Der Kampf um Golßen

In einer Brandenburger Ortschaft will die AfD nach der Kommunalwahl im Juni den Bürgermeister stellen. Schon heute bestimmt die Partei die Agenda im Stadtparlament mit – und attackiert selbst das Deutsche Rote Kreuz

Ein Haus in Golßen, an dem eine russische und eine deutsche Fahne hängen.

Diese Fahnen an einem Haus in Golßen haben vermutlich nichts mit der Fußball-EM zu tun Foto: Konrad Litschko

Aus Golßen Konrad Litschko

Fürs Erste haben die Rent­ner*in­nen die Sache abgewendet. Zu Dutzenden standen sie vor anderthalb Wochen abends vor dem Mehrgenerationenhaus in Golßen. Dort, wo sie sonst ihr Seniorenfrühstück oder ihren Nähkurs abhalten. Sie protestierten dagegen, dass ihnen die AfD dieses Programm wegnehmen will – oder zumindest den Betreiber, das Deutsche Rote Kreuz. So jedenfalls hatte es die Rechts-außen-Partei für diesen Abend in der Stadtverordnetenversammlung beantragt.

Dann aber trat Bürgermeisterin ­Daniela Maurer vor das Haus und verkündete, dass die AfD-Fraktion nicht zur Sitzung erschienen sei und sie ihren Antrag zurückgezogen habe. Applaus brandete in der Kundgebung auf, erinnert sich Maurer. „Mit dem Widerstand hatte die AfD wohl nicht gerechnet.“ Die Partei erklärte in einer Mitteilung, man habe um die eigene Sicherheit gefürchtet, weil zu dem Protest auch die „gewaltbereite Antifa“ erwartet worden sei. Man brauche künftig ein Sicherheitskonzept und Personenschutz. Maurer kann darüber nur den Kopf schütteln. „Das war ein völlig bürgerlicher Protest.“ Und Personenschutz hätte eher sie gebraucht, als vor zwei Jahren die AfD und Co­ro­napro­tes­tie­rer*in­nen vor ihrem Haus standen.

Für Daniela Maurer und andere Gol­ße­ner*in­nen aber ist der AfD-Vorstoß ein Vorbote dessen, was da noch kommen kann. Denn in drei Wochen, am 9. Juni, findet auch in der Südbrandenburger Stadt die Kommunalwahl statt, parallel zur Europawahl – und im Herbst die Landtagswahl. Und wie es aussieht, könnte die AfD die große Gewinnerin werden. Brandenburgweit liegt die Partei momentan bei 26 Prozent vor allen anderen. In Golßen wirbt sie für ihren Kandidaten Vincent Fuchs als „Volksbürgermeister“. „Wenn die AfD wirklich gewinnt und den Bürgermeister stellt, dann wirft das Golßen zehn Jahre zurück, mindestens“, sagt Maurer.

2.500 Einwohnende zählt Golßen, nicht weit vom Spreewald, ein kleiner Marktplatz, verschlafene Straßen, ein Großvertrieb für Spreewaldgurken. Die SPD stellt hier seit jeher die Bürgermeister*innen. Daniela Maurer ist seit 2019 in diesem Amt, das ein Ehrenamt ist. Damals war die Anfang 50-Jährige, die einen örtlichen Pflegedienst leitet, politische Quereinsteigerin. Vor fünf Jahren holte Maurers SPD 30 Prozent der Stimmen in der Stadt, knapp hinter der Unabhängigen Bürgerliste (UBL) Golßen, einer Gruppe von Mittelständler*innen, und vor der AfD mit 22 Prozent „Seitdem führe ich hier eine Minderheitsregierung“, erklärt Maurer. Denn AfD und UBL taten sich von Beginn an immer wieder zusammen, setzten schon in der ersten Stadtverordnetensitzung 2019 Vincent Fuchs als Vizebürgermeister durch.

