Debatte um Wehrpflicht: Antreten zum Widerspruch

Unser Autor hat Soldaten aus der Nähe erlebt, sein Vater war Sanitäter. Gedanken zur Diskussion um die Wehrpflicht aus dem Innersten der Armee.

Soldat mit Stiefeln

Nachts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus des Bundeswehrblocks Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Nachts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus. Der Tritt hallt bis hinter die Wohnungs- und Kinderzimmertür. Und ich sitze froh und aufrecht im Bett: Mein Papa ist zurück. Alles ist gut. Auch der Rest des Hauses dürfte es wissen: Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass unser Bundeswehrblock so gebaut wurde, dass alle alles hören, dass wir uns gegenseitig kontrollieren. Der Schall verrät, wenn die Sol­da­t*in­nen wieder zu Hause sind, und auch alles andere.

Mein Vater gehörte – das hoffe ich zumindest – zu den Sol­da­t*in­nen, die nicht immer nur gefürchtet wurden. Er war bei den ABC-Truppen als Sanitäter. Hat im Ausland Menschen versorgt, die der Krieg töten wollte. Manche von ihnen beim Sterben begleitet. Denn gar nicht weit von den schweren, pflegenden Schritten meines Vaters, da marschiert der Tod.

Mein Vater war Anfang der 1990er in der iranischen Grenzregion zum Irak. Als er ankam, erzählt er, habe es in der Region noch keine Zelte, keine Verpflegung, aber ein Minenfeld gegeben. Was Armeen bringen, lange bevor die Sa­ni­tä­te­r*in­nen helfen, ist die Gewalt.

Heute wirkt es auf viele, als stünde der Krieg wieder vor „unserer“, der deutschen Tür. Gebracht durch Wladimir Putin. Po­li­ti­ke­r*in­nen sprechen darüber, die Wehrpflicht wieder zu aktivieren. Ich dachte eine Zeit lang, ich will die Wehrpflicht. Sehen, was mein Vater so erlebt hat, lernen, was er kann. Ich selbst kenne den Bund nur von Sommerfesten mit Tour durch die Kaserne und von Konserven im Keller. Und von den Stimmen der Männer aus unserem Block. Zum Glück wurde ich ausgemustert. Die Bundeswehr ist – gegeben durch äußere Faktoren, die nicht geändert werden können – ein System der Zwänge, der Hierarchie und allein dadurch für viele schon ein System der Gewalt. Ich wäre daran zerbrochen.

Wir sind gefragt

Aber es bleibt: der Wunsch, ich hätte eben doch gelernt, wie ich mich verteidige, meine Familie, meine Wahlfamilie, die Menschen in meinem Haus, in meiner Community, in meiner Stadt. Nicht nur vor oder in einem Krieg, sondern vor ganz vielen anderen Dingen, bei denen die Bundeswehr nicht helfen kann, nicht helfen darf. Die drängendste Gefahr für dieses Land und all die Menschen, die darin leben, sind nicht Bomben. Es sind die Rechts­extremen, es sind die Ausbeuter, die Lügner, die Demagogen. Es sind die Menschenhasser. Und natürlich auch der Klimawandel.

Die Bundeswehr kann, soll Menschen verteidigen, wenn sie mit Waffengewalt angegriffen werden. Für all das andere aber sind wir gefragt, nicht die Soldat*innen. Die haben oft genug Probleme mit rechten und rechtsextremen Kamerad*innen. Ich habe die Sprüche durchs Treppenhaus hallen gehört. Die Bundeswehr zu reformieren hat nicht funktioniert. Junge Erwachsene per Wehrpflicht in so ein System zu ziehen, das sich, trotz all der korrekten Sol­da­t*in­nen, nicht gegen rechts wehren kann, ist ein Fehler, wenn man diese Menschen nicht vorher gestärkt hat, damit sie dagegen angehen können.

Die Bundeswehr komplett abschaffen? Auch nicht möglich. Besonders jetzt. Denn auch wenn Putins Waffen nicht bis nach Deutschland kommen, müsste die Bundeswehr bereits jetzt – so habe ich den Job meines Vaters immer verstanden – jene Menschen schützen, die seit Jahren Schmerz und Tod erfahren, Krieg eben.

Wir anderen aber müssen uns um andere Formen des Schutzes kümmern. Wir müssen lernen, uns und unsere Mitmenschen zu schützen, wie wir Sandsäcke schleppen bei Fluten, wie wir helfen können, wenn wieder gefühlt ganz Brandenburg brennt. Wir können in queeren Vereinen Karate lernen, um uns und unsere Community auf dem Nachhauseweg vor Gewalt zu bewahren. Wir können hacken. Wir können einfach mal dem Nazi in der U-Bahn widersprechen, wenn er einen Mitmenschen angreift, uns dazwischen stellen und dann mit der* Betroffenen sprechen, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist.

Alle dürfen mitmachen

Dafür ist es aber notwendig, dass der Staat einer ganz anderen Verantwortung nachkommt als der Instandhaltung einer Armee. Die Wehrpflicht? Absoluter Humbug, solange der Staat Gelder in der politischen Bildung kürzt und so dafür sorgt, dass immer weniger Menschen antifaschistisch und ­demokratisch geprägt werden und so nicht ausreichend in den gesellschaftlichen Kampf für Freiheit und Gleichheit ­einbezogen werden.

Für den muss man keine Musterung durchlaufen. Unsere Gelenke, Organe, Neuro­divergenzen, Allergien und Geschlechter sind dafür egal. Alle dürfen mitmachen, sie müssen Skills bekommen. Der Staat baut hier ab. Will per Wehrpflicht tödliche Waffen in die Hand von Menschen drücken, die eigentlich mit Argumenten und Menschenliebe siegen sollten.

Mein Vater ist nicht mehr beim Bund. Der Block, in dem ich aufgewachsen bin, ist schon lange kein Bundeswehrblock mehr. Heute leben darin vor allem viele andere Menschen, nur noch ein paar alte Bundeswehrler. Es hallt trotzdem im Treppenhaus, alle bekommen alles mit. Auch den Rassismus von manchen, die früher Uniform getragen haben. Was hier zu selten hallt: der Widerspruch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.