Au­to­r Evan Tepest über queere Signale: „Wonach wir greifen, entzieht sich“

Im Debütroman von Evan Tepest hadert eine queere Au­to­r:in mit ihrer Mutter. Mit essayistischen Passagen wird der Raum der Reflektion ausgeweitet.

Die kleinen Hände eines Babys greifen nach einer Hand mit lackierten Fingernägeln

Evan Tepests Roman setzt sich mit dem Genre der Mütterliteratur auseinander Foto: Bernd Weißbrod/dpa

taz: Evan Tepest, Ihr Debütroman über eine queere Au­to­r:in in der Krise trägt den vielsagenden Titel „Schreib den Namen deiner Mutter“. Was macht die Figur der Mutter literarisch so interessant?

Evan Tepest: Im Grunde haben wir alle eine traumatische Beziehung zur Mutter. Traumatisch meint hier nicht zwingend die Erfahrung von Gewalt oder Vernachlässigung. Schon die Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, emotional abhängig zu sein und sich als Subjekt in dieser Beziehung zu behaupten, kann schwierig sein. Weil alle diese Erfahrung machen, arbeiten sich schreibende Menschen mehr oder weniger explizit an dieser Beziehung ab.

Sie machen das sehr explizit. Ihre Hauptfigur Alex besucht wegen einer Beerdigung ihre Mutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hat.

Der Roman setzt sich auf eine humorvolle Art und Weise mit dem Genre der Mütterliteratur mit all ihren gesellschaftlichen, kulturellen und literarischen Referenzen auseinander. Tatsächlich löst sich im Roman nicht ganz auf, warum das Verhältnis zwischen Alex und der Mutter so schwierig ist. Alex kommt leicht depressiv in der alten Heimat an. Ihre ganze Wahrnehmung ist gedämpft, als stünde sie in einem Nebel. Wir bewegen uns mit Alex durch diesen Nebel.

35, Berliner Theatermacher, Transaktivist und Autor. 2023 erschien im März-Verlag der Essay-Band „Power Bottom“, in dem Tepest über queeres Begehren und das Potenzial der unterlegenen Position nachdenkt. Im Wintersemester 24/25 ist Tepest als Dozent für Essayistik an das Deutsche ­Literaturinstitut Leipzig berufen.

Der sich nie lichtet.

Ja, nicht einmal Alex weiß genau, was da zwischen ihr und der Mutter vorgefallen ist. Es gibt nur Andeutungen. Ich wollte vermeiden, dass das unmittelbar erzählt wird, denn ich glaube nicht, dass Trauma geradlinig erlebt und erinnert wird. Schon gar nicht, wenn Jahre oder Jahrzehnte zwischen dem Trauma und der Erinnerung liegen.

Der Roman greift in essayistischen Passagen auf, was zwischen Alex und der Mutter ungesagt bleibt. Es sind Texte, die Alex heimlich über die Mutter schreibt. Ist das nicht auch eine Form von Gewalt?

Ich finde es nicht grundsätzlich gewaltvoll, aber es ist sicher ethisch problematisch. Ich habe viel darüber nachgedacht, was es heißt, über jemanden zu schreiben. Es liegt etwas Unentschuldbares darin, über andere zu schreiben. Es bleibt immer eine Ambivalenz zurück, mit der Au­to­r:in­nen leben und sich auseinandersetzen müssen. Das ist auch bei Alex der Fall.

Alle Queers haben Mommy oder Daddy Issues“, heißt es im Roman. Ist die Beziehung zwischen Eltern und queeren Kindern besonders bedeutsam?

Evan Tepest: „Schreib den Namen deiner Mutter“.

Piper Verlag, München 2024, 192 Seiten, 22 Euro

Ja und nein. Kinder sind mit Erwachsenen konfrontiert, die ihre ganzen unbewussten Anteile mit sich herumtragen und in die Interaktion geben. Bei allen wird eine Übersetzung angestoßen, die das ganze Leben lang andauert. Wir sind also auch schwul und trans und queer, weil es eine andauernde Erfahrung mit den wichtigsten Bezugspersonen gibt. Zugleich gehen straighte und queere Menschen dabei nicht unterschiedlich vor. Aber das, was bei dieser Übersetzung herauskommt, wird bei nicht-queeren Menschen immer noch als Norm betrachtet, während man uns ständig die Frage stellt, was denn da in der Kindheit passiert ist. Würde das Außen nicht ständig „Warum bist du so?“ fragen, würde sich die Frage der Identität bei queeren Menschen gar nicht so aufdrängen. Wir müssen einfach anerkennen, dass das Werden im Leben eine menschliche Grunderfahrung ist, die uns alle eint.

Die Beziehung zwischen Alex und der Mutter ist von raumgreifender Sprachlosigkeit. Wie geht man als Au­to­r:in vor, wenn die eigenen Figuren nicht sprechen wollen?

Es brauchte eine sehr dichte Szenerie, in der die kleinen Gesten das Sprechen übernehmen und alles mit Bedeutung aufgeladen ist. Ich habe viel an den feinen Objektbeziehungen und den kargen Dialogen gearbeitet, damit sich die Spannung durch das Ungesagte hindurch transportieren lässt. Das gab mir auch die Chance, dieses kleinbürgerliche „Reden, ohne etwas zu sagen“ abzubilden. Die Figuren verweigern sich ja nicht dem Sprechen. Aber das, worum es Alex geht, wird eben nicht besprochen.

