Ausstellung von Modefotografie: Eine Insel der Eleganz

George Hoyningen-Huene machte die Modefotografie zu einer Kunst. Die Galerie Jäger Art in Berlin zeigt seine glamourösen Bilder.

Blick in die Ausstellung von George Hoyningen-Huene bei Jäger Art

In Grautönen gemeißelten Skulpturen gleichen die Fotografien von George Hoyningen-Huene Foto: Sascha Bierl

Fast ist es eine Provokation. Wenige Tage vor Beginn der Berlin Fashion Week eröffnete in der Galerie Jäger in der Brunnenstraße eine kleine Ausstellung: 23 Schwarz-Weiß-Fotografien der Göttinnen und Götter des 20. Jahrhunderts. Im großen und kleinen Format sind elegante, sportliche, glamouröse Frauen und Männer in perfekten Posen äußerster Konzentration fotografiert – für die Ewigkeit.

Draußen auf der Straße und den Laufstegen der Gegenwart läuft das Leben etwas anders. Alle kultivieren ihre von Influencern abgeschauten Trends, die Industrie setzt auf Schnelligkeit, die Shows der Designer auf spektakuläre Vielfalt. In dieser Lage ist die Ausstellung wie eine Insel der Eleganz.

Die Fotografien stammen aus den 1930er Jahren, einige sind sehr berühmt. Reproduziert wurden sie direkt vom Original, mit der aufwendigen Technik des Platin-Palladium-Kontaktverfahrens, und die meisten stehen zum Verkauf. Ein wunderbares, von der Galerie extra zur Ausstellung gestaltetes Heft erzählt von jeder einzelnen dieser Fotografien und ihrem Meister: George Hoyningen-Huene. Man sagt, er hätte als Erster aus der Modefotografie eine Kunst gemacht.

Eleganz hat er mit der Muttermilch aufgesogen. Geboren ist er 1900, der Vater stammt aus einer estnischen Adelsfamilie, ist amerikanischer Botschafter im zaristischen Russland, die Mutter Tochter eines Politikers aus Michigan, erzogen haben ihn ein russisches Kindermädchen und eine estnische Gouvernante, die ihm mit drei Jahren Englisch beibringt.

Er folgte den Schwestern in die Modebranche

Die Familie wohnt einen Steinwurf vom Winterpalais entfernt und der junge Hoyningen-Huene lebt in der Bil­derwelt der Eremitage. Er beherrscht vier Sprachen, was ihm 1918, emigriert nach England, einen Übersetzerjob bei der britischen Armee einträgt, in Südrussland auf Seite der Weißen. Dem russischen Bürgerkrieg entkommt er nur knapp, mit Typhus und so abgemagert, dass er für vier Orangen sein letztes Unterhemd verkauft. Aber die Familie ist schon an der französischen Riviera. Er fährt sofort weiter nach Paris, wo seine beiden Schwestern schon in der Modebranche arbeiten, eine gründet ein eigenes Modehaus.

George Hoyningen-Huene: Glamour & Style, Jäger Art, Brunnenstr. 161, 10119 Berlin, Mi – Sa 12- 18 Uhr, bis 23. März

Er lernt bei dem Kubisten André Lhote das Zeichnen, arbeitet für seine Schwester und als Illustrator bei der französischen Vogue, bis man ihn, weil der exzentrische Vogue-Fotograf nicht zum Shooting erscheint, einmal an die Kamera lässt. So arbeitet er ab 1925 als Fotograf für Vogue.

Das Paris der 1920er und 1930er Jahre brodelt. Hoyningen-Huene bewegt sich im heißesten Milieu, dem der Surrealisten von Jean Cocteau und Salvador Dalí, er lernt von Man Ray neue fotografische Techniken und beginnt schließlich – mehr als Künstler denn als Mann – sich für die Frauen seiner Zeit zu interessieren. Ray möchte mit ihm zusammen eine Mappe herausbringen: die schönsten Frauen von Paris, jede mit einem besonderem Attribut, Schmuck oder Pelz oder Federn.

Hoyningen-Huene beginnt, alle Berühmtheiten um sich herum zu porträtieren: Greta Garbo, Katharine Hepburn, Marlene Dietrich, Dalí und Gala, in einer Collage neben schmelzendem Telefon und Spiegeleiern, Johnny Weiss­müller, nicht als Olympiasieger und Tarzan, sondern als der Bademeister im Schwimmbad Molitor in Paris, oder die 23-jährige Josephine Baker.

