Propalästinensisches Zeltlager: Nur Hummus oder auch Hamas?

Die Teil­neh­me­r*in­nen eines propalästinensischen Camps beklagen Repressionen der Polizei. Laut Medienberichten sollen einige Terror verharmlosen.

Zeltlager auf der Reichstagswiese

Die Polizei ist immer in der Nähe: Propalästinensisches Zeltcamp auf der Reichstagswiese Foto: Jörg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Unter den Augen patrouillierender Po­li­zis­t*in­nen schlürfen sie Milchreis und heiße Schokolade im Schneeregen. Wenige Meter entfernt liegt am Montagmorgen eine Leichentrage, bedeckt von der Palästina-Flagge. Darauf eine Babypuppe, eingewickelt in Palästina-Schal. „Völkermord – Deutschland ist wieder dabei“ und „Stoppt die Waffenlieferungen“ steht auf Transparenten dahinter.

Seit knapp zwei Wochen zelten unter dem Motto „Besetzen gegen Besatzung“ propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen vor dem Reichstag. Sie veranstalten Workshops, Kundgebungen, zeigen Dokumentarfilme. „Aktuell sind wir rund 40 Menschen, abends bis zu 100“, erzählt Ethan. Er ist seit Samstag im Zeltlager. Gegründet hatte sich das Camp im Vorfeld des Palästina-Kongresses Mitte April, den die Polizei bereits am ersten Tag aufgelöst und verboten hatte.

Die Hauptforderung der Aktivist*innen: ein sofortiges Ende der Waffenlieferungen, ein Ende der Besatzung sowie die Umsetzung des Rückkehrrechts für alle Flüchtlinge. Zudem sollen alle Parteien, die an „Kriegsverbrechen, am Völkermord und am Leid des palästinensischen Volkes beteiligt sind“, zur Rechenschaft gezogen werden.

Dabei fühlen sie sich von der Polizei schikaniert. Tag und Nacht würden Mannschaftswägen das Camp bewachen, erzählt James. Er kocht für die Campteilnehmer*innen. Morgens würde die Polizei prüfen, ob die Zelte am richtigen Ort stünden. „Abends nehmen sie dann die Menschen in Gewahrsam“, sagt er – warum, wüssten sie nicht. Angemeldete Demonstrationen hätte die Polizei nicht zum Camp durchgelassen. „Das ist der Polizeistaat“, sagt James.

Ak­ti­vis­t*in­nen beklagen polizeiliche Repressionen

„Sie legen uns täglich neue willkürliche Einschränkungen auf“, erzählt auch Ethan. Seit einigen Tagen dürfe man nicht mehr „Fuck you“ in Verbindung mit einem Namen, etwa Netanjahu oder Scholz, sagen. „Fuck you Israel“ hingegen ginge. Außerdem dürften Redebeiträge generell nur auf Deutsch und Englisch, und erst ab 18 Uhr auch auf Arabisch abgehalten werden. „Sie haben wohl Schwierigkeiten einen Dolmetscher zu finden und fürchten, dass wir terroristische Pläne schmieden“, sagt James. Auch Gebete auf Arabisch habe die Polizei untersagt, genauso wie Gesänge auf Irisch bei einem Workshop. Hebräisch sei auch verboten.

„Die Polizeipräsenz ist sehr unangenehm und schüchtert uns ein“, sagt Ethan. Unterkriegen lassen sie sich davon nicht. Als die Polizei am Sonntag stundenlang mit grimmiger Miene und verschränkten Armen an ihrem Buffet gestanden habe, hätten Campteil­neh­me­r*in­nen gewitzelt: „Passt auf, da ist die Hamas im Kuchen!“

Nur ein Witz? Der Tagesspiegel berichtet, dass Teil­neh­me­r*in­nen des Camps mit Hassbotschaften und Vernetzungen zu radikalen Gruppen im Netz aufgefallen seien. Demnach soll einer der Teilnehmer bei einer Rede antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet haben. Zudem soll die genannte Person Anhänger der Al-Aksa-Brigaden sein, dem bewaffneten Arm der Fatah. Den Recherchen zufolge sollen weitere Personen im Camp Sympathien für Extremisten und Terrororganisationen hegen. So hätten etwa zwei Personen auf Instagram mit Schusswaffen und Macheten posiert oder in Posts zur „Ermordung von Israelis“ aufgerufen und Zitate von Adolf Hitler verbreitet.

