2023 – Jahr der Klimarekorde: Extrem ist das neue Normal

In Deutschland und weltweit war 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Industrialisierung. Das nächste könnte nochmal schlimmer werden.

Ein brennender Baumstamm und viele abgebrannte Bäume

Mandra, Griechenland, 18. Juli 2023: Sind Waldbrände die neue Normalität? Foto: Louiza Vradi/reuters

GENF/BERLIN dpa/taz | Extreme Hitze. Extremer Regen. Extreme Stürme. Im Jahr 2023 ist die Klimakrise in aller Welt zu spüren gewesen. Allein in Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum waren Millionen Menschen betroffen: Im Juli gab es fast 50 Grad auf Sardinien, im August die verheerenden Waldbrände in Griechenland. Im September erschütterte eine schreckliche Starkregen-Katastrophe in Libyen mit Tausenden Toten die Welt. Solche Extremereignisse seien leider das neue Normal, sagte der Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, schon im Sommer. Drastische Klimaschutzmaßnahmen seien nötig.

In Deutschland lag die Temperatur 2023 nach Angaben des Deutschen Wetterdiensts (DWD) mehr als zwei Grad über den Werten aus den Vergleichsjahren – so hoch wie noch nie seit Beginn der Messungen im Jahr 1881. Das geht aus der am Freitag veröffentlichten vorläufigen Jahresbilanz des DWD hervor.

Das hiesige Temperaturmittel erreichte 2023 erstmals 10,6 Grad und lag damit 2,4 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990, wie der DWD nach ersten Auswertungen mitteilte. Im Vergleich zur aktuellen und wärmeren Periode 1991 bis 2020 betrug das Plus 1,3 Grad. „Der Klimawandel geht ungebremst weiter“, mahnte der DWD-Vorstand Klima und Umwelt, Tobias Fuchs.

Auch weltweit ist das zu Ende gehende Jahr das wärmste seit Beginn der Industrialisierung, hatte der EU-Klimawandeldienst Copernicus schon Anfang Dezember berichtet. Es sei ausgeschlossen, dass die verbleibenden Tage das noch ändern.

2023 zwar für viele gefühlt eher durchmischt

Einschließlich November habe die global gemittelte Temperatur 1,46 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900 gelegen. Bislang war 2016 das heißeste Jahr mit plus 1,3 Grad. Möglicherweise ist 2023 das wärmste Jahr seit Zehntausenden Jahren. Da gab es noch keine Messungen, aber die Wissenschaft kann – etwa mit der Analyse uralter Luftblasen tief im Eis – auf das einstige Klima schließen.

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Extremwetter gab es zwar schon immer, aber die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass solche Ereignisse durch den Klimawandel häufiger und stärker werden – für anhaltende Dürre gilt das ebenso wie für Starkregenphasen wie aktuell in Deutschland.

In Deutschland war der Sommer 2023 zwar für viele Menschen gefühlt eher durchmischt. Dominiert haben laut DWD eher feucht-warme Bedingungen mit hohen Niederschlagsmengen. In der Reihe der nassesten Jahre erreichte 2023 den Angaben zufolge Platz sechs. Der DWD registrierte laut den vorläufigen Auswertungen mit rund 958 Litern pro Quadratmeter mehr als ein Fünftel mehr Niederschlag als in beiden Referenzperioden.

Das Plus in Sachen Sonnenschein lag den Angaben zufolge bei fast 15 Prozent (im Vergleich zur Periode 1961 bis 1990) beziehungsweise rund 5 Prozent (im Vergleich zur Periode 1991 bis 2020).

Seit 2018 im Ausnahmezustand

„Eigentlich sind wir in Europa seit dem heißen Sommer 2018 gefühlt im Ausnahmezustand“, analysiert Helge Gößling, Klimaphysiker am Alfred Wegener-Institut in Bremerhaven. Er nennt unter anderem mehrere ungewöhnlich trockene und zu warme Sommer und den Starkregen im Ahrtal. „Aber wir müssen damit rechnen, dass wir im neuen Normal sind.“ Für ihn ist klar, dass der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit ist.

Die Durchschnittstemperatur in Deutschland lag nach Daten des Deutschen Wetterdienstes auch 2018, 2019, 2020 und 2022 schon mehr als 2,5 Grad über dem Niveau von 1881, als systematische Wetteraufzeichnungen begannen. Das ist deutlich mehr als im weltweiten Durchschnitt – was daran liegt, dass der globale Wert die Temperaturen über den Meeresflächen einschließt, die bislang weniger stark gestiegen sind als über Land.

