Autorin über Gewalt bei Geburten: „Kinder kriegen und Klappe halten“

Verbale Übergriffe und körperliche Gewalt: Gebärende machen belastende Erfahrungen im Kreißsaal, sagt Lena Högemann. Warum das so ist und was sich ändern müsste.

Eine Hebamme und ihr Auszubildender stehen in einem Simualtionslabor, auf dem Bett liegt der Dummy einer Gebärdenen. Der Auszubildende hält ein Dummy-Baby hoch

Im Still Lab trainieren angehende Hebammen mit Ganzkörpersimulatoren die Geburt, sowohl als Hausgeburt, wie auch im Kreißsaal Foto: Friso Gentsch/picture alliance

taz: Frau Högemann, der erste Satz Ihres Buches lautet: „Der Tag, an dem ich Mutter wurde, war der schlimmste Tag meines Lebens.“ Was ist passiert?

Lena Högemann: Von uns Frauen wird erwartet, dass wir den Tag der Geburt unseres Kindes als glücklichen Tag erleben. Aber ich habe an keinem anderen Tag solche Fremdbestimmung, Übergriffe und Demütigung erlebt wie an dem Tag, als ich Mutter wurde.

Können Sie konkreter werden?

ist Journalistin, Jahrgang 1982. Sie veröffentlichte 2024 das Buch: „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen! Was Frauen für eine selbstbestimmte Geburt wissen müssen.“

Psychisch war es furchtbar. Die Hebamme hat mir von Anfang an gesagt: Was ich mache, reiche nicht, das werde so nichts. Als ich weinte, sagte sie, das würde mir jetzt auch nicht helfen. Körperlich ging es los mit Wehentropf und PDA, also der Betäubung übers Rückenmark, beide Eingriffe waren medizinisch nicht nötig und wurden mir überhaupt nicht erklärt. Das habe ich aber erst verstanden, als ich später meine Akte gelesen habe.

Hebamme und Ärztinnen wollten offenbar, dass ich mein Kind schneller kriege – die Kreißsäle waren ja voll. Ein Dammschnitt wurde mir dann nicht einmal mehr angekündigt. Meine Tochter kam schließlich per Saugglocke zur Welt. Es war ein Albtraum.

Ist das nicht eine Erfahrung, die viele Frauen so machen?

Doch, genau das ist ja das Problem. Ich habe für mein Buch mit rund 30 anderen Müttern und Vätern gesprochen. All diese Frauen haben bei der Geburt psychische, verbale und körperliche Gewalt erfahren. Einige besonders krasse Fälle: Eine Frau berichtet, wie der Eingang ihrer Gebärmutter gewaltvoll aufgedehnt wurde.

Bei einer weiteren hat die Narkose für den Kaiserschnitt nicht gewirkt, aber sie wurde nicht gehört. Beim sogenannten Kristeller-Manöver, bei dem Ärz­t*in­nen starken Druck auf den Bauch der Gebärenden ausüben, riss vermutlich die Milz einer Frau. Mehrere Gebärende haben berichtet, sie hätten sich unter der Geburt gefühlt wie Vieh. Das darf nicht sein.

Sie haben Schätzungen des Vereins Mother Hood hochgerechnet, wie viele Frauen ihre Geburt als Belastung empfinden. Das trifft auf 130.000 bis 280.000 Frauen jährlich zu – bei 680.000 bis 700.000 Geburten jährlich. Warum ist das gesellschaftlich kaum ein Thema?

Da sind wir sehr schnell beim Patriarchat: Kinder kriegen und Klappe halten. Frauen sollen sich ja auch nicht über ungerecht verteilte Care-Arbeit beschweren. In vielen Bereichen wird uns nicht zugestanden, Ungerechtigkeiten zu thematisieren oder zu ändern. Bei Geburten wird das besonders deutlich. Wir befinden uns in einer sehr verletzlichen Situationen, wenn wir Kinder bekommen.

Viele Frauen trauen sich nicht, während der Geburt zu widersprechen oder fragen sich hinterher, was sie falsch gemacht haben. Ich selbst habe mich monatelang gefragt, ob ich das Verhalten meiner Hebamme mit irgendetwas provoziert hatte. Mich haben ihre Aussagen jahrelang nicht losgelassen.

Kann es selbstbestimmte Geburten letztlich überhaupt geben? Schließlich haben ja Gebärende nicht generell medizinische Expertise.

Natürlich ist da ein Machtgefälle zwischen Ärzt*innen, Hebammen und Gebärender. Zudem schwebt über einer Geburt immer die Drohung, dass dem Kind etwas passieren könnte. Natürlich muss dann getan werden, was nötig ist. Genau das setzt Frauen unter Druck, weil sie ihr Kind ja nicht gefährden wollen. Aber diese hochgefährlichen Situationen betreffen viel weniger Frauen als die, die ihre Geburt als gewaltvoll erleben. Es ist nicht nur in der Geburtshilfe so – aber hier scheint es mir besonders zutreffend zu sein, dass Betroffenen von Gewalt nicht zugestanden wird, betroffen zu sein.

Was würde helfen?

Man kann zum Beispiel beeinflussen, welchen Geburtsort man wählt und ob man sich dort wohlfühlt. Kliniken sind Dienstleister – und ich kann woanders hingehen, wenn ich das möchte. Zudem gibt es eine Leitlinie zur vaginalen termingerechten Geburt. Die beschreibt den höchsten Stand der Wissenschaft, aber sie wird leider oft nicht angewendet. Wer sie vorher zumindest gelesen hat, kann im Zweifel mitreden, wenn Dinge passieren, die nicht gewollt sind – oder der Partner oder die Partnerin kann mitreden.

