Kolumne Schlagloch: Schafft die Kunst ab!
Der Kunstmarkt brummt: Mein Haus! Meine Yacht! Meine Frau! Mein Warhol! Reiche betreiben ihren Schwanzvergleich mit Kunstwerken.
W enn wir derzeit irgendetwas von bildender Kunst wissen, dann das: Der Kunstmarkt brummt! Jede Auktion bringt neue Rekorde, Koons, Munch, Warhol: Millionenschnäppchen für Milliardäre. Art Fairs sind die Playgrounds der Superreichen und ihrer Entourage geworden inklusive der Künstlerfrühstücke für die VIPs und Sammler.
Kunst ist eine der besten Kapitalanlagen und Steuervermeidungsfelder der Welt geworden. Mit Kunst kann man Geld waschen, Erbschaftsteuern sparen und öffentliche Anerkennung erringen. Und noch viel besser spekulieren als mit Aktien. In Feuilletons der „bürgerlichen“ Zeitungen nimmt die Rubrik „Kunstmarkt“ wesentlich mehr Raum ein als Kritiken von Ausstellungen oder gar diskursive Auseinandersetzungen mit neuen Formen des Ausdrucks. Die Kunst spricht fast nur noch durch die Sprache des Geldes zu uns. Aber das tut sie so laut wie nie zuvor.
Während alte und eher bescheiden auftretende Museen und Galerien um ihr Überleben kämpfen, während der Anteil der Künstlerinnen und Künstler, die von ihrer Kunst würdevoll leben können, immer weiter zurückgeht und während postdemokratische Staaten das kulturelle Gedächtnis ihrer Gesellschaften verkommen lassen, haben wir protzige Museumsneubauten und medienträchtige Blockbuster-Ausstellungen.
Rekordverdächtig geht es auch da zu: noch größere Besucherzahlen, noch mehr Städtekulturreisen all inclusive. Während die Kunst zur Kapitalanlage mutiert, verwandeln sich die Künstler in die Kiez-Avantgarde der Immobilienhaie, und Museen werden zu Wahrzeichen der Städtekonkurrenz um kulturelle Standortvorteile. Dem Kunstmarkt geht es so gut wie noch nie. Der Kunst-Kultur geht es so schlecht wie noch nie zuvor. Den meisten Künstlerinnen und Künstlern auch.
Die Kunst galt einmal als eines der hervorragenden Mittel der Befreiung des Menschen. Sie spielte mit den schöpferischen Möglichkeiten des autonomen Subjekts, sie zeigte modellhaft, was Freiheit sein kann. Kunst war Ausdruck der Freiheit, selbst oder gerade dort, wo sie sich von dem Zwang befreite, etwas Bestimmtes ausdrücken zu müssen. Kunst war das Instrument, die Freiheit, die sich der individuelle Künstler nahm, auf den Adressaten zu übertragen, in der Galerie, im öffentlichen Raum, im Museum und, gewiss doch, auch im Salon des „Besitzbürgers“, der sich mit seinem Komplizen, dem „Bildungsbürger“, zum angenehmen Kunstgespräch traf.
Kunst ist immer sehr viel mehr
Gleichzeitig war Kunst immer abhängig von der Ökonomie und von der Macht, da machen wir uns nichts vor. Wenigstens äußerlich. Aber es gehörte zu ihrem Wesen, dass derjenige, der sie sich leisten konnte, sich damit auch eine Verantwortung einhandelte, und dass die Kunst immer sehr viel mehr war als der Privatbesitz der ökonomischen und politischen Elite. Diese haben sich nun aber nicht nur die Kunst angeeignet, sondern auch den Diskurs. Kunstwissenschaft, Kunstkritik, Kunstpublizistik sind so hörig und von ihren Gnaden abhängig, dass sie ihnen genau das als Kunst definieren, was sie als Kunst gebrauchen können.
Es gibt eine simple Ökonomie dieses boomenden Kunstmarktes, der bereits too big is to fail: Das überschüssige Kapital schafft sich ein Spielfeld, auf dem es vollkommen losgelöst walten kann. Eine kleine Clique von superreichen Sammlern treibt sich gegenseitig die Preise in die Höhe. Davon profitiert ein global vernetztes und immer enger mit Banken verflochtenes Kunstbusiness. Kunstkonsum ist zum Schwanzvergleich der Oligarchen geworden. Der Kunstmarkt ist eine böse Karikatur des Kapitalmarkts geworden. Die Banken werden Sammler, die Banken organisieren Kunstanleihen und liefern schließlich die Expertisen darüber, was Kunstwerke wert sind.
Dass im verschärften Neoliberalismus des Jahres 2013 auch der Kunstmarkt nach den Gesetzen und noch mehr nach der Gesetzlosigkeit dieses verschärften, apokalyptischen Kapitalismus funktioniert, das wundert natürlich nicht. Verwundern könnte höchstens, wie wenig die Kunst selbst, die Kritik und der Betrieb dagegen Widerstand leisten. Die Pointe aber ist, dieser neue Anlagestoff entsteht aus einer Fluchtbewegung des Kapitals aus seinem eigentlichen Job, nämlich „in die Zukunft“ zu investieren. Durch Kunst entledigt sich das Kapital von seiner sozialen Verantwortung und geriert sich dabei noch als „Kultur“.
Kunst ohne Freiheit
Diese Ökonomisierung und Privatisierung eines Teils der zeitgenössischen Kunst hat eine schwerwiegende Folge für uns normale Menschen, die sich „für Kunst interessieren“. Der mittlere Sektor oder die Kunst, die sich störrisch gegen diesen Markt zeigen, er verliert an Wert. Die Kehrseite der Superreichen-Kunst ist eine generelle Verarmung der Künstler und nicht zuletzt jener Räume, in denen Kunst und Bürger miteinander kommunizierten, ohne von ökonomischen und politischen Interessen gestört und missbraucht zu werden.
Die Kunst verliert ihren eigentlichen Adressaten, den nach Freiheit, Schönheit und Fantasie verlangenden Menschen, eine Gesellschaft, die sich traut, ästhetische Experimente zu treiben. Sie verliert genau die Leute, die sie weder haben noch konsumieren, sondern verstehen wollen. Wie man Kunst eben so „verstehen“ kann.
Eine Kunst, die sich zum Konsumfetisch der Oligarchen des Weltkapitalismus macht, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die die Schere zwischen Armen und Reichen weiter aufmacht, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die zum weiteren Instrument der Banken wird, brauchen wir nicht. Eine Kunst, deren Wert nicht durch den Diskurs, sondern durch den Markt bestimmt wird, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die die Freiheit des Geldes in der Postdemokratie ausdrückt, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die keinen Widerstand leistet, brauchen wir nicht.
PS: Hiermit beende ich meine Trilogie der Abschaffung. Der Kunstmarkt muss sich in Deutschland keine Sorgen machen. Er macht es wie das Feuilleton, nämlich einfach immer so weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz