Politologe über US-Demokratie: „Trump will den Apparat umbauen“

Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt plädiert dafür, Lehren aus dem Trumpismus zu ziehen und die Demokratie vor radikalen Minderheiten zu schützen.

Ein Haus, das in den Farben der US-amerikanischen Flagge gestrichen ist, im Vordergrund eine lächelnde Donald-Trump-Pappfigur

Bekenntnisdrang in Pennsylvania, April 2024 Foto: Quinn Glabicki/reuters

wochentaz: Herr Ziblatt, Sie beschäftigen sich als Politikwissenschaftler damit, wie Demokratien sterben können. Würde die US-Demokratie eine zweite Amtszeit von Donald Trump überstehen?

Daniel Ziblatt: Sie würde stark beschädigt werden. Trumps Pläne sprechen für sich: Im Time Magazine hat er gerade angekündigt, dass er das Justizsystem nutzen will, um seine Gegner zu verfolgen. Er will das Heimatschutzministerium anweisen, von Tür zu Tür zu gehen, um nach illegalen Migranten zu suchen – wie immer er diese auch definiert.

Und er will den gesamten Regierungsapparat umbauen. Eine Wahl Trumps würde nicht bedeuten, dass wir gleich einen Staat im Sinne Viktor Orbáns oder Wladimir Putins bekommen. Es würde breiten Widerstand dagegen geben. Vor allem in den Bundesstaaten, die von den Demokraten regiert werden. Aber es wäre ein Angriff auf unsere Demokratie.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Trump eine realistische Chance hat, ins Weiße Haus zurückzukehren?

51, ist Professor für Politikwissenschaften an der Harvard-Universität und seit 2020 Direktor der Abteilung Transformationen der Demokratie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WBZ). 2018 veröffentlichte er mit Steven Levitsky den Besteller "Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können".

2016 trat Trump als Außenseiter gegen das Partei-Establishment an. Ab 2023 wurde die Republikanische Partei aber Schritt für Schritt zu einer Partei, die ganz auf ihn ausgerichtet ist. Seine Gegner haben die Partei verlassen, sich in den Ruhestand verabschiedet – oder sich entschieden, dass sie Trumps Wohlwollen für ihre Wiederwahl brauchen.

Die Trump-Wähler machen den harten Kern der Republikaner aus, der in den Vorwahlen oft entscheidet, welcher Kandidat aufgestellt wird. Sie umfassen etwa 30 Prozent der US-Wahlberechtigten. Das ist wichtig festzuhalten: Zu keinem Zeitpunkt hatte Trump eine Mehrheit der ganzen Wählerschaft hinter sich.

Trotzdem hat er die Republikaner so fest im Griff …

Das hat auch mit dem System der Vorwahlen und dem Gerrymandering, dem speziellen Zuschneiden der Wahlkreise, zu tun. Durch dieses Zuschneiden kommen die meisten republikanischen Abgeordneten aus Distrikten, in denen sie keine Niederlage gegen einen Demokraten fürchten müssen. Was sie aber fürchten, ist, in den Vorwahlen der Partei gegen einen Herausforderer von rechts zu unterliegen. Deswegen rücken sie selbst immer weiter nach rechts. Und dazu tritt noch die Androhung von Gewalt.

Wie meinen Sie das?

Mitt Romney hat im Senat mit sechs anderen Republikanern für ein Impeachmentverfahren gegen Donald Trump gestimmt. Er hat danach geschrieben, dass noch mehr republikanische Senatoren dafür stimmen wollten, sie aber davor zurückgeschreckt sind, weil es Gewaltdrohungen gegen ihre Familien gab.

In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit der „Tyrannei der Minderheit“. In der Demokratietheorie steht sonst eigentlich immer die „Tyrannei der Mehrheit“ im Fokus, die Befürchtung, dass die Interessen der Minderheit in einer Demokratie mit ihrem Mehrheitsprinzip auf der Strecke bleiben.

Natürlich ist das eine reale Gefahr. Alexis de Tocqueville hat 1835 in seiner berühmten Studie „Über die Demokratie in Amerika“ vor der Tyrannei der Mehrheit gewarnt. Und wir haben zum Beispiel in Ungarn gesehen, wie eine politische Partei ihre temporäre Mehrheit missbrauchen kann, um sich an der Macht festzukrallen. Andere Denker haben aber auch schon früh über die Tyrannei der Minderheit nachgedacht. James Madison, einer der Väter der US-Verfassung, schrieb, dass das Grundprinzip einer Republik das Prinzip des Mehrheitsentscheids ist. Zu einer Demokratie gehört natürlich viel mehr als das. Aber ohne Mehrheitsentscheid gibt es eben keine Demokratie.

Im Buch beschäftigen Sie sich auch mit den Problemen der US-Verfassung. Die gibt es aber seit über 230 Jahren. Trumps Aufstieg hängt dagegen auch mit dem Wandel der Öffentlichkeit, den sozialen Medien und der gesellschaftlichen Polarisierung zusammen. Wieso schauen Sie da so stark auf die Verfassung?