Es gibt aber auch sprechende Figuren. Ein alter Lehrer von Alex oder die junge Frau, auf die sich Alex einlässt.

Auch mit Wolfgang und Lena gibt es schwierige Momente, aber eben auch eine spürbare Emotionalität. Die Verbindung zu ihnen verlangt eine emotionale Arbeit, eine bewusste Auseinandersetzung, die Alex und der Mutter fehlt. Emotional kommt sie erst mit Wolfgang und Lena voran, die in ihrem Leben ein Zuhause gefunden haben, das Alex nicht hat.

Um die Sehnsucht, irgendwo dazuzugehören, ging es schon in Ihrem vorangegangenen Buch „Power Bottom“. In welchem Verhältnis stehen die Essays zum Roman?

Die Bücher sind kurz hintereinander entstanden, es gibt daher Themen und Figuren, die sich überschneiden. Das trifft aber auf all meine Texte zu. Ich schreibe autofiktionale Essays, journalistische Kolumnen, Prosa und Lyrik. Da gibt es wiederkehrende Figuren, parallele Gedankengänge und eine konstante Auseinandersetzung mit bestimmten Themen. So erschaffe ich mir schreibend einen Raum, indem es Bezüge und Querverweise, aber auch doppelte Böden gibt.

Unter denen dann Sätze wie „Sie fürchtete, ein Abbild ihrer Mutter zu sein, wie früher, als sie deren Ungeduld mit dem Stiefbruder in sich gespiegelt sah“ liegen, die sich wie ein aus dem Roman gefallenes Puzzleteil lesen, tatsächlich aber aus „Power Bottom“ stammen.

Ja, der Satz ist aus dem Essay „Auslaufen“, in dem es auch um Gewalt geht. Darin werden Dinge angedeutet, die der Roman stärker ausführt. „Schreib den Namen deiner Mutter“ greift das düstere Zentrum von „Power Bottom“ auf und schafft selbst wieder ein Enigma. Wie bei einer Matroschka hinterlässt auch der Roman eine Leerstelle. Weil sich immer alles entzieht, was wir zu greifen versuchen.

In den Essays ging es auch um die Frage, wie man überhaupt queere Literatur schreibt.

Mit dem Roman unternehme ich einen neuen Versuch, das zu erkunden. Meine Hauptfigur durchläuft im Roman einen Transitionsprozess. Mir war wichtig, dass das nicht die zentrale Krise ist, deshalb nimmt das Thema verhältnismäßig wenig Raum im Text ein. Aber es gibt einen Moment, in dem Alex zu einer anderen Figur sagt, „Ich glaube, ich bin keine Frau.“ Das hat dann Folgen für die weitere Erzählung.

Tatsächlich verwendet die schwer zu greifende Erzähl­instanz für Alex fortan geschlechtsneutrale Pronomen, was ein deutliches ästhetisches Signal ist. Ist es mehr als das?

Ja, es ist auch ein menschliches Signal. Ich finde es toll, dass Alex die Transition ausspricht und diese dann von einer anderen Autorität berücksichtigt wird. Dieses Zeichen der Akzeptanz hat eine Schönheit und Stärke. Ich habe bei meiner eigenen Transition die Erfahrung gemacht, dass es die Bestätigung von außen braucht.

Haben Sie deshalb auch Ihren Namen von Eva zu Evan gewechselt?

Das war tatsächlich auch einem äußeren Zwang geschuldet. Ich weiß, dass es Redaktionen gibt, denen der Umgang mit Transidentität und geschlechtsneutralen Pronomen schwer fällt. Also habe ich das so entschieden und fühle mich wohl damit.

Ist der Roman auf einer übergeordneten Ebene der Versuch, nicht-binäres Leben in der Literatur zu verankern?

Ich hatte keinen aktivistischen Antrieb. Ich finde es wichtig und gut, dass queere Themen in der Literatur vorkommen. Aber queere Au­to­r:in­nen oder Künst­le­r:in­nen müssen über alles Mögliche schreiben und in ihrem jeweiligen ästhetischen Projekt ernst genommen werden können.

Wie hat sich das literarische vom essayistischen Schreiben unterschieden?

Der Umgang mit dem Affekt ist beim literarischen Schreiben ein anderer. Wenn ich an einem Essay arbeite, dann schreibe ich zwar auch über Gefühle, nur kann ich mich immer auf die Ebene der Reflexion zurückziehen. Wenn ich Prosa schreibe, muss ich mich stärker auf diesen emotionalen Bereich einlassen. Ich stelle beim literarischen Schreiben mehr von mir zur Verfügung, weshalb sich die autobiografische Frage im Roman stärker aufdrängt.

Ist die nicht-lineare Erzählweise dann wieder ein Mittel, um das Autobiografische aufzubrechen?

Nein, für mich repräsentiert das nicht-lineare Erzählen das Leben als solches. Unsere Existenz ist viel brüchiger und wechselhafter, als wir es uns oft erzählen. Die Auseinandersetzung ist nie abgeschlossen, sondern geht immer weiter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.