Das „Missy Magazine“ über die Krise: „Auf die Community angewiesen“

Die feministische Missy wird 15 und kriselt. Ein Gespräch über die Vorteile von Slow Journalism, düstere Zeiten und wie das Magazin überleben kann.

Portrait Nelli Tügel und Marie Serah Ebcinoglu.

Nelli Tügel und Marie Serah Ebcinoglu vom Missy Magazin Foto: Doro Zinn

Die Redaktion des „Missy Magazine“ versteckt sich im obersten Stockwerk eines Hinterhauses im Berlin-Mitte. Viel Platz ist in dem Raum mit Dachschrägen nicht: Neben Tisch und Stühlen stapeln sich Hunderte Ausgaben älterer und aktuellerer „Missy“-Ausgaben. In der Mitte des Raums lässt sich rosafarbenes Papier für Videosets von der Decke herunterziehen. Hier produziert die Redaktion ihre Videos für Tiktok und Instagram. Am Dienstagnachmittag ist es in der Redaktion fast leer, neben einer Mitarbeiterin sind nur die beiden Chefredakteurinnen, Nelli Tügel und Marie Serah Ebcinoglu, im Büro. Unser Gespräch fällt in die Zeit der Schlussproduktion, in der alle Texte in acht Schleifen bearbeitet werden, bevor die Ausgabe in den Druck geht.

wochentaz: Eigentlich ist der Anlass für dieses Gespräch ein schöner: 15 Jahre Missy Magazine, doch richtige Feierstimmung kommt bei euch wohl nicht gerade auf. Finanziell war die Situation eures Magazins noch nie wirklich rosig, doch jetzt kämpft ihr ums Überleben. Was ist passiert?

Marie Serah Ebcinoglu: In den letzten vier Jahren hatten wir ein langsames, aber stetiges Wachstum. Das hat uns erlaubt, beispielsweise die niedrigen Honorare für Freie etwas anzuheben. Doch dann sind die Produk­tions­kosten gestiegen. Papierkrise und Inflation sind voll bei uns angekommen. Und natürlich auch bei unseren Abonnent*innen. Im ersten Halbjahr 2023 gab es signifikant mehr Abokündigungen von Menschen, die gesagt haben, sie können sich das Abo nicht mehr leisten trotz solidarischer Preisgestaltung. Es kam einfach alles Knall auf Knall.

Wann habt ihr realisiert, dass ihr nicht genug Geld habt, um weiterzumachen?

Nelli Tügel: An dem Tag, an dem die Zahlen für die ersten Monate des Jahres reinkamen, haben wir gesehen, wie groß die Differenz zwischen den erhöhten Produktionskosten und den geringeren Einnahmen im Vergleich zu den Vorjahren ist. Das hatten wir anders gehofft, und ab dann musste alles ganz schnell gehen. Wir haben weder Rücklagen noch einen großen Verlag im Hintergrund, sind also in so einer bedrohlichen Situation ganz auf unsere Community angewiesen. Deswegen haben wir innerhalb weniger Tage die Rettungskampagne aufgezogen.

Marie Serah Ebcinoglu, Jg. 1995, arbeitet seit vier Jahren beim Missy Magazine, erst als Praktikantin dann als Onlineredakteurin.

Nelli Tügel, Jg.1984, war vier Jahre Redakteurin bei der linken Monats­zeitung analyse und kritik, davor hat sie das Politikressort des Neuen Deutschland geleitet. Seit Sommer 2023 bilden die beiden die Chefinnenredaktion des Missy Magazine.

1.500 neue Abos innerhalb von 10 Wochen war euer Ziel. Das hattet ihr nach 48 Stunden erreicht.

NT: Viele der neuen Abo­nenn­t*in­nen waren schon Missy-Leser*innen, aber haben ihre Magazine bislang am Kiosk gekauft oder bei Freun­d*in­nen gelesen. Daran haben wir gemerkt, dass noch viel Potenzial unter unseren Stamm­le­se­r*in­nen war.

MSE: Ja, das war eine schöne Überraschung. Wir haben so viel positives Feedback bekommen, da habe ich mal wieder gemerkt, wofür und für wen ich das eigentlich mache. Die Reaktionen haben mir verdeutlicht, wie wichtig ein feministisches, linkes und unabhängiges Magazin in der deutschen Medienlandschaft ist.