„Die Vorwürfe, dass unser Camp als Rückzugsort für Menschen dient, die Terror verherrlichen, lehnen wir ab“, sagt eine Sprecherin der taz. „Wir sind ein offenes Bündnis für Menschenrechte für alle. Wer Ansichten vertritt, die mit unserem Selbstverständnis nicht übereinstimmen, den würden wir aus der Kundgebung entfernen.“ Das sei bisher noch nicht geschehen. Präsent im Camp ist auch der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Für Montagabend etwa hatte die Gruppe zum Auftakt des Pessachfestes ein „antizionistisches Seder“ angekündigt.

„Jüdische Stimme“ ist bei dem Camp präsent

Die „Jüdische Stimme“ äußert sich regelmäßig verharmlosend in Bezug auf den Terror der Hamas. Nur wenige Tage nach dem Massaker am 7. Oktober hatten sie auf ihrer Webseite geschrieben: „Was nun geschehen ist, glich einem Gefängnisausbruch, nachdem die Insassen zur lebenslangen Haft verurteilt wurden, nur weil sie Pa­läs­ti­ne­nse­r:in­nen sind.“ Aus dem Verein heraus heißt es auch, dass mit dem 7. Oktober klar gewesen sei, „dass Israels Antwort schrecklich ausfallen“ werde. Dass dies der Hamas ebenso klar gewesen sein muss, erwähnen sie dagegen nicht. Auch hier verwahrt sich die Sprecherin gegen den Verdacht der Terrorverharmlosung, im Gegenteil, diese Gruppe positioniere sich „gegen den Staatsterror gegen die Palästinenser*innen“.

Die Sprachauflagen der Polizei zeigen aus ihrer Sicht: „Wir stehen unter Generalverdacht. Andere Veranstaltungen, etwa in Solidarität mit der Ukraine, unterliegen nicht solchen Auflagen“, sagt sie. Inzwischen hätten sie zumindest ein Zeitfenster mit der Polizei ausgehandelt, in dem arabische Sprachmittler vor Ort seien. „Dabei ist es unser Recht, unsere Versammlung in den Sprachen abzuhalten, die wir wollen“, findet die Sprecherin.

Dass die Polizei mit Sprachverboten agiere, sei „unüblich“, sagt auch der Rechtsanwalt Michael Plöse, der die Campteil­neh­me­r*in­nen juristisch berät. Es zeige, dass die Polizei überfordert sei. „In der Regel können sie bei Versammlungen absehen, welche Sprachmittler sie brauchen.“ Ein internationaler Dauerprotest sei da komplexer. Die Polizei habe aber die Pflicht sich darauf einzustellen. Seines Wissens nach habe die Polizei Angebote der Veranstalter, vereidigte Dol­met­sche­r*in­nen zu stellen, abgelehnt.

Polizei steht unter politischem Druck

„Die Polizei agiert unverhältnismäßig“, sagt Plöse. „Die Staatsanwaltschaft verfolgt aktuell alle möglichen Meinungsäußerungen. Deswegen ist die Polizei gehalten viel zu dokumentieren. Denn teils werden sie erst hinterher auf strafrechtliche Inhalte geprüft.“ Die Polizei ziehe so Leute aus der Versammlung, ohne dass in dem Moment klar sei, ob die Äußerung strafbar ist. Das erhöhe das Risiko für Teilnehmer*innen. „Letztlich sind das nur Meinungsäußerungen, die die Polizei hier massiv verfolgt“, so Plöse.

Ziemlich offensichtlich ist, dass die Polizei unter politischem Druck agiert. Bereits das Verbot des Palästina-Kongresses hatten führende Politiker*innen, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), im Vorfeld gewünscht – und damit quasi angekündigt. Das Camp befindet sich direkt vor dem Bundestag. Wenn von dort Bilder um die Welt gehen mit einem Banner, das Ter­ro­ris­t*in­nen unterstützt oder Israel das Existenzrecht abspricht, ist das aus Sicht der Politik sicher etwas anderes, als wenn solche Plakate bei einer Demo auf der Sonnenallee gezeigt werden.

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