Eklat beim Deutschen Engagementpreis: Extrawurst für Jägerschaft

Beim Publikumsvoting des Deutschen Engagementpreises liegt eine Tierrettungsinitiative vorne, muss den Preis aber mit der Jägerschaft Verden teilen.

Ein Jäger steht bei Fronreute in Baden-Württemberg während einer Treibjagd mit seinem Gewehr schussbereit am Waldrand.

Ist dieser Mann ein Tierschützer oder das Gegenteil? Jäger bei einer Treibjagd in Baden-Württemberg Foto: dpa | Felix Kästle

OSNABRÜCK taz | Der Deutsche Engagementpreis hält große Stücke auf sich. Jährlich verliehen, durch den Berliner Bundesverband Deutscher Stiftungen, versteht er sich als „bedeutendste Auszeichnung für bürgerschaftliches Engagement“ und „Preis der Preise“.

Anfang Dezember wurden die PreisträgerInnen von 2023 geehrt, in Kategorien wie „Demokratie stärken“ und „Chancen schaffen“.

Beim Publikumspreis, dotiert mit 10.000 Euro, kommt es zum Eklat. Es gewinnt nicht nur der Bestplatzierte, mit 25.339 Stimmen, die „Rehkitz- und Tierhilfe Franken“ aus Bayern, die sich um die Rettung von neugeborenen Rehkitzen vor Erntemaschinen kümmert. Sondern auch die „Jägerschaft des Landkreises Verden“ aus Niedersachsen, mit 21.363 Stimmen weit abge­schla­gen.

Es ist ein Sonderentscheid: Der Preis wird zweimal gegeben, das Preisgeld hälftig geteilt. David gewinnt gegen Goliath, aber der Sieg wird ihm verwehrt. Der Wille der Mehrheit zählt nicht.

Bei der Abstimmung habe sich „eine Kontroverse entwickelt“, begründen die Ausrichter in einer Erklärung auf ihrer Website diesen ungewöhnlichen, unlogischen Schritt. Es habe Aufrufe gegeben, „mit dem erklärten Ziel, einen möglichen Gewinn der Jägerschaft Verden zu verhindern“, in den Sozialen Medien sei es zu „Beleidigungen und Hetze“ gekommen. Beide Nominierte hätten die Teilung angenommen.

Markus Winkler, Sprecher des Deutschen Engagementpreises

„Druck oder Einfluss auf die Ausrichter des Preises oder Regeländerungen zugunsten der Jägerschaft Verden gab es nicht“

Sie sei als „Zeichen der Versöhnung“ gedacht, ergänzen die Ausrichter auf ihrem Facebook-Account. Wie diese Versöhnung zwischen Vereinen funktionieren soll, von denen der eine Tiere rettet, der andere Tiere tötet, bleibt offen. Lovis Kauertz vom „Wildtierschutz Deutschland“ in Gau-Algesheim, nennt es anders: „Betrug an den Abstimmenden“.

Unverständnis schlägt den Preis-Verantwortlichen auch in den Kommentaren auf die „Versöhnung“ entgegen. Ein User mit dem Namen Steffen Heilig schreibt dort: „Kommt zur Besinnung, bittet um Entschuldigung und macht die Skandal-Entscheidung rückgängig.“ Julius Janke findet: „Widerlich, was hier abgeht. Ich bin fassungslos über so viel Heuchelei.“ Cora Cao meint: „Wie erbärmlich ist das denn! Ihr solltet euch in Grund und Boden schämen.“ Angela Demmig argwöhnt gar: „Was gab es dafür? Geld von der lodengrünen Lobby?“ Und Beate Kronfeldt kommentiert: „Absurde Entscheidung, die wie Geklüngel anmutet.“ Dazu gab es Hunderte „Gefällt mir“-Daumen.

