CDU will „Agenda 2030“: Zwölf Seiten rückwärts
Merz & Co versprechen zwei Prozent Wirtschaftswachstum. Und setzen dabei auf eine „große Steuerreform“ und Einschnitte beim Bürgergeld.
Berlin taz | Für die einen hört es sich wie eine Drohung an, für die anderen soll es wohl nach Verheißung klingen: Die CDU will mit einer „Agenda 2030“ in den Wahlkampf starten. Das ist der Titel eines Papiers, das der Bundesvorstand am Wochenende auf einer Klausur in Hamburg beschließen will. Der Anklang an die „Agenda 2010“, mit der die rot-grüne Bundesregierung einst den Sozialstaat umbaute, dürfte bewusst gewählt sein.
Der zwölfseitige Entwurf, der der taz vorliegt, verspricht ein „wirtschaftspolitisches Zwei-Prozent-Ziel: Wir wollen wieder Wachstumsraten von mindestens zwei Prozent erreichen.“ Dafür setzt die CDU auf Steuersenkungen. Die Steuerbelastung der Unternehmen soll auf 25 Prozent, die Körperschaftssteuer schrittweise auf 10 Prozent gesenkt werden. Den noch existierenden Solidaritätszuschlag für höhere Einkommen will die CDU abschaffen.
Bei der Einkommensteuer soll der Spitzensteuersatz erst bei 80.000 Euro greifen, der jährliche Grundfreibetrag erhöht werden. Zudem sollen Überstunden steuerfrei gestellt werden, Rentner*innen künftig bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzu verdienen dürfen. Umgesetzt werden soll diese „große Steuerreform“ in vier Jahresschritten ab 2026.
Diese Information ist neu und dürfte eine Reaktion auf die massive Kritik sein, die es angesichts einer Deckungslücke von bis zu 100 Milliarden Euro am Wahlprogramm der Union gegeben hatte. Wie die CDU die Steuersenkungen finanzieren will, bleibt aber weiter offen. Schwammig ist von Einsparungen beim Bürgergeld und der Migration die Rede. Im Rahmen eines Kassensturzes sollten zudem alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden – „insbesondere die während der Ampel-Jahre enorm gestiegenen Subventionen“.
Grundsicherung statt Bürgergeld
Die CDU will zudem das Bürgergeld in eine „Neue Grundsicherung“ überführen. So genannten Totalverweigerern soll die Grundsicherung komplett gestrichen werden, Sanktionen sollen schneller greifen, auch will die CDU den Vermittlungsvorrang wieder einführen. Das Arbeitszeitgesetz soll flexibler werden: Statt einer täglichen Höchstarbeitszeit soll es eine wöchentliche geben. Bei den Strompreisen zielt die CDU auf eine Entlastung von mindestens fünf Cent je Kilowattstunde, Stromsteuer und Netzentgelte sollen sinken.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach angesichts der CDU-Pläne gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einem „Rückwärtskurs, der Innovation, Arbeitsplätze und den Klimaschutz aufs Spiel setzt“. Kritik kam auch von der Linken. „Unter dem Schlagwort Agenda 2010 fand damals der brutalste Sozialabbau der Nachkriegszeit statt“, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner. „Das wird auch dieses Mal so sein.“
Die CDU will bei ihrer Klausur in Hamburg auch ein Sicherheitspapier verabschieden. Auf dem Parteitag am 3. Februar soll zudem ein Sofortprogramm mit Maßnahmen beschlossen werden, die im Fall einer Regierungsbeteiligung unmittelbar umgesetzt werden sollen.
Leser*innenkommentare
Jörg Schubert
Das Einzige, was mit daran gefällt, ist die Idee, die Strompreise zu senken. Aber diese Idee ist nicht konsequent durchdacht.
Fast die Hälfte unseres Strompreises besteht aus Netzumlagen. Das Netz ist Infrastruktur. Es befindet sich in den Händen von Firmen, die lokal Monopolstellung haben. So kann Marktwirtschaft nicht funktionieren. Das Stromnetz gehört in die öffentliche Hand!
Was bei Straßen geht, sollte doch auch bei Kabeln funktionieren.
Andreas Braun
Totalverweigerern kein Geld mehr zu zahlen ist wohl rechtlich kaum haltbar und für eine angeblich christliche Partei auch eher nicht machbar.