Rechtsextremer Spitzenkandidat

In diesen Tagen sucht vor allem die AfD Präsenz. Überall in der Stadt hängen ihre blauen Plakate, am 1. Mai lud die Partei Peter Hahne auf den Marktplatz, den nach rechts abgedrifteten Fernsehmoderator. Am Mittwoch baut dort Bürgermeisterkandidat Vincent Fuchs einen Wahlkampfstand auf – ein 34-jähriger Lehramtsstudent, der bei der vergangenen Wahl noch gegen Maurer in der Stichwahl scheiterte. Fuchs plaudert mit ein paar Vorbeikommenden, verteilt Kaffee aus der Pumpkanne; wer will, kriegt auch Feuerzeuge und den Blauen Fritz, die AfD-Zeitung. Mit dabei ist auch Hans-Christoph Berndt, im weißen Hemd schüttelt auch er Hände. Auch Berndt ist ein AfD-Mann aus dem Golßener Stadtparlament, aber nicht nur irgendeiner. Denn der 68-Jährige ist auch AfD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag und Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Herbst. Sein Büro hat er direkt am Marktplatz, sein Haus steht ein Dorf weiter. Und Berndt ist vom Brandenburger Verfassungsschutz als erwiesener Rechts­extremist eingestuft.

In Golßen kann man erleben, was es bedeuten kann, wenn Leute wie Hans-Christoph Berndt und seine AfD an Macht gewinnen – schon heute. Und aktuell ist es die Sache mit dem Mehrgenerationenhaus. Seit zwei Jahren gibt es das neu sanierte Haus in Golßen, betrieben vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). „Ein Glücksfall“, wie Bürgermeisterin Maurer sagt. Krabbelgruppen treffen sich nun dort, Töpferkurse oder eben die Senior*innen. Auch die Stadtverordnetenversammlung tagt in dem Haus, ab und an auch Parteien. Kürzlich aber behauptete die AfD, dass sie in dem Haus keine Veranstaltungen mehr abhalten dürfe – und reichte ihren Antrag im Stadtparlament ein, dem DRK zu kündigen. Der Verband entscheide „einseitig“, wer sich im Haus treffen dürfe, echauffierte sich die AfD. Auf Nachfrage reagiere er mit einer „völligen Blockadehaltung“. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch „unliebsame“ Ausschussvorsitzende keine Sitzungen mehr abhalten dürften – „oder in Zukunft womöglich Bürgermeister“.

Es war ein Antrag, von dem die AfD wohl dachte, sie könnte ihn wieder mit einer Mehrheit mit der UBL durchbringen. Aber dann kamen die Senior*innen. Und auch das DRK widerspricht der AfD. „Bisher ist nach unserem Wissen keine einzige Veranstaltung ausgefallen“, so Katrin Tschirner, Sprecherin des DRK-Kreiverbands. Auch Bürgermeisterin Maurer betont: „Wir hätten die Sache ganz normal im Dialog klären können. Aber daran hatte die AfD offensichtlich kein Interesse.“

Hans-Christoph Berndt erklärt dagegen, das DRK und die Stadt hätten sehr wohl AfD-Anfragen abgeblockt. Maurer sei „parteiisch und skrupellos“. Nie habe man vorgehabt, den Rentnern ihr Programm zu nehmen – das könne ja auch mit neuem Betreiber stattfinden. Berndt gibt sich gelassen: Dann werde man die Sache eben nach der Wahl klären, mit neuen Mehrheiten.

Ebendas ist die Sorge von Daniela Maurer und anderen in Golßen: dass es so mit der AfD nach der Kommunalwahl weitergeht – und noch schlimmer wird. Und das hat auch mit Hans-Christoph Berndt zu tun. In der Stadtverordnetenversammlung halte sich dieser bedeckt, sagt Maurer. Aber Berndt kann auch anders. Bereits 2015 organisierte der Labormediziner Antiasylproteste in Golßen und Umgebung mit seinem Verein Zukunft Heimat, den der Verfassungsschutz schon lange als rechtsextrem einstuft. Berndt pflegt Kontakte auch zu Pegida oder dem ebenso eingestuften Institut für Staatspolitik. 2018 ging er zur AfD, holte zur Landtagswahl das Direktmandat im Wahlkreis von Golßen und wurde kurz darauf AfD-Fraktionschef im Landtag.

