Foto-Aktivismus von Claudia Andujar: Das Spirituelle ins Bild gesetzt

Die Ausstellung „Claudia Andujar. The End of the World“ zeigt die 92-jährige Fotografin als Kämpferin für die Rechte der indigenen Yanomami.

Eine Reihe schwarz-weißer Poträtfotos der Yonamami von Claudia Andujar

Blick auf „Die Markierten“ in der Ausstellung „Claudia Andujar. The End of the World“ im PHOXXI/Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Als die Militärjunta sie aus dem Amazonasgebiet vertreiben wollte, reiste Claudia Andujar erst recht zu den Yanomami nach Nordbrasilien, wieder und wieder. Mit 35.000 Menschen bilden sie die größte indigene Gruppe der Region. Andujar hat mit ihnen gelebt und ihr Vertrauen errungen. Die Fotografin konnte so das Leben der Yanomami dokumentieren und damit auch öffentlich machen, wie gefährdet es durch Bergbau, Viehzucht, Krankheiten und Vertreibung ist.

„Claudia Andujar. The End of the World“: Deichtorhallen Hamburg, bis 11. August 2024

Denn eigentlich wollen sich die abgeschieden lebenden Yanomami aus spirituellen Gründen nicht ablichten lassen. Aber für den Kampf um die eigenen Rechte haben sie es Andujar, deren Fotoarbeiten jetzt eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen gewidmet ist, gestattet.

Dabei war die 1931 in der Schweiz geborene, in Ungarn aufgewachsene Tochter eines jüdischen Vaters, die im Holocaust etliche Verwandte verlor, vor den Nazis zunächst in die USA geflohen. Dort studierte sie Humanwissenschaften und begann zu fotografieren. 1955 zog sie zur Mutter nach São Paulo. Solange sie noch kein Portugiesisch sprach, kommunizierte sie durch Fotos.

1971 traf sie im Zuge eines Fotoauftrags die Yanomami. Durch Wirtschaftsinteressen waren sie in ihrem Lebensraum bedroht. Andujar verschrieb sich fortan dem Kampf für deren Rechte. Als Mitgründerin der Pro-Yanomami-Kommission erreichte sie nach etlichen Kampagnen 1992 endlich die Anerkennung einer großen, zusammenhängenden Fläche für die Yanomami durch Brasiliens Regierung.

Die Impfkampagne und ihre „Markierten“

Eine wichtige Etappe war auch die Impfkampagne der 1980er Jahre, um die Yanomami gegen eingeschleppte Krankheiten zu immunisieren. Andujars Fotos der Serie „Die Markierten“, derzeit in der Hamburger Schau zu sehen, zählen zu den interessantesten und ambivalentesten ihrer insgesamt 60.000 Bilder, die etliche Preise erhielten. Für die Impfkampagne hat Andujar eine Reihe Schwarz-Weiß-Porträts von Müttern mit Babys und Jugendlichen angelegt. Alle haben Schilder mit Zahlen umhängen.

Psychedelisches Bild, auf dem eine indigene Person mit nacktem Oberkörper über ein Gebirge geblendet ist

Psychedelische Überblendungen: Claudia Andujar, „Ekstase“ (2002), aus der Serie „Yanomami Dreams“ Foto: Claudia Andujar, Courtesy Galeria Vermelho, São Paulo

Das weckt unangenehme Assoziationen an die Tätowierungen von KZ-Häftlingen, mit denen die Nazis sie für den Tod markierten. Aber da die Yanomami keine portugiesischen Namen haben, seien die Nummern zur Identifizierung nötig gewesen, hat Andujar einmal zu der Por­trät­reihe gesagt. Außerdem seien diese Menschen, anders als die KZ-Opfer, „für das Leben markiert“ worden. Als selbst vom Holocaust Betroffene ist Andujar des Bagatellisierens der NS-Verbrechen unverdächtig.

Anders als auf kolonialistischen Vermessungsfotos schauen die Menschen auf ihren schwarz-weißen Porträts nicht als starre Objekte in die Kamera, sondern mal nachdenklich, mal verschmitzt, mal verhalten stolz. Andujar sucht auch nicht, wie der Anthropologe Claude Lévi-Strauss, das romantisierte „Ursprüngliche“. Sie ergeht sich nicht in eurozentristischem „Staunen“. Sie zelebriert keine Melancholie ob des Verschwindens einer Kultur, sondern sucht es, ganz Politaktivistin, zu verhindern, indem sie wertungsfrei darstellt, wer da bedroht ist.

Wie die mit dem Ethnopoeten Hubert Fichte in den 1960er Jahren durch Afrika, Brasilien, die Karibik gereiste Fotografin Leonore Mau bildet Andujar die Menschen und ihre Rituale würdevoll, aber nicht exotistisch ab. Aber anders als Mau, die distanziert-ehrfürchtig auf indigene Kulturen und Rituale schaute, geht Andujar über das Dokumentarische hinaus: Sie sucht die spirituelle Erfahrung selbst ins Bild zu setzen, indem sie mit Überblendungen und Infrarottechniken arbeitet.

Die männliche Sphäre halluzinogener Erfahrung

Da taucht zum Beispiel ein Männerkopf der Serie „Das Haus“ mit weit geöffneten Augen in eine Dimension außerhalb des Bildes und jenseits der materiellen Welt. Gemeinsam mit der Fotografin bleibt man vor der Schwelle stehen, betritt nicht die tabuisierte, Männern vorbehaltene Sphäre halluzinogener Erfahrung.

In der 2002 entstandenen, mit Überblendungen älterer Fotos arbeitenden Serie „Yanomami Dreams“ wiederum verschmilzt ein Gesicht mit einem Baum, getreu dem Glauben der ­Yanomami an die familiäre Verbundenheit von Mensch, Tier, Pflanze, Stein. Dieses spirituell geschützte Ökosystem ist anhaltend bedroht, und auf dem ­Nebenbild bildet die Gischt den Himmel, den Schamanen vergeblich mit Stöcken stützen. Und eigenartig, wie flach dagegen die durch Infrarot-Technik gelben Hochhäuser São Paulos wirken, der Eindimensionalität ewigen Wirtschaftswachstums verschrieben.

Das auch die Yanomami weiter bedroht: Im November 2023, nach Ende der Amtszeit Jair Bolsonaros, lebten 20.000 illegale Goldsucher ungehindert im Reservat der Yanomami, verseuchten Wasser und Boden. Der neue Präsident Lula da Silva wollte die Goldsucher zwar vertreiben. Doch im Dezember 2023 votierte der brasilianische Kongress dagegen, das indigene Gebiet zu schützen. Die Arbeit der heute 92-jährigen Claudia Andujar bleibt ­aktuell.

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