Aber die Richtung ist schon klar, den Ärmeren gehts an den Kragen. Die Reichen werden geschützt. Und mit Maßnahmen gegen Migranten werden AfD Wähler zur CDU gelockt.
Von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz ist wenig bis gar nichts zu finden.
Warum wollen in diesen Parteien immer Menschen ans Ruder, die Entscheidung für eine Zeit treffen, die sie selbst gar nicht mehr erleben werden?
Es wird Zeit, dass junge, innovative Menschen das Ruder übernehmen.
Normalo
Es ist immer wieder witzig, wenn Kommentatoren von "Schritt rückwärts" sprechen, wenn jemand IHREM Kurs zurück zum Wohlfahrtsstaat der frühen 1970er in die Quere kommt...
Aurego
Wovon will Herr Merz seine Wohltaten bezahlen? Angeblich soll das Ganze 90 Mrd. Euro kosten. Am Bürgergeld wird er nicht genug einsparen können, auch wenn er es umbenennt. Besser wird es für die Bürger insgesamt nicht werden, aber ich werde z. B. von der Abschaffung des Soli profitieren, denn alle Vorschläge dienen nur dazu, die obersten 10% noch wohlhabender zu machen.
Samvim
Ja, das mit dem Rechnen liegt in Wahlkampfzeiten keiner Partei...
Farang
"Totalverweigerern soll die Grundsicherung komplett gestrichen werden"
Das so etwas überhaupt erst noch beschlossen werden muss und nicht seit jeher Usus ist...🙄
Einer für alle, alle für einen - wir kommen füreinander auf wenn wir unverschuldet in Not geraten sind. Umso ärgerlicher wenn diese gesellschaftliche Errungenschaft von einigen Wenigen schamlos ausgenutzt wird. Auch wenn Totalverweigerer nur einen äußerst kleinen Teil der Bürgergeldbezieher ausmachen ist diese Regelung doch .
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"Wie die CDU die Steuersenkungen finanzieren will, bleibt aber weiter offen"
Das hat bei Wahlen leider weltweit Methode. Die Parteien versprechen Gott und die Welt und spätestens bei den Koalitionsverhandlungen kommt die Hälfte der Vorhaben dann unter die Räder...
Aus der Ampel warten wir immer noch aufs Klimageld - und Scholz verspricht aktuell den Eigenanteil bei der Pflege auf 1000,-€ zu deckeln...
Die Versprechen der CDU sind da nicht weniger unrealistisch🤷♂️
meerwind7
Wenn ein Drittel der AfD-Wähler (gegenüber Umfragen) stattdessen FDP oder CDU/CSU wählen würde, wäre dieses Programm vielleicht zu verwirklichen. Nach jetzigen Stand der Umfragen wird die CDU auf SPD oder Grüne angewiesen sein.
Dirk Osygus
Sie erwähnen immer, dass das CDU-Wahlprogramm nicht durchfinanziert ist.
Wie sieht denn mit den Programmen von SPD und Grünen aus? Die sind noch weniger finanziert, weil man für die ganzen Staatsschulden eine Reform der Schuldenbremse benötigt wird. Und die uns nun wahrlich nicht in Sicht.
SPD und Grüne sind keinen Deut besser als die CDU.
Aurego
@Dirk Osygus Die Grünen haben schon gesagt, wie sie das bezahlen wollen, so weit ich mich erinnere.
Leningrad
@Dirk Osygus Einfach mal den Nagel auf den Kopf getroffen..... wenn das Geld alle ist, dann ist es eben alle. Und basta.
Bambus05
@Dirk Osygus Die Reform der Schuldenbremse wird kommen, auch mit Fritze als Kanzler. Der Handlungsdruck ist zu groß. Und es ist auch richtig, die Investitionen sind dringend notwendig.
Die Bürgergeldempfänger und Flüchtlinge geben trotz übelster Drangsalierung wirtschaftlich zu wenig her. Und der Selbstfinanzierungsquark bei einer Absenkung der Steuer für Reiche hat noch nie funktioniert, warum sollte es das jetzt?