Und dort versteckt Berndt seine Ideologie nicht. Von einem „multikriminellen Sumpf“ ätzte er und vom Verfassungsschutz als „Neo-Stasi“, oder er sagte, dass man diejenigen „verjagen“ müsse, die „Heimat und Identität zerstören“. Als Berndt im April auf dem AfD-Parteitag in Jüterbog als Spitzenkandidat gewählt wurde, geißelte er den Parteienstaat, „den wir überwinden müssen“ – und pries explizit die Proteste gegen „Asylanten“ 2015 in Golßen – weil sie schon damals eine „Abrechnung“ mit der herrschenden Politik gewesen seien.

Und Berndt machte in Jüterbog klar, was er will, würde die AfD regieren: mehr Geld für Kommunen, Abbau von Bürokratie, die rechtsextreme Agenda einer „Remigration“, das Kündigen von Rundfunkstaatsverträgen oder die Abschaffung der Briefwahl und des Verfassungsschutzes.

Der AfD nicht das Feld überlassen

Und in Golßen? Berndt erzählt auf dem Marktplatz von der Idee eines medizinischen Versorgungszentrums für die Region, auch um das leer stehende Schloss müsse man sich kümmern. Dann wird es vage. „Wir haben das vor, was wir sagen“, sagt Berndt.

In der Stadtverordnetenversammlung war davon bisher nicht viel zu sehen. Anträge stellte die AfD kaum. Für die Leerung von Laubcontainern setzte sie sich ein oder für ein Entwicklungskonzept, ob Golßen noch mehr Zuwachs vertrage – was die AfD verneint. In anderen Anträgen schwenkte die Partei dagegen schlicht auf die Bundespolitik, ätzte über „die schlechteste Regierung seit Existenz der Bundesrepublik“.

Die SPD-Bürgermeisterin von Golßen, Daniela Maurer.

Daniela Maurer (SPD) ist seit 2019 Bürger­meisterin von Golßen Foto: Konrad Litschko

Sonst stimmte die AfD vor allem Anträgen der UBL zu, wo auch einige über die „Altparteien“ meckern. Anträge von Daniela Maurers SPD-CDU-Bündnis Gemeinsam für Golßen lehnten beide zumeist ab. Im Sommer 2023 setzten UBL und AfD in der Stadtverordnetenversammlung dann durch, dass Golßen aus dem Amt Unterspreewald austritt und sich künftig selbst verwaltet – ein Novum in Brandenburg. Die Amtsumlage sei zu hoch, argumentierten beide Gruppen. Maurer dagegen lehnt die Entscheidung ab. „Wir müssten jetzt als 2.500-Einwohner-Stadt eine gänzlich neue, eigene Verwaltung aufbauen, das ist doch Unsinn.“ Nun muss sie den Beschluss aber umsetzen und die Sache gegen das Land durchklagen. „Sehr zermürbend“, nennt sie das Prozedere.

AfD-Vorstöße wie zum Mehrgenerationenhaus hätten nur eine Folge, sagt Maurer, sie bremsten den Ort aus. „Das alles wirft Golßen nur zurück.“ Würde die AfD wirklich die Stadtgeschicke führen, würden sich wohl viele Ehrenamtliche zurückziehen, glaubt die Bürgermeisterin. „Und das würde Golßen wieder lähmen. Das Gemeinsame würde verloren gehen.“

Das Bündnis von Daniela Maurer will noch ein Kinderfest auf dem Marktplatz veranstalten, wirbt mit Plakaten und Flyern in der Stadt. Sie habe noch viel vor, erzählt Maurer: die Schule und Straßen sanieren, gemeinsame Projekte mit der Nachbarstadt ­Baruth und vor allem weiter eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinen, Bür­ger*in­nen und Unternehmen. Mit ihrer Tagespflege kommt sie viel herum. Anders als die AfD: Fuchs ist zwar im örtlichen Fußball- und Schützenverein aktiv, Berndt aber scheint lieber seine weit rechten Zirkel zu pflegen. Und so schaffte es die AfD, zur Kommunalwahl nur sechs Kandierende aufzustellen – beim Bündnis von Daniela Maurer sind es zwölf, bei der UBL 14.

Für Maurer ein Zeichen, dass die Wahl für die AfD vielleicht doch kein Selbstläufer wird. Nach den Erfahrungen im Stadtparlament habe sie länger überlegt, ob sie noch mal antrete, sagt sie. Dann der Entschluss: „Wir können der AfD doch nicht das Feld überlassen.“

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