Ist mit dieser Rettungsaktion jetzt euer Überleben gesichert?

NT: Zwei bis drei Ausgaben können wir damit finanzieren. Die akute Krise ist also erst einmal abgewendet, aber damit es wirklich lang- oder auch nur mittelfristig stabil ist, braucht es andere Wege.

Portrait von Nelli Tügel und Marie Serah Ebcinoglu.

Nelli Tügel und Marie Serah Ebcinoglu mit eine paar Ausgaben des Missy Magazins Foto: Doro Zinn

Könnten zahlungskräftigere An­zei­gen­kun­d*in­nen oder das Aufkaufen durch einen Verlag eine langfristige Lösung sein?

MSE: Das Aufkaufen steht nicht zur Debatte, wir wollen unabhängig bleiben. Und wir schalten nur Anzeigen von Unternehmen, die unseren Inhalten nicht völlig widersprechen, das sind vor allem Kulturproduktionen, Verlage oder Brands, die versuchen, es anders zu machen.

Das bringt nicht viel Geld, wie geht es dann weiter?

MSE: Wir wollen so transparent wie möglich gegenüber unserer Community sein und erklären, dass es stetig neue Abos braucht, damit wir überleben. Wer uns gut findet, muss uns unterstützen.

NT: Es gibt gerade einen Rechtsruck, neu gegründete rechte Medien, wie Nius, haben super viel Geld im Rücken. Wir haben es nicht. Und wenn man will, dass es eine alternative Medienlandschaft gibt, dann muss man dafür zahlen.

Fehlt es da noch an Verständnis, das Journalismus Geld kostet?

NT: Ich glaube ja, und ich kann das auch verstehen. Einige journalistische Inhalte stehen gratis zur Verfügung, zugleich müssen viele Menschen aufs Geld achten. Doch wenn man Le­se­r*in­nen vermittelt, dass wir kurz vor dem Aus stehen, sieht man auch eine Bereitschaft zu zahlen. Dafür muss aber erst einmal allen klar sein, wie die Situation ist. Nicht jede Le­se­r*in weiß, dass wir ein unabhängiger Verlag sind. Missy sieht professionell aus, viele wissen nicht, dass wir nur 20 feste Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Teilzeit haben. Aber die Resonanz auf unseren Hilferuf hat gezeigt, dass einigen Menschen bewusster wird, dass es alternative linke Medien braucht. Dafür spricht auch, dass die Rettungskampagne der linken Tageszeitung Neues Deutschland gut läuft.

Der Magazinlandschaft geht es generell nicht gut, Gruner + Jahr hat kürzlich etliche Titel eingestellt. Wieso haltet ihr noch am Papier fest?

NT: Seit es Onlinejournalismus gibt, schwebt die Diskussion, ob Print tot sei, über uns wie ein Damoklesschwert. Ich verfolge sie seit vielen Jahren, und inzwischen hat sich herausgestellt, dass zwar viel online gelesen wird, aber ich sehe noch immer ein Bedürfnis nach Gedrucktem. Die Missy ist ästhetisch schön und originell gemacht, da macht es einfach einen Unterschied, ob du etwas in der Hand halten und durchblättern kannst.

MSE: Wir bekommen auch häufiger das Feedback, dass sich Le­se­r*in­nen die Artwork ausschneiden und aufhängen, das freut mich immer. Aber das heißt nicht, dass uns online egal ist. Wir haben seit Kurzem eine neue Website. Und wir bespielen auch Instagram und Tiktok recht aufwendig. Aber für uns steht fest: Wir wollen ein Magazin machen.

15 Jahre ist eine lange Zeit für ein Magazin. Wie hat sich Missy seitdem verändert?

NT: In den Anfangszeiten wurde die Missy oft als die poppigere, jüngere Schwester der Emma gehandelt. Es gab zwar schon immer einen Riss zwischen den Magazinen, aber 2011 haben sich die Redaktionen einmal getroffen, auch wenn das seinerzeit bereits in der Missy-Redaktion umstritten war. Das wäre heute nicht mehr möglich. Der Bruch innerhalb des Feminismus ist noch deutlicher als damals. Das liegt natürlich auch am Thema Transfeindlichkeit, der ein verbindendes Element in rechten Kulturkämpfen bildet. Und das ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal von Missy, dass sie schon immer eine feministische Publikation war, die transinklusiv ist.

