Entscheidung über Sterbehilfe: Am Ende überwogen die Nein-Stimmen

Zwei Gesetzentwürfe zur ärztlichen Suizidhilfe sind im Bundestag gescheitert. So fehlt weiter Rechtssicherheit für Sterbewillige, -helfer und Ärzte.

Hände werfen Wahlscheine in eine Wahlurne

Bundestagsabgeordnete stimmten am Donnerstag gegen zwei Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe Foto: Michael Kappeler/dpa

Der Sound wurde mitunter recht pastoral. Noch nie habe sie so „voller Demut“ vor dem Bundestag gestanden, sagte Kathrin Helling-Plahr (FDP) bei der Vorstellung des liberalen Entwurfs zur Neuregelung der Suizidhilfe. „Ich mache mir Sorgen um die, die denken, ich falle anderen zur Last. Wir sollten ihnen zurufen: Jedes Leben in diesem Land ist etwas wert!“, erklärte Lars Castellucci (SPD), der den konservativen Gesetzentwurf präsentierte.

Beide konkurrierende Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe, die jeweils aus fraktionsübergreifenden Gruppen von Abgeordneten kamen, gewannen am Donnerstag im Bundestag keine Mehrheit. Damit wird es vorerst keine neue gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland geben. Ärz­t:in­nen dürfen wie bisher Hilfe zur Selbsttötung leisten, solange die Freiverantwortlichkeit der Sui­zi­den­t:in­nen gewährleistet ist.

Castellucci sagte nach der Abstimmung, es müsse „unbedingt bald einen neuen Anlauf geben“. Es brauche Rechtssicherheit, Klarheit und Schutz für alle Beteiligten.

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, bedauerte mit Blick auf Betroffene das Scheitern der Gesetzesinitiativen. Nicht nur Patient:innen, auch Ärzt:innen, Pflegekräfte und Einrichtungen hätten das Bedürfnis nach Klarheit, sagte Buyx dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beide Anträge hätten nach Auffassung von Sachverständigen aber Schwächen gehabt, meinte Buyx.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bedauerte, dass „keiner der Anträge eine Mehrheit gefunden hat“. Dadurch bestehe zwar „keine komplette Rechtsunsicherheit“, es sei aber nicht ganz klar, wie sich die Situation jetzt für die Ärz­t:in­nen darstelle. Er gehe davon aus, dass jetzt offene Fragen im Zusammenhang mit der Sterbehilfe, etwa zur ärztlichen Verschreibung todbringender Medikamente, von Gerichten geklärt werden müssten, sagte Lauterbach. Auch das Gesundheitsministerium müsse sich damit beschäftigen, wie die Abgabe von Pentobarbital geregelt werde.

In der Suizidhilfe in Deutschland ist die Anwendung des Medikaments Pentobarbital, das in anderen Ländern in der Sterbehilfe angewandt wird, verboten. Nur in extremen Ausnahmefällen gestatteten Verwaltungsgerichte in Deutschland bisher die Herausgabe des Medikaments. In beiden der am Donnerstag gescheiterten Gesetzentwürfe sollte das Betäubungsmittelrecht soweit geändert werden, dass die Verschreibung von Pentobarbital unter bestimmten Bedingungen gestattet worden wäre. Derzeit verwenden die Ärz­t:in­nen in der Suizidhilfe Medikamentenkombinationen, deren Substanzen nicht verboten sind.

Hintergrund der beiden am Donnerstag abgestimmten Gesetzesinitiativen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Das Gericht hatte entschieden, dass das bestehende Verbot der „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe, worunter auch die wiederholte Suizidhilfe durch Ärzte zu verstehen ist, verfassungswidrig sei. Jeder Mensch habe die Freiheit, sich das Leben zu nehmen. Diese Freiheit umfasse auch die Freiheit, „hierfür bei Dritten“ Hilfe zu suchen. Das Urteil räumte allerdings dem Gesetzgeber ein, zum „Schutz der Selbstbestimmung“ „Sicherungsmechanismen“ einzubauen. Daraus erwuchsen die Gesetzesinitiativen.

Der Entwurf der Gruppe um Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) wollte die ärztliche Suizidhilfe grundsätzlich wieder unter Strafe stellen und nur gestatten, wenn bestimmte Vorbedingungen eingehalten würden. Dazu gehörte eine zweimalige Untersuchung durch Psych­ia­te­r:in­nen oder Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen im Abstand von mindestens drei Monaten, um die „Freiverantwortlichkeit“ und „Selbstbestimmtheit“ des Entschlusses festzustellen und eine psychische Erkrankung auszuschließen.

Man könne die „Selbstbestimmung nicht voraussetzen“, verteidigte Castellucci die Bedingungen in diesem Gesetzentwurf. Menschen seien auch „Missbrauch“ ausgeliefert. Niemand solle sich „gedrängt fühlen“ zum Sui­zid.

Der Entwurf der Abgeordnetengruppe um Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sah ebenfalls eine Beratungspflicht vor, aber durch unabhängige „Beratungsstellen“, die nicht unbedingt von Psych­ia­te­r:in­nen oder Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen hätten besetzt werden müssen.

Die Beratungsstellen hätten keine Bewertungen abgegeben, aber einen Beratungsschein ausgestellt, der die Voraussetzung sein sollte für eine Verschreibung von Pentobarbital durch den Arzt. „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben“, hatte Helling-Plahr erklärt.

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