Die Polarisierung durch so­zia­le Medien und die gesellschaftliche Radikalisierung beobachten wir überall in entwickelten Demokratien. Wir haben in vielen Staaten Westeuropas 20 bis 30 Prozent der Wählerschaft, die für Parteien wie Trumps Republikaner stimmen würden. Aber wenn wir die USA und Westeuropa miteinander vergleichen, sehen wir nur in den USA einen drastischen demokratischen Rückschritt.

Der Freedom-House-Score misst, wie gut es um demokratische Grundrechte bestellt ist. 2016 hatten die USA einen ­Freedom-House-Score von 100. Sie waren damit in derselben Gruppe wie Deutschland, Kanada und Großbritannien. Heute liegt er bei 84, damit sind die USA in einer Gruppe mit Argentinien und Rumänien.

Und was hat das mit der Verfassung zu tun?

Unsere Institutionen sind nicht so gut in der Lage, mit diesen Gefahren umzugehen, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Unsere Ins­ti­tu­tio­nen ermöglichen es 30 Prozent der Wähler, sehr viel Macht zu haben. Und ja, unsere Verfassung ist sehr alt und wurde kaum verändert. Das ist Teil des Problems. Die zweitälteste geschriebene Verfassung der Welt ist diejenige Norwegens. Sie wurde seit ihrer Verabschiedung Hunderte Male geändert. Die US-Verfassung nur 27-mal.

Warum ist das erst in den vergangenen Jahren zu einem solchen Problem geworden?

Die Verfassung hat ein politisches System geschaffen, worin schon immer ländliche Gebiete überrepräsentiert waren. Im 21. Jahrhundert hat sich aber etwas Entscheidendes verändert: Die Trennung zwischen Land und Stadt spiegelt jetzt die Trennung zwischen den Parteien wider. Die Demokraten repräsentieren die Städte, die Republikaner die ländlichen Gebiete. Das führt dazu, dass durch die Überrepräsentierung der ländlichen Gebiete heute die Republikaner überrepräsentiert sind. Und so kann eine Partei mit der Minderheit der abgegebenen Stimmen die Präsidentschaftswahl und die politische Macht gewinnen.

Die Republikanische Partei habe sich von der Demokratie verabschiedet, schreiben Sie.

Steven Levitsky/Daniel Ziblatt: „Die Tyrannei der Minderheit“. Übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt, DVA, München 2024, 352 Seiten, 26 Euro

Um eine demokratische Partei zu sein, braucht es drei grundlegende Dinge: Man muss die Ergebnisse von Wahlen akzeptieren; man darf keine Gewalt anwenden, um an der Macht zu bleiben; und man muss sich klar von Gruppen oder Individuen im eigenen Lager distanzieren, die gegen die ersten beiden Regeln verstoßen. Der 6. Januar 2021 und der Sturm auf das Kapitol haben gezeigt, dass die Republikanische Partei, nicht nur Donald Trump allein, sich in zunehmendem Maße von diesen Grundregeln verabschiedet.

Woher kommt diese Abkehr?

Seit den 1960er Jahren sind die USA eine immer diversere, multiethnische Demokratie geworden. Die Republikaner sind aber weiterhin eine überwiegend weiße und christliche Partei, die sich dem gesellschaftlichen Wandel widersetzt. Viele ihrer Wähler fühlen sich durch diesen in ihrem Lebensstil bedroht. Und der demografische Wandel macht es für die Republikaner in Zukunft schwerer zu gewinnen. Parteien, deren Anhänger meinen, einer existenziellen Bedrohung gegenüberzustehen, und die es schwer haben zu gewinnen, neigen aber dazu, sich von der Demokratie abzuwenden.

Was muss sich ändern?

Die Republikanische Partei muss wieder lernen, Niederlagen zu akzeptieren. Und wenn sie eine Zukunft haben will, muss sie diverser werden, um breitere Wählerschichten zu erreichen. Denn unabhängig davon, was man von den politischen Zielen der Republikaner hält, braucht es für eine Demokratie mindestens zwei Parteien, die miteinander konkurrieren. Wenn sich jede Wahl wie ein nationaler Ausnahmezustand anfühlt, weil Menschen Panik haben, dass die Re­pu­bli­ka­ni­sche Partei gewinnen könnte, ist das kein Ausweis einer gut funktionierenden Demokratie.

Und was ist mit der Verfassung?

Die wichtigste Reform wäre wohl die Abschaffung des Electoral ­College. Seine Existenz führt dazu, dass ein Präsidentschaftskandidat nicht die Mehrheit der Stimmen haben muss, um zum Wahlsieger erklärt zu werden. Besser wäre es, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden würde. Etwas, das man gleich angehen könnte, ist die Praxis des ­Filibusters im US-Senat.

Das ist einfacher zu ändern, weil er nicht Teil der Verfassung ist. Einzelne Senatoren können durch Dauerreden jede Abstimmung blockieren. Sie können nur mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden. Diese Praxis wird seit den 1990ern vermehrt benutzt. Der Senat könnte das Filibustern allein abschaffen. Das würde ermöglichen, striktere Waffengesetze zu verabschieden oder Abtreibungsrechte zu schützen. Der Filibuster ist wie die deutsche Schuldenbremse, er verhindert rationale Entscheidungen.

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