MSE: Das Magazin ist deutlich diverser geworden: vom Team, aber auch von den Inhalten her.

Zum 10-jährigen Jubiläum hat die damalige Chefredakteurin Anna Mayrhauser im Gespräch mit der taz gesagt, dass Missy politischer geworden ist. Seht ihr das auch so?

NT: Auf jeden Fall. Und das hat sich in den letzten fünf Jahren auch noch einmal verstärkt. Nicht weil die Missy-Gründerinnen nicht politisch genug waren. Die gesellschaftlichen Bedingungen haben sich verschärft. Die AfD gab es noch gar nicht, als die Missy gegründet wurde. Aber auch die Kampagne gegen trans Menschen oder etwa die Klimakrise sind krasser geworden. Die Grundstimmung ist düsterer, und das spiegelt sich auch in Missy wider. Sie ist immer noch auch ein Popmagazin mit Fun und Glitter, aber sie ist ernsthafter geworden.

MSE: In den früheren Ausgaben gab es mehr Witz und Verspieltheit wie DIY-Projekte, mehr Mode oder Tests. Früher dominierte ein frauenzentrierter Feminismus, der beispielsweise dafür kämpfte, die Position von Frauen im Kulturbetrieb zu stärken. Missy wollte der Presse etwas entgegensetzen, in der Männer über Männerthemen schrei­ben. Heute vertritt Missy einen intersektionalen und inklusiven Queerfeminismus.

Obwohl ihr inklusiv sein wollt, gibt es gibt immer wieder den Vorwurf, dass das Magazin zu anspruchsvoll und akademisch ist. Auch ich muss beim Lesen immer wieder Begriffe googeln. Ist das so gewollt?

NT: Grundsätzlich finde ich, dass Journalismus zugänglich sein muss. Deswegen versuche ich beim Redigieren und Schreiben, alle Dinge, die zu voraussetzungsvoll sind, zu erklären. Aber Voraussetzungen sind eben unterschiedlich. Es gibt Dinge, die ich für selbstverständlich halte, die Serah nicht kennt, und umgekehrt. Und das ist der Grund, warum am Ende vielleicht in jeder Ausgabe ein paar Begriffe stehen, an denen sich die Geister scheiden, ob sie gängig sind oder nicht. Was mir in den letzten Jahren aber verstärkt aufgestoßen ist, ist, dass es eine besondere Aufmerksamkeit für das Thema Zugänglichkeit gibt, wenn es um Begriffe aus dem Queerfeminismus oder etwa um das Gendern geht. Wenn die FAZ den Gastbeitrag eines ­Altphilologen veröffentlicht, verstehe ich auch manchmal nichts. Da aber gilt es als okay, kompliziert zu schreiben.

Die Bedrohung sind vielfältiger geworden: Kriege, Rechtsruck, Klimawandel und queer- und frauenfeindliche Angriffe. Feministische Antworten werden damit immer wichtiger. Wie entscheidet ihr, wo ihr hinguckt?

NT: Letzte Woche hat Serah bei einer Veranstaltung schön formuliert, dass wir Slow Journalism betreiben. Wir versuchen uns nicht von tagespolitischen Sachen unter Druck setzen zu lassen. Manchmal kitzelt es eine schon, dass man nicht sofort über alles schreiben kann, was relevant erscheint. Aber wir versuchen, das als Vorteil zu nutzen, und gucken dann dahin, wo die Kol­le­g*in­nen gerade nicht hingucken, weil sie mit den tagespolitischen Krachern beschäftigt sind.

MSE: Unser Ziel ist es, keinen Diskussionen hinterherzulaufen oder uns von Hypes unter Druck setzen zu lassen. Aber wir behalten sie natürlich im Auge und überlegen, was Diskurse sein könnten, die uns langfristig begleiten werden und die wir mitprägen wollen. Unsere Frage ist dabei immer: Was finden wir inhaltlich wichtig und findet sonst keinen Platz in der deutschen Medienlandschaft?

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wird es das Missy Magazine in 5 Jahren noch geben?

NT: Ich bin da sehr optimistisch.

MSE: Alles andere würden wir gar nicht hinnehmen.

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