„Baldur’s Gate 3“ wird nichtbinär: Intimitäts-Coaches für Orks

Das Rollenspiel „Baldur’s Gate 3“ schafft Raum für nichtbinäre Charaktere und polygame Beziehungen. Das ist ein Fortschritt in der Gaming-Welt.

Eine Videospielfigur mit grüner Haut und großen Zähnen.

Weder typisch männlich noch weiblich gelesen: eine Figur aus „Baldur’s Gate 3“ Foto: Larian Studios

Das Rollenspiel gehört zu den ältesten und prägendsten Genres der Videospielgeschichte. Menschen kämpfen gemeinsam mit Elfen und anderen Fantasiegestalten gegen böse Orks und Dämonen, um ein mittelalterliches Reich zu retten.

Das Klischee: Fans solcher Rollenspiele sind überwiegend männlich, weiß und heterosexuell, verkörpern am liebsten muskelbepackte Barbaren oder stark sexualisierte Hexen. Dabei bietet gerade das Rollenspiel viele Möglichkeiten, um ganz man selbst oder jemand völlig anderes zu sein. Mittlerweile haben es Games-Entwickler verstanden, Stereotype infrage zu stellen.

Passend dazu erschien der dritte Teil von „Baldur’s Gate“, einer der altehrwürdigsten Rollenspielserien. Der hat sich aber nicht nur seinen Pen-&-Paper-Ursprüngen verschrieben. Er revolutioniert das Genre.

Der Grund dafür macht sich schon im Charaktereditor bemerkbar, mit dem „Baldur’s Gate 3“ startet. Denn darin gibt es unzählige Möglichkeiten, den eigenen Wunschcharakter zu erstellen. Die Gesichter und Körper der Figuren lassen sich detailliert modellieren. Das ist im Grunde nichts Besonderes – viele Rollenspiele der letzten Jahre bieten ähnliche Möglichkeiten. „Baldur’s Gate 3“ geht aber noch einen Schritt weiter und bietet eine Option, die es so bisher noch nicht gab: die Genitalien der Spielfigur sind frei gestaltbar.

Freie Gestaltung der Genitalien

Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, sich mit der eigenen Spielfigur zu identifizieren. Denn die verschiedenen Vulven und Penisse lassen sich frei mit jeder Körperform kombinieren. Noch nie war ein Videospiel so inklusiv. Männlich, weiblich, nonbinär: Die Frage des Geschlechts fühlt sich angenehm selbstverständlich an. „Baldur’s Gate 3“ leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Stereotypen, die mit Gaming assoziiert werden.

Am Ende verteilen die Spie­le­r:in­nen Erfahrungspunkte auf verschiedene Attribute wie Geschicklichkeit oder Intelligenz, um die individuellen Stärken und Schwächen der Figur auszudefinieren. Besonders spannend ist das Attribut Charisma, das festlegt, wie gut der Charakter mit Figuren sozial interagieren kann. Das entscheidet nicht nur über die Überzeugungskraft in Dialogen, sondern auch darüber, wie gut die Spielfigur flirten kann.

Zu Beginn des Spiels wird dann der gerade erstellte Avatar von außerirdischen „Gedankenschindern“ entführt und auf deren Raumschiff mit einem Parasiten infiziert. Nach einer Flucht ist die Aufgabe der Spieler:innen, ein Heilmittel gegen den Parasiten zu finden und den Krieg gegen die „Gedankenschinder“ zu gewinnen. Wie genau dieses Ziel erreicht wird, lässt das Spiel offen. Alleine ist man dabei fast nie, da sich schon nach kurzer Zeit eine Riege an Ge­fähr­t:in­nen um die Hel­d:in schart.

Daten, wen man will

Wer schon mal ein Rollenspiel gespielt hat, weiß, dass ein besondere Reiz in den sozialen Interaktionen liegt – Romanzen inklusive. Hier erlaubt das Spiel nahezu alle Freiheiten: Unabhängig vom Geschlecht kann man daten, wen man will, und sogar verschiedene Beziehungsmodelle ausleben.

Während einige der Ge­fähr­t:in­nen monogam eingestellt sind, ist für andere auch eine polyamore Beziehung eine Option. Sex kommt natürlich auch vor. Diese Sequenzen zeigen den Geschlechtsakt expliziter als andere Spiele, ohne dabei pornografisch zu wirken.

Der Grund dafür ist, dass Schau­spie­le­r:in­nen in speziellen Anzügen in der Produktion von „Baldur’s Gate 3“ sämtliche Bewegungen der Spielfiguren ausführten, damit diese aufgezeichnet und anschließend möglichst lebensecht ins Spiel übertragen werden können.

Coaches für Sexszenen

Bei der Produktion der Sexszenen wurden Intimitäts-­Coaches eingesetzt. Die Aufgabe dieser Coaches besteht darin, sicherzustellen, dass sich alle Dar­stel­le­r:in­nen während des Drehs von intimen Szenen sicher und zu nichts gedrängt fühlen, womit sie nicht einverstanden sind.

Während Intimitäts-Coaches bei Film- und Serienproduktionen mittlerweile oft zum Einsatz kommen, ist das bei Videospielen ein Novum. Es beweist im Falle von „Baldur’s Gate 3“, dass die Ent­wick­le­r:in­nen sich ihrer Verantwortung bewusst sind.

Obwohl „Baldur’s Gate 3“ auch ein Spiel voller Humor ist, ist es dieser reife und ernsthafte Umgang mit Sexualität und Identität, der es zu einem wichtigen Meilenstein der Videospielgeschichte macht. Zum einen leistet das Spiel einen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz von diversen Geschlechteridentitäten, zum anderen führt „Baldur’s Gate 3“ das Medium Videospiel ein Stück näher an sein Ziel, als eigenständige Kunstform angesehen zu werden.

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