Gegebenheiten ihres Lebens mit außergewöhnlichem Gleichmut entgegenblicken.

So auch in seinem neuen Film, dessen Sujet mit dem kargen Alltag der Arbeiterklasse ebenfalls eines ist, dem sich der Meister des Melancholischen immer wieder, und stets mit unverkennbarer Sympathie, widmet.

„Proletarische Reihe“

Im vierten Werk seiner „proletarischen Reihe“, die ursprünglich als Trilogie angelegt war und damit bereits als abgeschlossen galt, ist da zunächst die Mittvierzigerin Ansa (Alma Pöysti). In einer durch kaltes Kunstlicht erleuchteten Supermarkthalle sortiert sie unter dem strengen Blick eines Security-Mitarbeiters abgelaufene Lebensmittel aus, bringt neue Preise auf frischen Produkten an, füllt die Regale wieder auf. Nach lethargisch verrichteter Arbeit kehrt sie in ein leeres Apartment zurück, wo sie den Abend mit Schlager und Fertigspeisen verbringt.

„Wenn alle Hoffnung fort ist, gibt es keinen Grund für Pessimismus“, sagte der finnische Filmemacher einmal

Was trostlos klingt, sieht auch in „Fallende Blätter“ nicht so aus. Aki Kaurismäki, der seit den achtziger Jahren für etwa ein Fünftel der finnischen Kinobeiträge verantwortlich ist, verbindet seine sozialrealistischen Beobachtungen mit einer visuellen Stilisierung, die mit ihrem auffallenden Farbenreichtum im aufregenden Kontrast zum eintönigen Trott steht.

Verbunden mit langen statischen Einstellungen, findet Kaurismäkis angestammter Kameramann Timo Salminen so selbst im Prekären pittoreske Bilder. Gewissermaßen hat auch das etwas Stoisches: Der Filmemacher hat keinen direkten Einfluss auf die Gegebenheiten, von denen realitätsnah zu erzählen er erkennbar gewillt ist. Wohl aber auf das Wahrnehmen dieser Umstände. Darauf, wie wir sie (bildlich) begreifen.

Des Verdachts der visuellen Verklärung der Lebensverhältnisse macht sich der autodidaktische Autorenfilmer, der selbst unter anderem als Tellerwäscher arbeitete, dabei allein dadurch nicht schuldig, dass die träumerisch entrückte Gestaltung seiner Filmwelten stets etwas Wehmütiges mit sich bringt.

Obwohl Meldungen aus dem Krieg in der Ukraine Kaurismäkis zwanzigsten Spielfilm eindeutig in unserer Gegenwart verorten, dringen sie doch aus alten Röhren- und Kofferradios, auch die Kleidung erinnert an längst vergangene Jahrzehnte. Und was birgt schon mehr Melancholisches in sich als die Nostalgie?

So kommt es, dass Ansa ausgerechnet in einer wie aus der Zeit gefallen wirkenden Karaoke-Bar, in der auch eher untypische Titel wie Franz Schuberts „Ständchen“ zum Besten gegeben werden, auf Holappa (Jussi Vatanen) trifft. Er hat sich von seinem besten Freund (Janne Hyytiäinen), der mit seinem Gesangstalent bei den weiblichen Gästen zu überzeugen hofft, zum Ausgehen überreden lassen. Selbstredend ist es dann allerdings Holappa, der scheue Blicke mit Ansa austauscht.

Bis es zu einer tatsächlichen Begegnung zwischen den beiden kommt, müssen die zwei Protagonisten einige Chancen eines Aufeinandertreffens verpassen und im Berufsleben schwere Rückschläge erleben. Ansa verliert ihre Anstellung, weil sie gelegentlich Essen mit nach Hause nimmt, dessen Haltbarkeitsdatum überschritten wurde, anstatt es zu entsorgen. Holappa wiederum ist Alkoholiker und wird wegen Trinkens am Arbeitsplatz gleich mehrmals entlassen.

„Fallende Blätter“. Regie: Aki Kaurismäki. Mit Jussi Vatanen, Alma Pöysti u. a. Finnland 2023, 81 Min.

Heiterkeit ist zwar wahrlich keine klassische Komponente in den Filmen Aki Kaurismäkis. Dass sein Schaffen deswegen frei von Komik wäre, bedeutet das allerdings nicht. In „Fallende Blätter“ ist es vor allem der sublime Spott auf die Pedanterie von Vorgesetzten, sorgsam eingeflochtene irrwitzige Dialoge von Randfiguren oder schlicht die Absurdität der Geschehnisse, die den typisch trockenen Humor ausmachen.

Einsame Seelen

Ausgerechnet in einer Kinovorstellung von Jim Jarmuschs Zombiekomödie „The Dead Don’t Die“ lernen sich Ansa und Holappa in aller Wortkargheit besser kennen, ehe seine Sucht die einsamen Seelen jäh wieder auseinanderzubringen droht. Bei aller Lakonie in ihrem Umgang miteinander ist das Erzählen über ihre Annäherung jedoch von einer Warmherzigkeit geprägt, die Kaurismäkis Kino nicht weniger auszeichnet als eine pragmatische Form der Zuversicht.

„Wenn alle Hoffnung fort ist, gibt es keinen Grund für Pessimismus“, sagte der finnische Filmemacher einmal in einem Interview mit The Guardian. Vielleicht ist das der Grund, weshalb seine Figuren ihre geübte Gelassenheit für die Aussicht auf wahres Glück schließlich doch hinter sich lassen. Wenn auch stets so unaufgeregt, so stoisch wie nur möglich. Dass es Aki Kaurismäki gelingt, ein gutes Ende ohne falsche Naivität und forcierte Harmonie zu verheißen, macht seine Filme wahrscheinlich so überaus wohltuend.

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