Die Wahrheit: Rüffel vom Rechnungshof

Die gänzlich wahre Moritat von einem, der auszog, um Zahlen über Zahlen zu fressen, und daran scheiterte, dass es keine Ecken zum Anbeißen gab.

Mann vor Brücke

Rüffel auf der Suche nach falsch geplanter Brücke Foto: Amelie Losier

Von Natur aus sind Rüffel gar nicht gemein, sondern mitfühlend und freundlich. Zu ihrem Unglück sind sie aber auch immer hungrig, weswegen Rüffel oft von Rechnungshöfen in Ministerien, Behörden und Staatsbetriebe geschickt werden. Sie sollen dort große Zahlenmengen fressen.

So war es auch bei unserem Rüffel. Und weil unser Rüffel ganz besonders hungrig war und selbst die enormsten Zahlen keine große Nummer für ihn darstellten, war er nicht irgendein Rüffel, sondern der Rüffel vom Rechnungshof. Nur sahen ihn die Menschen dort nicht besonders gern und raus durfte er nur, wenn es etwas zu rüffeln gab. Doch draußen gefiel es Rüffel noch weniger. Rüffel sind soziale Wesen, aber überall, wo er hinkam, begegneten ihm die Menschen abweisend.

Als er wieder einmal unvernichteter Dinge nach Hause kam, wartete schon sein Chef auf ihn. „Rüffel“, sagte der, „langsam musst du mal wieder Erfolge verspeisen, der Rubel muss rollen, Geld wächst nicht auf Bäumen, es wird nur aus ihnen gemacht. Kurz: Unsere Rüffel müssen Leistung bringen!“ Sonst, so der Chef, werde man sich einen neuen Rüffel suchen und ihn, den alten, zu einer dieser Brücken ins Nichts oder zu einer überteuerten Bushaltestelle schicken. Oder auf einen unbeliebten Spielplatz mit ganz komischen Geräten, wo es dann kaum etwas zu fressen gibt und nur ab und an eine Satiresendung auf der Suche nach der größten Verschwendungsfalle zu Besuch kommt.

Also zog Rüffel am nächsten Tag voller Einsparpotenzial los. Zuerst ging er zur Deutschen Bahn, hier hatten seine Vorgänger noch immer die eine oder andere Leckerei gefunden. Die Bahn wollte ihm zwar gern helfen, konnte ihm jedoch keine großen Zahlen zum Fressen geben. „Die Zahlen sollten eigentlich längst da sein“, sagte die Bahn und fuhrt fort: „Sind sie aber leider nicht.“ Und auf dem Rückweg musste Rüffel einsehen, dass die Bahn wirklich keine Zahlen zu entbehren hatte, denn selbst der ausgefallene Zug hatte noch Verspätung.

Am nächsten Tag versuchte er es bei einer anderen aussichtsreichen Futterquelle: den Krankenkassen. Hier ließ man ihn erst sehr lange warten und schickte ihn dann voller Bedauern wieder weg. „Unseren Zahlen geht es nämlich gar nicht gut, sie sind ganz blass, ja kaum zu erkennen, willst du die etwa fressen?“, fragten die Krankenkassen. Wollte Rüffel natürlich nicht. Er könne aber ruhig später, noch lieber viel später, versuchen, einen Termin zu bekommen, rieten ihm die Krankenkassen. Und auf dem Rückweg musste Rüffel einsehen, dass die Krankenkassen wirklich alle noch halbwegs gesunden Zahlen brauchten, denn die Leute schnieften und röchelten, als hinge ihr Leben davon ab.

Jetzt, dachte sich Rüffel, probiere ich mal was Neues und gehe zu einer Digital-Agentur nach Berlin! Hier war man sehr nett zu ihm, allerdings konnte Rüffel nur Einsen und Nullen finden, aber keine einzige große Zahl, nicht mal hinter dem Designerfahrrad an der Wand. Und das ging scheinbar nicht nur ihm so. „Kannst du uns nicht beim Suchen helfen?“, fragte die Digital-Agentur, „du gehst doch bestimmt auch den ganzen Tag ins Internet.“ Aber Rüffel konnte große Zahlen leider nur fressen, nicht ausspucken.

Wieder kehrte Rüffel niedergeschlagen heim. Um seinem Chef nicht gleich unter die Augen treten zu müssen, nahm er allerdings einen anderen Weg als sonst. Da kam er durch ein Viertel, in dem er noch nie gewesen war. Große Häuser standen dort in großen Gärten hinter großen Zäunen. Bei solchen Häusern, dachte sich Rüffel, gibt es sicher ganz besonders große Zahlen. Und als er die Anwohner freundlich nach den großen Zahlen fragte, schlugen die ihm ihre großen Türen vor der Nase zu, so überflüssig fanden sie es zu erwähnen, dass es hier große Zahlen gäbe.

Glücklich ging Rüffel nun nach Hause. Im Rechnungshof berichtete er seinem Chef von seiner Entdeckung. Der sah ihn mit traurigem Augen an. Er wisse selbstverständlich von den großen Zahlen in den großen Häusern. Schon oft hatten Rüffel sich dort mal so richtig sattfressen wollen, doch die Zahlen seien derart groß und gewichtig, dass kein Rüffel dort je eine Ecke zum Anbeißen gefunden habe. Und dagegen könne auch er als Chef nichts machen.

So zieht der Rüffel vom Rechnungshof bis heute hungrig durch Behörden und Ministerien, durch Verbände und Vereine. Die großen Häuser in den großen Gärten – die aber hat er nie mehr vergessen.

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kari

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