Das Ziel unter der Geburt ist, die Entscheidung für das, was als nächstes passiert, gemeinsam zu treffen. Viele Frauen sagen zum Beispiel, sie hätten gespürt, dass eine bestimmte Position für sie nicht funktioniert. Aber Ärz­t*in oder Hebamme hätten schlicht gegen ihren Willen gehandelt.

Also sind Hebammen und Ärz­t*in­nen das Problem?

Lange nach der Geburt meiner Tochter habe ich mit dem Chefarzt der damaligen Klinik gesprochen, der sinngemäß sagte: Das war eine gute Geburt, ich solle doch jetzt auch mal das Positive daran sehen. Ich habe ihn ausgelacht, aber das Gespräch war letztlich sehr heilsam für mich, weil ich das System verstanden habe. Natürlich kann man mit einzelnen Personen Pech haben.

Aber letztlich funktioniert das System nicht. Es wird über Fallpauschalen finanziert und setzt damit für Geburten völlig falsche Anreize: Je mehr man eingreift, desto mehr Geld bekommt die Klinik. Eine Geburt, die natürlich verläuft und lange dauert, rentiert sich einfach nicht. Dazu kommt überfordertes Personal: Manche Hebammen müssen drei Frauen unter der Geburt gleichzeitig betreuen. Das ist Wahnsinn, sowohl für die Hebamme als auch für die Gebärenden. Und schließlich gibt es zum Beispiel ein Phänomen, das Coolout genannt wird: Zu viel Stress und zu hohe Arbeitsbelastung führen bei manchen dazu, dass sie abstumpfen und keine Empathie mehr empfinden können.

Die Krankenhausreform soll das System der Fallpauschalen beenden. Wird sich damit also die Geburtshilfe verbessern?

Dass wir ein System bekommen, in dem es gar keine Fallpauschalen mehr gibt, glaube ich nicht. Es ist im Gespräch, das anteilig zu verschieben, sodass ein Teil der Einnahmen unabhängig von den Eingriffen wäre. Das wäre ein wichtiger Schritt. Alternativ könnte man eine neue Fallpauschale für eine natürliche Geburt einführen. Der Deutsche Hebammenverband hat dazu schon ein Modell vorgestellt.

Das Problem bei der Krankenhausreform ist aber, dass Ge­burts­me­di­zi­ne­r*in­nen und Hebammen überhaupt nicht eingebunden waren. Und nur, weil es vielleicht irgendwann keine finanziellen Fehlanreize für die Eingriffe mehr gibt, heißt das nicht, dass Routinen aufgebrochen werden, in die Geburt einzugreifen. An der Haltung der Ärz­t*in­nen und Hebammen in der Klinik muss sich etwas ändern. Sie müssen lernen, die Geburt als einen natürlichen Prozess zu sehen.

Sie zitieren die Forscherin Tina Jung, die von einer starken Internalisierung und Normalisierung von Gewalt in der Geburtshilfe schreibt. Was heißt das?

Dass gesagt wird, wir machen das hier so, wir machen das immer so, und Sie machen mit – oder wir können für nichts garantieren. Dann wird im schlimmsten Fall auch noch als Hilfe verpackt, was gewaltvolle Übergriffe sind. Und das führt eben zu einer Normalisierung. Ich bekomme unglaublich viele Nachrichten von Menschen, die Gewalt unter der Geburt betrifft, die das aber jahrelang überhaupt nicht benennen konnten. Es wird viel zu wenig darüber gesprochen, was Gebärende erleben und was das mit ihnen und ihren Kindern macht.

Sie fordern eine neue Geburtshilfe. Wie würde die aussehen?

Manches könnte man schnell umsetzen: verpflichtende Schulungen für eine sensible Kommunikation und zur Gewalt unter der Geburt, gerade für Hebammen und Ärzt*innen. Die jüngeren machen seit Kurzem keine Ausbildung mehr, sondern studieren dual. Die lernen, Geburt auf Augenhöhe zu begleiten. Die erkennen Gewalt und wollen Geburten eben nicht so fremdbestimmt begleiten – aber natürlich gibt es trotzdem alte Strukturen und Hierarchien. Die aufzubrechen, würde bedeuten, dass wir uns als Gesellschaft fragen: Wie wollen wir Geburt begleiten?

Wie denn?

Die Fallpauschalen darf es bei Geburten nicht geben, und die Kliniken brauchen mehr Geld für Personal. Die Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden steht sogar im Koalitionsvertrag, ist aber bisher nicht umgesetzt. Das ist ein Unding.

Sie schreiben, dass Ihnen viel Ablehnung für Ihr Buch entgegenschlägt. Wie erklären Sie sich das?

Ich kann verstehen, dass sich Ärz­t*in­nen und Hebammen aufregen, weil da eine Journalistin und Mutter kommt und ihnen sagt, wie viele Menschen ihre Arbeit erleben. Das ist eine normale Abwehrhaltung.

Sie schreiben, es gebe auch Mütter, deren Kinder nichts von den traumatischen Geburten wissen und die Ihnen vorwerfen, Sie würden Angst und Schrecken verbreiten.

Es gibt sehr viele Frauen, die mir schreiben, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die Informationen suchen und die fordern, dass sich etwas ändert. Aber es gibt auch die, die sagen, dass ihr Kind nichts von ihren Erfahrungen wissen soll, weil es dann möglicherweise denkt: dass die Geburt furchtbar war, bedeutet, dass es nicht geliebt wird. Das eine hat mit dem andren nichts zu tun. Meine Tochter kennt ihre Geschichte, und sie weiß, dass wir beide unter der Geburt gelitten haben. Wir konnten nichts dafür, dass wir das erlebt haben. Ich bin sehr froh, für meine zweite Geburt einen ganz anderen Ort gefunden zu haben und dort von einer sehr unterstützenden Hebamme begleitet worden zu sein.

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