Ankerverbot in Berlin: Bugwelle der Verdrängung

Eine neue Verordnung verbietet unbemanntes Ankern und Stillliegen auf der Spree. Hausboot­bewohner:innen und Kulturflößen droht das Ende.

Ein Hausboot liegt in der Rummelsburger Bucht

Nicht kommerziell genug, zu alternativ? Hausboot in der Rummelsburger Bucht Foto: Sergej Glanze/Funke Foto Services/imago

BERLIN taz | In der Rummelsburger Bucht an der Halbinsel Stralau schaukeln die Boote gemächlich vor sich hin. Doch die Idylle auf diesem Seitenarm der Spree zwischen Friedrichshain und Lichtenberg, Heimathafen für Dutzende Be­woh­ne­r:in­nen von Hausbooten, aber auch für eine alternative Kulturszene ist trügerisch.

Tatsächlich herrscht derzeit große Aufregung um eine neue Rechtsverordnung. Die verbietet das Stillliegen von Booten außerhalb von genehmigten Liegeplätzen entlang von 35 Kilometern der innerstädtischen Spree künftig selbst für kleine Boote unter 20 Meter Länge. Geankert werden darf nur noch in Spree-Nebengewässern wie der Rummelsburger Bucht. Doch eine neue Anwesenheitspflicht auf den Booten macht das Wohnen auf ihnen quasi unmöglich.

Die Verordnung regelt eine Abweichung von der bundesweit gültigen Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung und tritt am 1. Juni für zunächst drei Jahre in Kraft. Bekannt wurde sie mit der jüngsten Veröffentlichung des Bundesgesetzblatts – überraschend für all jene, die auf Berlins Gewässern unterwegs sind. Bei einem eilig einberufenen vierstündigen Treffen des Vereins Spree:publik, eines Zusammenschlusses der Kunst- und Kulturflöße, sei der „Schock“ groß gewesen, berichtet Vorstandsmitglied Max Bayer der taz.

Was bleibt, sind viele Fragezeichen: Wie konnte eine Regelung so schnell Wirklichkeit werden, die vor drei Jahren noch erfolgreich verhindert werden konnte? Was ist die Motivation dahinter? Und: Wie geht man nun damit um? „So sehr eingeschränkt und in Gefahr habe ich den Freiraum Berliner Wasserstraße noch nie gesehen“, sagt Bayer.

Dabei hat das linke Floßkollektiv „Anarche“, zu dem auch Bayer gehört, angesichts eines angemieteten Liegeplatzes noch Glück. Hier kann das Boot auch weiterhin ohne Ankerwache, also ohne beaufsichtigende Person liegen. Anders verhält es sich etwa mit dem Kulturfloß „Unkraut“, das ohne eigenen Platz gleich in der Nähe liegt. „Wir fühlen uns nach aufgeben und wissen nicht, ob wir unsere Kultur- und Sozialevents überhaupt noch durchführen können“, heißt es aus dem Kollektiv. Die neue Verordnung werde „viele Be­woh­ne­r:in­nen aus der Bucht vertreiben“, so die Einschätzung.

Wie konnte eine Regelung so schnell Wirklichkeit werden

Einer jener Betroffenen ist Emanuel Ott, der seit fünf Jahren auf einem „kleinen Holzhausbötchen“ in der Rummelsburger Bucht lebt. Als Selbstständiger muss er regelmäßig an Land arbeiten, auch wenn er das Boot „nie für lange Zeit“ verlasse. Doch selbst das soll künftig verboten sein. In den Bereichen der Spree, in denen entfernt vom Ufer geankert werden darf, neben dem Rummelsburger See etwa an der Großen Krampe in Müggelheim oder auf der Müggelspree, muss sich dann eine beaufsichtigende Person „ständig an Bord aufhalten“, wie es in der neuen Verordnung heißt. Ott sagt: „Es ist aber unmöglich, immer an Bord zu sein.“ Bislang war es erlaubt, das Boot einen Tag lang unbeaufsichtigt zu lassen.

