Urteil gegen Göttinger Professor: Nötigung, kein „Patscher“

Erneut musste sich ein Göttinger Professor wegen Übergriffen auf Studentinnen verantworten. Das vorherige Urteil wurde noch einmal verschärft.

Ein Bambusstock in den Händen eines Mannes

Gruselige Vorstellung: Ein Göttinger Professor schlug Mitarbeiterinnen in seinem Büro auch mit einem Bambusstock (Symbolfoto) Foto: Peter Dazeley/Getty Images

GÖTTINGEN taz | Mit der flachen Hand oder auch mal mit einem Bambusstock hat ein Professor aus Göttingen auf Brust, Waden und Po von Mitarbeiterinnen geschlagen. Eine Doktorandin forderte er dazu auf, ihre Hose und Unterhose bis zu den Knöcheln herunterzuziehen. Es sind Tatsachen, die sowohl das Landgericht Göttingen als auch der Bundesgerichtshof (BGH) längst festgestellt haben.

Doch in einem ersten Verfahren 2022 wurde dafür lediglich eine elfmonatige Bewährungsstrafe verkündet. Staatsanwaltschaft und Nebenklage empfanden das als zu mild und legten Revision ein. Der BGH befand, dass teilweise ungenügend geprüft wurde, ob nicht auch eine Nötigung vorliegt. Der Ball wurde zurück nach Göttingen gespielt. In einer zweiten Entscheidung verschärfte das Gericht den Schuldspruch am Donnerstag auf eine Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren.

Das Landgericht musste neu bewerten, ob Betroffene dazu genötigt wurden, sich von ihrem Doktorvater schlagen zu lassen. Ihm wurde vorgeworfen, Frauen wiederholt zu sich ins Büro bestellt und die Tür abgeschlossen zu haben. Den Schlüssel soll er von der Tür abgezogen und in die Hosentasche gesteckt haben, um „Züchtigungen“ zu vollziehen.

Das Gericht wertete die Ereignisse schon im ersten Prozess als möglicherweise sexuell motiviert. Der 60-Jährige ließ das abstreiten. Es habe sich zudem um „einvernehmliche Schläge“ gehandelt.

Vorsitzende Richter: „Das ist so entwürdigend“

Einvernehmlichkeit hat es nach Auffassung der Kammer keinesfalls gegeben. Der Wissenschaftler habe einer seiner Doktorandinnen zu verstehen gegeben, dass sie in ihrer Promotion nicht weiterkommen werde, wenn sie nicht mitmache. Nach den Schlägen soll der Mann seine Arme um die Frau gelegt und sie dazu aufgefordert haben, sich zu bedanken. Nach einem „Thank you“ schloss er die Tür wieder auf. Das Ritual wiederholte sich – auch nachdem die Doktorandin in Tränen ausgebrochen war und die Danksagung verweigerte.

Dem Angeklagten müsse bewusst gewesen sein, dass er gegen ihren Willen handelte. Richter David Küttler gab zu Bedenken, dass sich eine erwachsene Person entblößt vor ihrem Vorgesetzten beugen musste. „Das ist so entwürdigend.“

Die neu zu bewertenden Fälle hatten sich 2015 ereignet. Die Verteidigerin des Angeklagten erklärte, dass es eine Art „Punishment-Agreement“ mit einer Doktorandin gegeben haben soll, um eine „Leistungssteigerung zu pushen“. Die Anwältin bezeichnete die Übergriffe zudem als „Patscher“, die „die Frau heute als Schläge bezeichnet“. Sie referierte darüber, dass „Punishment-Angelegenheiten keine Seltenheit in Vietnam“ – im Geburtsland der Nebenklägerin – seien.

Deren anwaltlicher Vertreter kritisierte diese Ausführungen zuletzt heftig, berichtete das Göttinger Tageblatt. Die Zeugin sei als unterwürfige Asiatin dargestellt worden, die es in Ordnung gefunden haben soll, geschlagen zu werden. Das sei sowohl sexistisch als auch rassistisch. Die Verteidigerin erklärte, dass es nur ihr Job sei, auf Widersprüche aufmerksam zu machen.

Beamtenstatus kann aufgehoben werden

Der Angeklagte wich von seiner Blickrichtung zum Richter am Donnerstag selten ab. Während der Urteilsbegründung schüttelte er den Kopf, mehr emotionale Reaktion ließ er nicht erkennen. Auch nicht, als Küttler erklärte, dass die Entscheidung auch „nichts mit Me Too zu tun“ habe. „Es sind eben Dinge, die schon vor 15 bis 20 Jahren nicht gegangen wären. Man kann einen Menschen nicht dazu bringen, sich Hose und Unterhose herunterzuziehen, das ist ein No-Go.“

Nachdem die Universität Göttingen von den Anschuldigungen Wind bekommen hatte, untersagte sie dem Wissenschaftler die Führung jeglicher Dienstgeschäfte und erhob eine Disziplinarklage. Das Ziel: den Beamten loswerden. Wenn das jetzige Urteil rechtskräftig wird, ist das gelungen. Denn in Fällen, in denen eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr vorliegt, erlischt der Be­am­t*in­nen­sta­tus automatisch. Die jetzige Entscheidung begrüßt die Uni laut eigener Aussage sehr, teilte sie nach der Urteilsverkündung mit.

Im ersten Urteil erklärte das Gericht noch die milde Strafe damit, dass man dem Angeklagten nicht den Verlust seines Status zumuten wollte. Jetzt hieß es, dass der Verlust des Beamtenstatus ein Reflex dessen sei, wie schwerwiegend die Taten seien.

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