Arbeitsbedingungen bei der Ernte: So wird Saisonarbeit ausgebeutet

Eine Studie berichtet von unwürdigen Arbeitsbedingungen in deutschen Erdbeer- und Spargelbetrieben. Auch die EU-Kommission erhebt Vorwürfe.

Eine Kiste mit Erdbeeren

Bei der Erdbeerernte durch SaisonarbeiterInnen versuchen die Betriebe oft zu sparen Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Die Spargelsaison ist in vollem Gang. Während sich viele Menschen in Deutschland an mit Sauce Hollandaise getränkten Mahlzeiten und frischen Beeren erfreuen, bedeutet die Jahreszeit für andere Knochenarbeit und kaum verhohlene Ausbeutung. Wie die Entwicklungsorganisation Oxfam und die Initiative Faire Landarbeit in einer neuen Studie berichten, leiden ArbeiterInnen in Spargel-, Erdbeer- und Gemüsebetrieben unter Lohndumping, unverhältnismäßig hohen Mieten und mangelndem Krankenversicherungsschutz.

Der Studie zufolge drücken die Betriebe die Löhne systematisch, indem sie Saisonkräfte nach einem komplizierten System aus Stundenlöhnen und Akkordvergütungen bezahlen, die sich nach der geernteten Stückzahl richten. Bei Letzteren seien die Zielvorgaben oft nicht erreichbar. ArbeiterInnen werfen den Arbeitgebern ferner vor, falsche Angaben in der Arbeitszeit­erfassung zu machen.

Um die eigenen Kosten weiter zu drücken, berechneten die Betriebe zudem hohe Abzüge von den Löhnen. Laut Oxfam müssten die ArbeiterInnen für spartanisch eingerichtete Gemeinschaftsunterkünfte oft mehr Miete zahlen als für das Leben in deutschen Großstädten. Der Agrarreferent der Organisation, Steffen Vogel, kritisiert: „Für eine Baracke ohne Küche verlangt einer der Betriebe 40 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche Kaltmiete in der Münchner Innenstadt liegt bei 23 Euro. Hier werden alle Spielräume ausgenutzt, Menschen um ihren gerechten Lohn zu bringen.“

Auch den Arbeitsschutz missachten die Betriebe offenbar eklatant. So seien Arbeitskräfte oft unzureichend oder überhaupt nicht krankenversichert, schreibt Oxfam, das für die Studie mit ArbeiterInnen von vier deutschen Spargel- und Erdbeerbetrieben gesprochen hat. Für einen Großteil von ihnen würden die Betriebe private Gruppenversicherungen abschließen, die schlechteren Schutz bieten als gesetzliche Versicherungen. Auch können kranke ArbeiterInnen demnach einfach gefeuert werden. Einer der Betriebe, die am stärksten in der Kritik stehen, ist Spreewaldbauer Ricken aus Brandenburg. Auf Anfrage der taz bestreitet er die Vorwürfe.

Der Einzelhandel macht Druck

Dass Saisonkräfte so behandelt werden, liegt Oxfam zufolge auch an dem Preisdruck, den der Einzelhandel auf die Betriebe ausübe. Tim Zahn, Referent für globale Lieferketten bei Oxfam, konstatiert: „Die Supermärkte stehlen sich hier seit Jahren aus der Verantwortung, sie müssen endlich dazu gebracht werden, angemessene Preise zu zahlen.“

Bisher hat Oxfam vorwiegend über Probleme auf anderen Kontinenten aufgeklärt. Die aktuelle Studie zeigt aber, dass Bedingungen, die in der Peripherie oft stillschweigend akzeptiert werden, teils auch vor der eigenen Haustür herrschen. Ein Arbeiter resümiert: „Das hier ist nicht Europa.“

Keine „europäischen“ Arbeitsbedingungen? Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die EU-Kommission. Deutschland schütze SaisonarbeiterInnen aus Drittstaaten nur unzureichend und verstoße damit gegen eine Richtlinie. Die Behörde hatte im April deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das neben Deutschland auch neun andere Staaten betrifft. Können sie die Vorwürfe nicht ausräumen, wird das Verfahren womöglich vor dem Europäischen Gerichtshof landen.

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