CDU und Ampel wollen sanktionieren: Zickzackkurs mit den Arbeitslosen

Sanktionen gegen angeblich „faule Arbeitslose“ werden wieder verschärft. Erwerbslose werden zum politischen Spielball von Ampel und Union.

Hände halten einen leeren Geldbeutel auf

Nicht nur die CDU will es, auch die Ampel: Außer der Miete könnte sogenannten „Jobverweigerern“ alles gestrichen werden Foto: Torff/plainpicture

Die 52-jährige gelernte Bürogehilfin Frau A. war seit vier Jahren arbeitslos und im Hartz-IV-Bezug. Sie verdiente sich mit einem Putzjob etwas dazu. Als ihr vom Jobcenter erneut ein Bewerbungstraining angeboten wurde, diesmal mit Schminkkurs, lehnte sie ab. Das Jobcenter kürzte ihr daraufhin den Regelsatz um 30 Prozent.

Frau A. findet sich in einer Erhebung der Hans-Boeckler-Stiftung über Fälle von Sanktionierten. Die Studie von 2009 stammt aus einer Zeit, wo mehr sanktioniert wurde als heute. Sie zeigt, wie unsinnig es sein kann, wieder strenger zu verfahren, wenn es also zu einer Entwicklung käme, die von der Union in ihrem Papier zu einer „Neuen Grundsicherung“ anstelle des Bürgergeldes gefordert wird. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat diese Entwicklung bereits eingeläutet mit einem Gesetzentwurf: In Fällen von völliger Verweigerung der Arbeitsaufnahme soll der Regelsatz für zwei Monate komplett gestrichen werden können. Nur die Miete wäre ausgenommen.

Moritz Duncker ist Vorsitzender der Jobcenter-Personalräte und kennt das Hin und Her der Politik, die von den Jobcenter-Beschäftigten seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze im Jahre 2005 mal eine strenge, dann wieder eine lockere und jetzt wieder eine strengere Behandlung der Langzeitarbeitslosen erwarten. „Das ist eine politische Eigendynamik, die mit der Wirklichkeit in den Jobcentern nur noch bedingt zu tun hat“, sagt Duncker.

Duncker verweist auf eine Statistik, nach der im September 2007 nur 0,35 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher:innen die Leistungen gekürzt wurden, weil sie sich weigerten, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Im November 2023 bekamen dann sogar nur noch 0,04 Prozent solche Sanktionierungen wegen der entsprechenden Pflichtverletzungen.

Langfristig nützen Sanktionen nicht

Die Ampel-Regierung verfolgte zuerst einen liberaleren Kurs. Mit der Einführung des Bürgergeldes im Januar 2023 wurde zum Beispiel der Vermittlungsvorrang in irgendeinen Job, egal welchen, abgeschafft und die Weiterbildung durch Zuschüsse gefördert. Seit Herbst 2023 soll nun durch den „Jobturbo“ für die Ukrai­ne­r:in­nen und andere Geflüchtete die Vermittlung in Jobs, auch in Hilfsjobs, wieder Vorrang haben vor einer längeren Weiterbildung oder weiterführenden Sprachkursen.

Moritz Duncker, Personalratsvorsitzender der Jobcenter

„Die Halbwertszeit der Reformen wird immer kürzer“

„Dieser Zickzackkurs ist in den unterbesetzten Jobcentern schwer umzusetzen“, sagt Duncker. Die Integrationsfachkräfte sollen die Geflüchteten nun möglichst alle sechs Wochen zu einem Gespräch einladen, egal wie sinnvoll das ist oder nicht. „Eine solche Vorgabe bindet natürlich Kapazitäten, die dann anderen Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen nicht zur Verfügung stehen“, rügt Duncker.

Seit Einführung von Hartz IV, der Grundsicherung für Arbeitssuchende, im Jahre 2005, habe es zwölf Änderungsgesetze gegeben und 90 weitere gesetzliche Änderungen, schildert der Personalratsvorsitzende. „In der jüngsten Vergangenheit ist die Halbwertszeit der Reformen und rechtlichen Änderungen immer kürzer geworden.“

Dabei belegt die Forschung über die Wirkung von Sanktionen zwiespältige Effekte. „Kurzfristig wirken Sanktionen, aber mittelfristig entwickeln sich die Erwerbsbiografien der Sanktionierten nicht besser als die der Nichtsanktionierten. Im Gegenteil“, erklärt Sozialforscher Joachim Wolff vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Vergiftete Debatte

Ein Forscher ermittelte in einer Studie, dass Leis­tungs­be­zie­he­r:in­nen in den ersten ein, zwei Jahren nach einer Kürzung eher eine Beschäftigung hatten als Nichtsanktionierte. In der langfristigen Betrachtung nach fünf Jahren aber habe sich herausgestellt, dass die ehemals Sanktionierten ein, zwei Prozent geringere Beschäftigungsquoten aufwiesen als die Nichtsanktionierten, berichtet Wolff. Die Bezahlung der Jobs, die die Sanktionierten aufnahmen, lag nach Erkenntnissen aus der Studie eher im Niedriglohnbereich.

Druck zu erzeugen, damit die Erwerbslosen eine Arbeit beginnen oder eine vom Jobcenter auferlegte Maßnahme annehmen, wirkt sich also langfristig nicht unbedingt positiv aus. „Es muss darum gehen, dass eine Arbeit einen weiterbringt oder eine Maßnahme sinnvoll ist“, sagt Wolff.

Die Union fordert in ihrem Papier für sogenannte Totalverweigerer, die eine „zumutbare Arbeit“ ablehnen, die Grundsicherung komplett zu streichen. Dies plant auch Heil im oben genannten neuen Gesetzesvorhaben, begrenzt diese mögliche Streichung aber auf zwei Monate. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 2019 eine komplette Streichung nur erlaubt, wenn es Leistungsberechtigte nachweisbar „selbst in der Hand haben“, durch Aufnahme einer angebotenen Arbeit den Leistungsbezug zu beenden. Das nachzuweisen anhand einer konkreten angebotenen Stelle, die ja deR Bürgergeld-Empfänger:in dann trotz etwaiger Leistungsminderungen oder gesundheitlicher Probleme zur Verfügung stehen muss, „das wird schwierig sein“, sagt Duncker der taz. Was die Diskussion über „Totalverweigerer“ betreffe, „beschäftigt man sich letztlich mit einem Randphänomen und vergiftet die Debatte“.

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