Biografie Klaus Nomi: Ein viel zu kurzes Sängerleben

Spaciges Outfit, überragende Stimmgewalt: Klaus Nomi war ein ästhetisches Gesamtkunstwerk. Monika Hempel hat eine Biografie geschrieben.

Ein Mann mit weiß geschminktem Gesicht, dunklen, spitzen Lippen und einer roten Jacke

Total Eclipse: 1973 zog Klaus Nomi nach New York und fiel David Bowie auf, 1983 starb er an Aids Foto: Peter Noble/Redferns/Getty Images

Do you Nomi?“, erkundigte sich der Mitte der siebziger Jahre nach New York gezogene Klaus Jürgen Sperber bei neuen Bekanntschaften in Anspielung auf seinen Künstlernamen, was klingt wie: „Do you know me? – Kennen Sie mich?“

Doch das war eine rhetorische Frage. Wurde doch der in jeder Hinsicht extravagante Klaus Nomi aufgrund seiner schrillen Outfits in der Undergroundszene am Hudson River bekannt wie ein bunter Hund. Mehr noch: Niemand konnte singen wie der schwule Nebenerwerbskonditor aus dem Allgäu. Wirklich keiner. Seine Singstimme war Kontertenor, die höchste Stimmlage, die den damaligen Konventionen gemäß nur Frauen oder, in graueren Vorzeiten, Kastraten vorbehalten war.

Wahrlich eine „Stimme im Orbit“, wie der Untertitel von Monika Hempels Buch über Nomi lautet. Ihre Biografie zeichnet den Lebensweg des 1944 in Immenstadt geborenen Kriegskindes nach, der keine 40 Jahre alt wurde. Nomi starb als eines der frühesten Aids-Opfer einen einsamen Krankenhaustod, verlassen von allen.

In Nomis faszinierendem Lebensweg überschneidet sich die Geschichte der erfolgreichen Selbstbefreiung eines schwulen Arbeiterkindes in widrigen Zeiten mit der Tragödie eines Genre- und Gendergrenzen transzendierenden Ausnahmekünstlers, der aufgrund seines vorzeitigen Todes nie sein volles Potential hat realisieren können.

Monika Hempel: „Klaus Nomi. Stimme im Orbit“. Verlag Andreas Reiffer, 2024. 288 Seiten, 22 Euro

In Deutschland vergessen

In seinem Heimatland ist er mittlerweile weitgehend vergessen – zu Unrecht. Umso verdienstreicher, dass Monika Hempel Klaus Nomi durch ihr detailliert recherchiertes Buch wieder in unser Bewusstsein hebt. Nicht nur konsultierte sie seinen Nachlass, die Biografin sprach ebenso mit vielen Lebensgefährten, Freundinnen und Bekannten des Sängers.

Seine Gesangslehrer an der Berliner Universität der Künste hatten ihm verunmöglicht, die angestrebte Karriere als Opernsänger zu machen. Bis zur Deutschen Oper brachte es Klaus Sperber daher lediglich als Platzanweiser, der mit seiner einzigartigen Stimmgewalt auf der Bühne nur außerhalb der Öffnungszeiten vor seinen Kollegen singen konnte.

Notgedrungen verlegte sich Sperber daher auf ein Repertoire aus Popsongs und Opernarien, mit dem er in den Schwulenlokalen West-Berlins wie dem legendären „Kleist Kasino“ reüssierte. Seine grenzgängerische Stilmischung war eine Hommage an Sperbers musikalische Kindheitsidole, Elvis und Maria Callas. Der große Zuspruch, den er für seine Auftritte erhielt, ermutigte ihn dann 1973, nach New York zu ziehen.

Nomi starb als eines der frühesten Aids-Opfer einen einsamen Krankenhaustod, verlassen von allen.

Einladung von David Bowie

In dem kreativen Mekka, das New York Mitte der 1970er darstellte, wollte Sperber jene Karrierechance zu ergreifen, die ihm in Deutschland verwehrt geblieben war. Und da er trotz aller Widrigkeiten von elender Armut bis fehlender Arbeitserlaubnis eisern durchhielt, erhielt er diese Chance. Nämlich in Form einer Einladung von David Bowie, ihn bei einem prestigeträchtigen Auftritt in der TV-Show „Saturday Night Live“ als Backgroundsänger zu unterstützen.

Bowie, der britische Superstar, war auf den deutschen Paradiesvogel nicht nur aufgrund seines Repertoires aufmerksam geworden, sondern vor allem wegen des singulären Stylings aus Kostümen, Schminke und Bühneninszenierung.