„Regional betrachtet kommen wir in Mitteleuropa vergleichsweise glimpflich beim Klimawandel weg“, sagt Gößling. Im Mittelmeerraum sei die Lage schon brenzliger mit Hitze und Trockenheit. „Man darf sich die Situation bei uns nicht schön reden“, warnt Gößling. Taalas, der scheidende WMO-Chef, verweist auf die trockenen Sommer und die verheerende Überschwemmung im Ahrtal 2021. „Solche Ereignisse werden häufiger, und sie werden auch Deutschland betreffen“, sagt er. „Dazu kommt der Migrationsdruck aus Afrika, wo die Herausforderungen viel größer sind.“

Internationale Extreme

Extremwetter gab es 2023 nicht nur in Europa und im Mittelmeerraum: Verheerender Regen sorgte in Brasilien im Februar für beispiellose Überschwemmungen, im Februar und März wütete Zyklon Freddy im Indischen Ozean 37 Tage lang und damit länger als jeder andere registrierte Zyklon vorher. Er richtete schwere Verwüstungen in Madagaskar und Mosambik an. Ab April gab es Rekord-Hitze von Indien bis China, im Juni und Juli schwere Überschwemmungen in Pakistan, im Oktober wurde der mexikanische Urlaubsort Acapulco durch einen fast aus dem Nichts aufbrausenden Hurrikan teils zerstört.

Die schlechte Nachricht: Mehr Extremereignisse sind auf Jahrzehnte hinaus vorprogrammiert – selbst wenn die Treibhausgasemissionen rasch reduziert würden. „Der negative Trend wird sich bis in die 2060er Jahre fortsetzen“, sagt Taalas. Das liegt an den bereits ausgestoßenen Treibhausgasen, die noch so lange in der Atmosphäre wirken. „Und bei den Berggletschern haben wir den Kampf schon verloren“, sagt er. „Wir erwarten, dass sie bis Ende des Jahrhunderts völlig geschmolzen sind.“ Der schädliche Treibhausgasausstoß müsse aber jetzt dringend so gedrosselt werden, damit zumindest die heutigen Kinder und ihre Nachkommen ab den 2060er Jahren ein besseres Klima erleben.

Nach jahrzehntelanger Diskussion hatte sich die Weltgemeinschaft auf der UN-Klimakonferenz in Dubai kürzlich erstmals auf die Abkehr von Kohle, Öl und Gas geeinigt. „Diese Klimakonferenz besiegelt de facto das Ende des fossilen Zeitalters“, hatte Außenministerin Annalena Baerbock gesagt. Vereinbart wurde auch das Ziel, die Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und das Tempo bei der Energieeffizienz in diesem Zeitraum zu verdoppeln.

Das Ende der klimaschädlichen fossilen Energie – Kohle, Öl, Gas – ist der größte Hebel gegen den Klimawandel. Unterschätzt werde aber der große andere Hebel, der Umgang mit Landflächen, sagt Gößling. „Es ist ja krass, dass 75 Prozent der Agrarflächen der Welt entweder als Weidefläche oder um Futterpflanzen für Tiere anzubauen genutzt werden“, sagte er. Mehr pflanzenbasierte Nahrung brauche weniger Fläche für die gleiche Menge Proteine und Kalorien. Wald kann mehr CO2 aufnehmen als Weiden. „Zurück zu mehr naturbelassenen Flächen hätte neben einer deutlich besseren Klimabilanz auch den extrem wichtigen Effekt, dass es entscheidend gegen den Verlust der Artenvielfalt hilft.“

Das Jahr 2024 könnte noch wärmer werden

Ob der nächste Sommer in Deutschland heiß oder trocken wird, kann noch niemand voraussagen. Global könnte es jedenfalls noch wärmer werden als dieses Jahr. „Ich schätze die Chancen auf 50:50“, sagt Gößling. Das liegt am Wetterphänomen El Niño, das dieses Jahr begann. Es heizt alle paar Jahre den Pazifik auf und erhöht die globale Mitteltemperatur um rund 0,2 Grad. In der Regel schlägt sich das erst im Jahr nach dem Auftreten nieder, das wäre dann 2024.

Dieses Mal könnte es aber auch anders sein. 2023 gab es Zufallsschwankungen beim Wetter im Frühling, sagt Gößling. Schwache Passatwinde führten zu einer starken Erwärmung der Meeresoberfläche vor allem im Nordatlantik, was die globale Durchschnittstemperatur erheblich nach oben drückte. „Die schwachen Passatwinde haben nicht zwangsläufig etwas mit dem Klimawandel zu tun“, sagt der Klimaexperte. Der Atlantik könnte also diesmal kühler bleiben. Klar ist aber auch: Das nächste Rekordjahr ist unausweichlich, auch wenn es nicht 2024 schon kommt.

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