Moritz Pierwoss
@Dirk Osygus Bei denen fehlen jeweils noch mehr als 100 Milliarden? Es ist insofern erstaunlich, weil man nach Außen hin sich als Partei gibt, die in Finanz- und Wirtschaftsfragen über die vermeintlich größte Kompetenz verfügt, aber am Ende ist das Programm einfach nur unseriös. Es wirkt nicht mal wie der Versuch eine Wende herbeizuführen, sondern als wolle man möglichst viel für die eigene Klientel rausholen vor dem totalen Niedergang. Das Programm ist keine Antwort auf unsere Probleme, sondern schlicht einfallslos.
aujau
@Moritz Pierwoss Möglichst viel für die eigene Klientel rausholen vor dem totalen Niedergang. Der gesamte Rechtsruck in Europa und USA macht den Eindruck, genau so zu agieren.
Aurego
@Moritz Pierwoss Das mit der Kompetenz ist nur faktenfreies Gerede. Die CDU bestand schon immer nur aus Schönwettermanagern. Ein Blich auf "Wohlstand für Alle"-Erhard offenbart schon, dass er beim wichtigsten Wohlstandsthema, nämlich der deutlichen Erhöhung der Wohneigentumsquote, kläglich versagt hat. So ist es dann jahrelang weitergegangen: Die CDU-wählenden Unterprivilegierten hofften, dass von den Wohltaten für die oberen 10% der Einkommens- und Vermögensverteilung ein paar Krumen auch für sie vom Tisch fielen. Die Krumen entpuppten sich beim genauen Hinschauen jedoch eher als Spurenelemente. Politik hat die CDU immer nur für die obersten 10% gemacht und so wird es wohl bleiben.
*Sabine*
"„Unter dem Schlagwort Agenda 2010 fand damals der brutalste Sozialabbau der Nachkriegszeit statt“, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner."
Das sehe ich ebenso und verstehe immer noch nicht, weshalb sich rote/grüne Bundestagsabgeordnete dafür hergegeben haben. Es ist ja nicht so, dass es danach oder jetzt den Bürger:innen besser geht, im Gegenteil.
Samvim
@*Sabine* "Es ist ja nicht so, dass es danach oder jetzt den Bürger:innen besser geht, im Gegenteil."
Doch eigentlich schon. Der wirtschaftliche Aufschwung bis 2020 ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, auch wenn man das hier nicht so gerne hört. Die Mutti hat sich als Kanzlerin in diesem Bereich ja eher untätig gezeigt.
Moritz Pierwoss
@*Sabine* Man hat indirekt die freie Berufswahl aus dem Grundgesetz abgeschafft für die unteren Schichten.
Ajuga
@*Sabine* "verstehe immer noch nicht, weshalb sich rote/grüne Bundestagsabgeordnete dafür hergegeben haben."
Weil 16 Jahre CDU-Hegemonie die BRD an den Rand eines sozioökonomischen Kollaps gebracht hatten, und die Arbeitslosigkeit in einer Todesspirale hochschoss.
Und da griff man halt nach dem nächstliegenden vermeintlichen Erfolgsrezept.
"Union" war ein Synonym für "schlimmste Misswirtschaft und politische Korruption seit BRD-Gründung + freilaufende Neonazis überall" geworden:
"Die Bundestagswahl 1998 fand am 27. September 1998 statt. Das Ergebnis der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag bedeutete ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Zum ersten und bisher einzigen Mal wurde eine Bundesregierung komplett abgelöst, während sich bei allen anderen Regierungswechseln lediglich einer der beiden vorherigen Koalitionspartner änderte. Außerdem gewann mit der SPD erstmals eine Partei mehr als 20 Millionen Stimmen und zugleich erstmals die traditionell „links der Mitte“ eingestuften Parteien mehr als 50 Prozent." (Wikipedia)
Und Schröder war, nun ja, "besser als Kohl" sicher, aber eben auch nicht grad die hellste Kerze auf der Torte. Aber das weiß man halt erst im Rückblick so eindeutig.
Normalo
@Ajuga "Weil 16 Jahre CDU-Hegemonie die BRD an den Rand eines sozioökonomischen Kollaps gebracht hatten,..."
Kleinigkeiten wie die Wiedervereinigung, die einsetzende digitale Revolution und dass Lafontaine vorher jahrelang mildere Maßnahmen systematisch über den Bundesrat blockiert hatte, vergessen mal lieber - könnte den Narrativ stören, nicht wahr?