Arrangieren der Körper und Stoffe

Wo die einen in den 1920er, 1930er Jahren das „Neue Sehen“ üben und fotografisch neue Strukturen der materiellen Wirklichkeit entdecken, da arrangiert Hoyningen-Huene: Frauen, Männer, nackte Rücken, Arme, edle, schön fallende Stoffe und Falten, Vasen, Männer neben der Skulptur eines Pferdekopfs. Oft entstehen dabei geradezu geometrische Strukturen mit einer bewusst gezogenen schrägen Linie, einer senkrechten Säule oder einer Leiter, neben der drei Models in Badeanzügen und -kappen hochklettern.

Oft sind die Fotos selbst wie Skulpturen, gemeißelt in Grautönen, deren unglaubliche Feinheit der analogen Technik riesiger Kameras und großer Platten geschuldet ist. Nur im Studio mit hohem Aufwand ist sie zu realisieren.

In jedem dieser Fotos aber gibt es den magischen Punkt, etwas Unausgesprochenes. Selten schauen die Frauen den Betrachter an, träumerisch fixiert Marlenes Blick das Unendliche, und Lee Miller, in einem dunklen Raum flankiert von zwei Vasen mit weißen Lilien, schaut zur Seite. (Das Foto ist nur in dem Standardwerk von Susanna Brown zu sehen, das nächsten Monat erscheinen wird.)

Auch auf dem berühmten Foto für Bademode, Swimwear by Izod, schauen die Models, Frau und Mann, in die Ferne übers Wasser. Dass diese Ferne in Wirklichkeit nur ein auf dem Dach der Pariser Vogue-Studios aufgehängtes, gemaltes Bild ist, steht auf einem anderen Blatt. Nur Josephine Baker schaut frontal und spöttisch dem Betrachter ins Gesicht, mit einem unvermutet aufgetauchten Kinderlachen.

Blick auf eine Wand in der Ausstellung

Foto: Sascha Bierl

Hoyningen-Huenes perfekte Bilder verewigen Augenblicke. Es gelingt ihm die Inszenierung des ideale Parisfotos: Im dunstigen Hintergrund der Eiffelturm, im Vordergrund der Kofferraum einer Limousine, zwei Damen in eleganten Tageskostümen (von Lucien Lelong) reichen eine der andern die Hand, um aus dem Auto zu steigen. Die Szene ist aus dem Leben, die Geste für die Ewigkeit.

Freunde als Models

Ebenso interessant wie die Berühmtheiten Hoyningen-Huenes sind die Models. Als Beruf gab es sie bis in die 1920er Jahre gar nicht und die meisten Modefotografien wurden mit Balletttänzerinnen oder Schauspielerinnen gemacht. Er ist auch der erste, der männliche Models einführt, etwa seinen Freund Horst P. Horst, selbst ein bekannter Fotograf.

Die weiblichen Models sind Frauen mit Geschichte. Zwei von ihnen, Lee Miller und Agneta Fischer, werden später selbst Fotografinnen. Miller, Vertraute Man Rays, mit vielen abrupt wechselnden Leben, fotografiert im Zweiten Weltkrieg deutsche Städte, auch die Befreiung Dachaus, viele ihrer Fotos werden in der Vogue veröffentlicht. Miller und Fischer sind in der Ausstellung zusammen auf einem berühmten Bild zu sehen: Fischer hält eine Glaskugel, in der miniaturisiert Lee Miller schwebt – Huenes Hommage an seine Models.

Ein drittes Model, Natalia Paley, ist eine Cousine des letzten russischen Zaren Nikolaus II., eine Romanow, die in Paris sofort ihren Namen ändert, um nicht in die Schusslinie der Bolschewiki zu geraten, und später als Filmschauspielerin mit Katharine Hepburn und Cary Grant Karriere macht. Die Ausstellung zeigt ein zauberhaftes Porträt von ihr. Das zarte, ernsthafte Gesicht, der Blick diesmal direkt, steht im Kontrast zur Explosion der Federn um sie herum. Die Übertreibung einer Prinzessin im Exil.

Die Ausstellung thematisiert auch Hoyningen-Huenes Verhältnis zu den Stars des frühen Tonfilms: auf kleinformatigen Bildern sieht man Marlene Dietrich, Katharine Hepburn, Greta Garbo (deren Passfoto er später machen wird). Diese Fotos stehen nicht nur auf Du und Du mit den Ikonen des 20. Jahrhunderts. Man erfährt hier etwas über das Wesen selbst von „Ikonen“. Was unterscheidet Ikonen von Stars, Idolen oder Göttinnen und Göttern? Es scheint, als hätte Huene dieser Frage den leidenschaftlichsten Teil seines Werkes gewidmet.

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