Als die beiden zur Vorbereitung des Auftritts ein erstes Gespräch führten, stellte sich heraus, dass sie sich bereits vorher begegnet waren. Als Bowie nach Ende des japanischen Asts der „Ziggy Stardust“-Tour mit der Eisenbahn von Moskau nach Paris reiste, legte er einen Zwischenstopp in Berlin ein. Am Bahnhof Zoo empfing ihn eine Fanmenge, zu der auch Klaus Sperber gehörte.

Er diente sich dem Superstar sogar als Kofferträger an. Da man zudem gemeinsame Freunde in Berlin hatte, ergab sich bald ein reger Kontakt zwischen den Sängern, die beide auf ihre Weise mit dem Styling als Außerirdische spielten.

Aus Sperber wird Nomi

Sperber, der sich bald nach der Ankunft in den USA in Nomi umbenannt hatte, wirkte wie ein Alien, der sich in retro-futuristischen Outfits auf der Bühne als androgynes Zwitterwesen darstellte, das man hilflos einzuordnen versuchte etwa als „singenden Mutanten“, „galaktischen Pierrot“ oder „kastrierten Weltraumroboter“.

Nomis Erscheinung war ein ästhetisches Gesamtkunstwerk, zu dem neben dem spacigen Outfit auch der starre Blick, die roboterhaften Mensch-Maschinen-Bewegungen und die starre Mimik unter dem dick aufgetragenen Make-up gehörten, bei dem sein Gesicht weiß gepudert war und die Lippen mit schwarzer Lackfarbe scharfkantig akzentuiert wurden. Hinzu kam der bewusst forcierte deutsche Akzent, mit dem Nomi seine Fremdartigkeit noch betonte.

All dies sorgte dafür, dass er nicht nur eine queere Androgynität ausstrahlte, sondern sich geradezu die Frage aufdrängte: War das überhaupt ein Mensch oder nicht? Nomi nämlich verkörperte eine Androgynität jenseits aller Androgynität.

Bowie sang bei seinem TV-Auftritt eine fulminante Version von „The Man Who Sold The World“, während Nomi wie eine eigentümliche Mischung aus Graf Dracula und Alien hinter ihm stand. Zwar verabredete man weitere Kollaborationen – Bowie meldete sich aber nie mehr. Dass Nomi keine vier Jahre nach dem gemeinsamen Auftritt tot sein würde, konnte damals niemand ahnen.

Publicity-Boost

Der Coup eines Auftritts mit Bowie gab Klaus Nomi dennoch den Publicity-Boost, um endlich sein Debütalbum aufnehmen zu können, das nach diversen Irrungen und Wirrungen schließlich 1981 titellos als „Klaus Nomi“ beim Majorlabel RCA erschien, für das damals auch Bowie tätig war.

Und plötzlich nahm man den vertriebenen Sänger – der sich in New York jahrelang finanziell so gerade durchgeschlagen hatte, indem er Linzer Torten und Zitronenkuchen an renommierte Institutionen wie das Guggenheim Museum lieferte – auch in Deutschland wahr. Nomi trat Mitte 1982 sogar in Thomas Gottschalks TV-Sendung „Na sowas!“ mit seinem Hit „Total Eclipse“ auf und stand, von einem großen Orchester begleitet, im Dezember des gleichen Jahres auf der Bühne der vom Bayerischen Rundfunk übertragenen „Klassik-Rock-Nacht“.

Klaus Sperbers utopischer Traum vom Erfolg als Sänger hatte sich über den Umweg New York also erfüllt, jedoch war er bei seinen deutschen TV-Auftritten bereits erkennbar geschwächt. Zurückgekehrt in seine Wahlheimat, ging es bergab mit seiner Gesundheit. David Bowie hatte ihn zwar versetzt, doch als durch Nomis lange Krankenhausaufenthalte in New York eine immense Rechnung auflief, die der vom Tod gezeichnete Nomi nicht bezahlen konnte, sprang Bowie diskret ein und beglich die komplette Summe.

Klaus Nomi stirbt einsam an Aids

Hempels reich illustrierte Biografie zeichnet den letzten Abschnitt im Leben von Klaus Nomi in trauriger Ausführlichkeit nach. Sie zeigt, wie ­unfassbar herzlos man zu Beginn der Epidemie, die damals noch „Schwulenpest“ hieß und als über die Luft übertragbar galt, mit den Todgeweihten umging. Nomi starb einsam, nur seine des Englischen unkundige Mutter kümmerte sich um ihn. Anfang August 1983 war er tot.

Während seiner Trauerfeier, so kolportiert Hempel, sei ein Gewitter losgebrochen, das die Gedenkreden an Nomi mit lauten Donnerschlägen begleitete. Ein fulminantes Ende für das viel zu kurze Leben des Klaus Sperber, dessen Asche wunschgemäß über New York verstreut wurde. R.I.P. Klaus Nomi, Ausnahmeerscheinung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.