Demonstration im Villenviertel Grunewald: Partystimmung im Problemkiez

Hauptsache, die Reichen werden aufs Korn genommen: Die Mygruni-Demo präsentiert sich dieses Jahr als „Großeinsatz der Spezial-Enteignungs-Kräfte“.

Eine Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift "Cum Ex, Cum Cum - aus der Traum"

Razzia in der „Hochburg der Finanzkriminalität“: Die satirische Mygruni-Demo zieht am 1. Mai durch Berlin-Grunewald Foto: Andreas Friedrichs/IMAGO

BERLIN taz | Die Teil­neh­me­r*in­nen der „Mygruni“-De­mo sind von denen der DGB-Kundgebung am Roten Rathaus leicht zu unterscheiden: Sie sind wesentlich diverser und bunter, außerdem läuft bei ihnen tanzbarere Musik.

In Mitte ist einer von drei Treffpunkten für den Fahrradzubringer zur diesjährigen hedonistischen 1.-Mai-Demo im Villenviertel Grunewald. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt: Hauptsache, die Reichen werden aufs Korn genommen. Ein Teilnehmer hat sein Fahrrad zu einem brennenden Tesla umdekoriert, ein anderer trägt eine große Polizeisirene mit der Aufschrift „Pozilei“ auf dem Kopf, auch die Cheerleader von Deutsche Wohnen & Co enteignen sind gekommen.

Schon zum sechsten Mal hat die Hedonistische Internationale mobilisiert – lediglich die Erzählung ändert sich: War man am Anfang noch als „Quartiersmanagement“ unterwegs, um den in einer Parallelgesellschaft isolierten Reichen die Hand zu reichen, lautete das Motto im letzten Jahr – auch in Zuwendung an die Klimabewegung – offensiver: „Reichtum wird enteignet (RWE)“.

Um dieser zentralen Forderung nach Umverteilung Nachdruck zu verleihen, ist die Demo in diesem Jahr als „Großeinsatz der Spezial-Enteignungs-Kräfte (SEK)“ gelabelt. Denn, so heißt es, im Viertel lebten „Lobbyist*innen und Aktionäre, Steuerflüchtige und Protagonisten des Bankenskandals“ völlig unbehelligt.

Irritierte Gesichter auf dem Ku'damm

Bei sommerlichen Temperaturen fahren die Spezial-Enteignungs-Kräfte kurz nach zwölf gemächlich durch Mitte. Immer mehr Menschen schließen sich an, bei tausenden Rad­le­r*in­nen geht es zwischenzeitlich nur im Schritttempo voran. Jeder Bereich wird von anderer Musik bespielt, sogar ein eigenes Radio haben die Mygruni-Ak­ti­vis­t*in­nen auf die Beine gestellt.

Mit Plakaten wie „Beat the rich“ und „Enteignung ist die halbe Miete“ ausgerüstet, wollen die He­do­nis­t*in­nen das Kapital bekämpfen. „Wir sind auf dem Weg zu einer Razzia im Grunewald, um der wirtschaftskriminellen Szene einen schweren Schlag zu verpassen“, ruft ein Redner über eine Lautsprecherbox den Pas­san­t*in­nem auf dem Ku’damm zu, was irritierte Gesichter, vereinzelt aber auch Beifall hervorruft.

Punkmusik im Problemviertel

Im „Problemviertel“ angekommen, herrscht bald Partystimmung. Es gibt Punkmusik, Techno, Redebeiträge, und das alles durcheinander. Weil die Grünflächen von der Polizei abgesperrt wurden, drängen sich die Menschen in den wenigen Schattenplätzen, um wahlweise der Musik oder dem Geschehen auf der Bühne zu lauschen.

Die ist liebevoll dekoriert: Das Mygruni-SEK hat einen Tatort abgesperrt, auf einem Haufen liegen beschlagnahmte Plakate mit Sprüchen wie „Defend the Rich“. Auf der Bühne stehen Menschen mit schwarzen SEK-Shirts, hinter ihnen eine teilweise eingerissene Mauer, auf die mit Graffiti „Wrecking the Walls of Capitalism“ gesprüht wurde und die schon im liebevoll inszenierten Mobilisierungsvideo Verwendung fand.

Mehrere Milliarden Tage Haft?

Es folgt eine inszenierte Pressekonferenz nach der Razzia, auf der die Beweismittel präsentiert werden: eine Schere zwischen Arm und Reich, ein Golfschläger zur Zerstörung des Sozialstaats und jede Menge Bargeld, adressiert an Finanzminister Christian L. „Weitere Razzien sind geplant“, heißt es. Schließlich handele es sich beim Grunewald um einen „zentralen kriminalitätsbelasteten Ort“, dessen Villenbe­woh­ne­r*in­nen von Steuerhinterziehung und Cum-Ex-Deals profitierten und damit Milliardenschaden verursachten.

„Der Grunewald darf kein rechtsfreier Raum bleiben“, sagt Arne Semsrott vom Freiheitsfonds. Während die Reichen straffrei blieben, müssten Menschen wegen Kleckerbeträgen in den Knast, kritisiert der Aktivist, der mit seiner Initiative schon hunderte Schwarz­fah­re­r*in­nen aus dem Gefängnis freigekauft hat. Semsrott erzählt von einen Fall, bei dem eine Person wegen 60 Euro einen Monat lang in die JVA musste – hochgerechnet auf den Cum-Ex-Deal mit 31 Milliarden Euro Schaden wären das mehrere Milliarden Tage Haft, rechnet er vor und plädiert für eine größere soziale Mischung in den Knästen.

Auch das Bündnis Görli zaunfrei darf als Experte für kriminelle Hotspots nicht fehlen. Anders als in der „Hochburg der finanzkriminellen Szene in Grunewald soll in Kreuzberg hart durchgegriffen werden“, kritisiert eine Rednerin. „Sollen sie doch den Grunewald einzäunen“, meint sie. Doch dass das nichts bringe, könne man an diesem Tag sehen – die „kapitalextremistische Szene“ in Grunewald sei trotz der eingezäunten Grünflächen weiter aktiv.

Als Hymne des diesjährigen Protests dient eine Adaption des Miley-Cyrus-Klassikers „Wrecking Ball“. Auf einer eigenen Bühne schwingt eine Abrissbirne an einem Kran, darauf der Dadaismus-Künstler Pastor Leumund, umgeben von einem Chor der He­do­nis­t:in­nen und der Hoffnung, die Mauern des Kapitalismus einzureißen. Oder, wie Leumund zur Einstimmung sagte: „Zerschmettern wir die Mauern zwischen oben und unten, zwischen Obdachlosigkeit und Dritt-Porsche.“

Im Pyro-Nebel findet der Auftritt seinen Abschluss, ehe sich der Demonstrationszug formiert, um den Reichen einen Hausbesuch abzustatten – bevor es zurück ins beschauliche Zentrum von Berlin geht.

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