Simone Schmidt von der „Rehkitz- und Tierhilfe Franken“, ist anzumerken, wie sie sich bei alldem fühlt. „Aber wir sagen dazu nichts mehr“, sagt sie der taz frustriert. „Die Unruhe war schon groß genug, der Druck. Wir machen unsere Arbeit, das ist uns das Wichtigste.“ Schmidt will keine Eskalation der oft hitzigen Debatte zwischen Jägerschaft und Tier­schüt­ze­r:in­nen. „Wir verhalten uns neutral. Das ist unser Niveau. Und das behalten wir auch bei.“

Es habe „unfassbare Hassreden gegen die Jägerschaft“ gegeben, schreibt Jürgen Luttmann, Vorsitzender der Jägerschaft Verden, der taz. Nutzer hätten „auf dem Facebook-Account von Frau Schmidt tagelang Tipps für manipuliertes Abstimmen verbreitet“. Den Vorwurf der Einflussnahme zugunsten der Jägerschaft weist er zurück: „Der Gedanke ist für mich absurd, es habe von Verbänden, Behörden oder Politik Manipulationsversuche gegeben.“ Die Jägerschaft habe Werbung für ihre „Arbeit für Tier-, Arten- und Naturschutz“ gemacht, „ohne dabei Wettbewerber in den Schmutz zu ziehen“.

Auf ihrer Website macht die Jägerschaft Verden e.V. deutlich, wem sie ihren Erfolg zu verdanken glaubt: „Nach der Rückreise aus Berlin führte unser erster Weg ins Kreishaus. Wir wollten uns unbedingt bei unserem Landrat Peter Bohlmann und der ebenfalls anwesenden Landtagsabgeordneten Dr. Dörte Liebetruth für ihre klare Positionierung hinter unserer Nominierung bedanken“ schreibt der „anerkannte Naturschutzverband“ dort.

Da das Ergebnis „aufgrund von Unstimmigkeiten bei der Abstimmung“ vom Wettbewerbsgremium des Engagementpreises festgelegt worden sei, „spielte es sicher auch eine Rolle, dass sich alle politischen Vertreter der bürgerlichen Parteien eindeutig zu unserer ehrenamtlichen Arbeit bekannten und damit untermauerten, dass wir Jäger in der Mitte der Gesellschaft für die Gesellschaft arbeiten.“

Beim Auslober des Preises dementiert man das: „Druck oder Einfluss auf die Ausrichter des Preises oder Regeländerungen zugunsten der Jägerschaft Verden gab es nicht“, beteuert Markus Winkler der taz, Sprecher des Engagementpreises. Die Frage, was der Vorfall für den Ruf des Preises bedeutet, lässt er unbeantwortet.

Friedrich Mülln, Leiter der Münchner Tierrechtsorganisation SOKO Tierschutz, versteht Schmidts Frustration gut. Was geschah, als die SOKO 2019 den Publikumspreis gewann, hat er in keiner guten Erinnerung.

Brief eines ehemaligen Preisträgers

„Wir haben unter ähnlich ungünstigen Vorzeichen gewonnen“, sagt er der taz. „Die Tiernutzungsbranche hat damals massiv dazu aufgerufen, jeden zu wählen, nur nicht uns. Auch die Laudatio hat sich mit uns nicht leicht getan, hat uns völlig grundlos in die Nähe der Kriminalität gerückt.“

Was Schmidt passiert ist, findet Mülln „empörend, traurig und feige“. Er sagt: „Die Jäger behaupten immer, es werde gegen sie gehetzt, das ist die klassische Totschlagtechnik. Und dann greifen sie aus der Opferposition heraus an, mit all ihrem Einfluss. Das hat jetzt offenbar auch beim Engagementpreis funktioniert.“ Mülln hat den Ausrichtern des Preises einen Brief geschrieben, entsetzt über die Preisteilung. Eine Antwort blieb aus.

Der Preis müsse „kontroverse Themen aushalten“, sagt Mülln. „Entweder man hat diesen Mumm oder man lässt es ganz.“ Ein „Einknicken“, wie jetzt vor den Parteigängern des „Blutsports“ Jagd, sei fatal. Jäger als Tier-, Arten- und Naturschützer? „Für Biotopschutz brauche ich keine Waffe“, sagt Mülln. „Nur zum Töten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.