Bauern und Lokführer protestieren: Die große Kränkung

Den Bauern und Lokführern geht es noch relativ gut. Ihr Protest sollte nicht von den wirklich Marginalisierten in der Arbeitswelt ablenken.

Demonstranten mit großen Fahnen.

Zu leise und knicken bei Tarifverhandlungen zu schnell ein: Kita-Erzieherinnen und ihre Interessenvertreterinnen Foto: Christian von Polentz

Nach dieser Woche muss man den Eindruck haben, dass es zwei Berufsgruppen besonders schlecht geht: den Bauern und den streikenden Lokführern. Allerorten ist von „Wut“ zu lesen. Ginge es nach dem Grad prekärer Arbeitsbedingungen, müssten aber ganz andere „wütend“ sein, wenn sie nicht schon längst zu müde dafür sind: Regale-Einräumer in Supermärkten, scheinselbständige Paketlieferanten, rumänische Erntehelferinnen, „schwarz“ beschäftigte Putzfrauen. Aber sie haben nicht die Organisationsmacht von Bauern und Lokführern.

Bauern und Lokführer sind traditionell gut organisiert, sie sind es gewohnt, ihre Interessen offensiv zu vertreten. Doch wer am lautesten ruft, dem geht es nicht unbedingt am schlechtesten; er hat nur die Mittel, sich Gehör zu verschaffen. Der Arbeitskampf im Lebensmittel-Einzelhandel dümpelt auch deswegen seit Monaten vor sich hin, weil die Branche zersplittert ist und die vielen Teilzeitkräfte meistens nicht organisiert sind. Und wenn es bei Rewe keine Milch gibt, geht der Kunde eben zu Edeka.

Was Bauern und Lokführer mentalitätsmäßig und historisch gesehen verbindet, ist das Gefühl der Kränkung. Lokführer waren früher Beamte, zwar nie besonders gut bezahlt, aber mit hohem Sozialprestige. Sie sorgten im Staatsauftrag für den öffentlichen Fernverkehr, heute müssen sie mit Flixbus konkurrieren. Der immer leicht beleidigt wirkende Habitus von Claus Weselsky drückt die Kränkung dieses Berufsstands ziemlich gut aus.

Bauern waren früher die Herrscher auf dem Land. Sie dominierten den Gemeinderat und die Dorfgemeinschaft; heute haben sich die Gewichte verschoben, weil es immer weniger Bauern gibt und die Bevölkerung auf dem Land heterogener als früher ist. Die Unzufriedenheit speist sich nicht nur aus Dieselpreisen und Schichtzeiten, sie hat tiefere Quellen. Die Enttäuschung darüber, dass es einem früher besser ging und man einst eine größere Rolle spielte, kann gewaltige Kräfte freisetzen.

Mehr Weselsky wagen

Die ungleiche Verteilung von hörbarer Wut erzählt auch etwas über Geschlechter-Rollenklischees. Kita-Erzieherinnen und ihre Interessenvertreterinnen zum Beispiel sind zu leise, sie knicken bei Tarifverhandlungen zu schnell ein. Wie wäre es, wenn die Verhandlungsführerinnen beim nächsten Mal im breitbeinigen Weselsky-Style verkünden würden: „Das ist ein Vernichtungsfeldzug der Arbeitgeber, den wir uns nicht bieten lassen. Das Land wird still stehen, solange sich die Arbeitgeber nicht bewegen.“

Und vorher sollten die Medien einfach mal mehr auf die Leisen, weniger auf die Lauten achten, auch wenn erstere keine medienwirksamen Traktoren auf Autobahnen und stillstehenden Züge aufbieten können.

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