Ott hat Angst, dass sein alternatives Lebensmodell „illegalisiert“ wird. Treffe die Wasserschutzpolizei künftig ein Boot ohne Besatzung an, werde eine Strafe von 55 Euro fällig, die im Wiederholungsfall auch verdoppelt werden könne. Wie er und die anderen Betroffenen mit der neuen Regelung umgehen werden, ist noch nicht entschieden: Die Möglichkeiten reichen von Abwarten und im Falle von Strafen möglichst kollektiv Widerspruch einlegen bis zur Gründung von Ankerverbänden mit anderen Booten, die dann von einer Ankerwache beaufsichtigt werden. Dies erlaubt die neue Verordnung explizit.

Ginge es nach dem schwarz-roten Senat, wäre in Zukunft nicht einmal das möglich. Wie eine Sprecherin auf taz-Anfrage mitteilte, hat sich die zuständige Senatsverkehrsverwaltung in einer Stellungnahme zu der neuen Verordnung „für ein flächendeckendes Stillliegeverbot auf nicht zugelassenen Liegestellen ausgesprochen“. Das wäre das Ende der Möglichkeit, auf Berliner Gewässern zu leben.

Das zuständige Bundesverkehrsministerium war jedoch der Auffassung, dass das „nicht die strengen Anforderungen erfüllt, die seitens der Verwaltungsgerichte hieran hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gestellt werden“. Doch die Hoffnung, die Spree von nichtkommerziellen Angeboten zu befreien, hat man beim Senat noch nicht aufgegeben: Demnach hat das Bundesministerium „in Aussicht gestellt, strengere, weitergehende Maßnahmen in die Wege zu leiten, sofern die jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht erfolgversprechend sein sollten“.

Auch Ang­le­r:in­nen sind betroffen

Um welche Erfolge es geht, kann nur gemutmaßt werden. In der Vergangenheit hatten neben Lärmbeschwerden vor allem Schiffswracks, teils auch sinkende Boote in der Rummelsburger Bucht für Unmut gesorgt. Vor drei Jahren hatte sich daher der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der seinen Wahlkreis in Lichtenberg hat, für ein Ankerverbot starkgemacht. Dazu kam es aber nicht, auch weil sich die damals noch grün geführte Senatsverwaltung dagegen ausgesprochen hatte. Zuvor hatte der Verein Spree:­pu­blik lautstark gegen ein Ankerverbot getrommelt.

Denn laut Spree:­pu­blik wird die Verordnung den beabsichtigten Zweck nicht erfüllen. „Leidtragende sind in erster Linie diejenigen, die auf den Booten leben, diese angemeldet haben und ordnungsgemäß mit ihnen umgehen“, sagt Bayer. Gegen sie sei es leicht, Strafen zu verhängen. Anders verhalte es sich mit Be­sit­ze­r:in­nen von Schrottboten, die gar nicht ausfindig zu machen seien. Bayer bezweifelt, dass Berlin überhaupt die Mittel dafür habe, Bootswracks abzuschleppen und zu verschrotten. Das Problem werde fortbestehen, während die Be­woh­ne­r:in­nen und Nut­ze­r:in­nen von Kulturangeboten drangsaliert würden.

Und womöglich nicht nur die: Vor drei Jahren hatte die grüne Senatsverwaltung noch vor Auswirkungen auf alle anderen Was­ser­nut­ze­r:in­nen gewarnt: etwa auf Wassertourist:innen, die dann auch nicht mehr anlegen können. Bootsbewohner Emanuel Ott weist darauf hin, dass auch Ang­le­r:in­nen betroffen sind. Auch die müssten ankern, um ihrer Tätigkeit nachzugehen, das ist aber auf der Spree, abgesehen von ihren Nebenarmen, nun nicht mehr gestattet. Ott meint: „Ich bezweifle, dass diese Verordnung gut durchdacht ist.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.