Angriffe auf Lehrkräfte: Die Gewalt ist zurück

Körperliche Attacken auf Lehrkräfte haben in Niedersachsen wieder zugenommen. Lehrkräfte sehen die Schuld daran auch bei vielen Eltern.

Ein leeres Klassenzimmer.

Zuhause ein liebes Kind, in der Schule nicht: In Niedersachsen nimmt die Gewalt gegen Lehrkräfte zu Foto: Michael Weber/imago

HAMBURG taz | Erst am Montag mussten sich ein Elternpaar und ihre erwachsene Tochter wegen des Vorwurfs der Beleidigung und Bedrohung einer Lehrkraft in Vechta vor Gericht verantworten. Der Sohn beziehungsweise Bruder war von einer Realschule in Damme verwiesen worden, woraufhin die Angeklagten ins Sekretariat der Schule gestürmt sein sollen, um den Lehrer zu bedrohen, der den Verweis ausgesprochen hatte. Das Amtsgericht Vechta verurteilte die drei Angeklagten nun zu Geldstrafen.

Angriffe auf Leh­re­r:in­nen nahmen in Niedersachsen in den vergangenen Jahren wieder zu: Waren es in 2021 noch 121 Fälle von Körperverletzung gegen Lehrkräfte, wurden im darauffolgenden Jahr 159 Fälle in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst, wie aus einer Anfrage der Deutschen Presse-Agentur beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen hervorgeht. Damit sind die Zahlen um rund 30 Prozent gestiegen und nähern sich wieder dem Vor-Corona-Jahr 2019 an, in welchem 197 Fälle bekannt wurden.

„Sicherlich ist Gewalt an Schulen kein neues Phänomen, vielmehr hat es das leider schon immer gegeben“, erklärt die Sprecherin des Niedersächsischen Kultusministeriums. Im Jahresbericht Jugend 2022 des LKA wird der Anstieg dieser Gewalt aber vor allem pandemiebedingt erklärt.

Neben der angestiegenen psychischen Belastung junger Menschen durch Zukunftsängste und Überforderung würden die Einschränkung des Soziallebens in alltäglichen Lebensbereichen wie Schule, Sportvereinen oder selbst im ÖPNV nun gewisse „Nachholeffekte“ mit sich ziehen. Wichtige Entwicklungsschritte von jungen Menschen konnten nicht ausgelebt und Konflikte nicht in Gruppen aufgearbeitet werden. Da die persönliche Auseinandersetzung wieder weniger im virtuellen Raum als in der echten Welt stattfindet, würde Frust vermehrt im Schulkontext ausgetragen.

Einzeln sind Kinder harmlos

Zusätzlich gebe es aber auch vermehrt Missverständnisse durch Sprachbarrieren mit insbesondere ukrainischen Schüler*innen. Das sei nicht unbedingt förderlich für das ohnehin steigende Aggressionspotenzial, befürchtet der Vorsitzende des Verbandes Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL), Torsten Neumann. „Es gibt eine Verrohung in der Gesellschaft“, sagt er. Früher hätten sich Kinder der fünften Klasse nicht getraut, ei­ne*n Zehntklässle­r*in zu beleidigen, heute beginne das schon in der Grundschule. Solche Dynamiken entstünden vor allem in Gruppen – einzeln seien die Kinder meist harmlos.

Neumann stellt aber auch eine mangelnde Kooperation seitens der Eltern fest. Selbst wenn ihre Kinder offensichtlich einen Fehler begangen hätten, stünden sie oft nicht mehr hinter den Erziehungsmaßnahmen der Schule oder würden die Schuld sogar auf die Lehrkräfte übertragen. Das nähmen die Kinder auf und reagierten entsprechend. „Viele von ihnen verstehen nicht, dass ihre Kinder, die zu Hause lieb und nett sind, es in der Schule nicht sind“, sagt der Vorsitzende des VNL.

Derweil kommt aus der Landtagsopposition der Vorschlag, die Schulsozialarbeit sowie die psychologischen Beratungsdienste auszubauen. Der kultuspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Christian Fühner schlägt vor, die im Rahmen des niedersächsischen Aktionsprogramms „Startklar in die Zukunft“ geschaffenen befristeten Arbeitsplätze „nachhaltig in den Stellenplan des Landes zu verankern“.

Das Programm stellt Sondermittel bereit, um Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Auswirkungen der Coronapandemie zu unterstützen. Dadurch würde unter anderem die Organisation von Ferienfreizeiten und Festen, aber auch die Digitalisierung in der Kinder- und Jugendarbeit gefördert.

Der VNL-Vorsitzende Neumann wünscht sich aber vor allem mehr Rückendeckung von den Schulbehörden. Oftmals würden von den Schulen getroffene Erziehungsmaßnahmen, die schlimmstenfalls im Ausschluss vom Unterricht enden können, zum Nachteil der Schule abgewiesen. Unter diesen Bedingungen gebe es wenig Aussicht auf Verbesserung, sagt er. Immer weniger junge Menschen wollen hinsichtlich des steigenden Respektverlustes gegenüber Lehrkräften an Schulen arbeiten. Die Politik müsse diesem Trend entgegenwirken.

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