Mangelnder Spaß am Lernen in der Schule: Elende Wissens-Bulimie

Den Spaß am Lernen entdeckte ich erst spät im Leben. Leider kann ich meine Tochter nicht damit anstecken. Der Fehler liegt im Schulsystem.

Ein Schüler der sechsten Klasse an einem Gymnasium meldet sich im Unterricht.

Abends rein in die Birne, morgens wieder raus: Schule in Deutschland hat oft nur mit kurzfristigem Auswendiglernen zu tun Foto: dpa | Armin Weigel

„Wer nicht von dreitausend Jahren, Sich weiß Rechenschaft zu geben, Bleib im Dunkeln unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben.“ – Mein halbes Leben habe ich im Dunklen verbracht, ohne auch nur dieses Goethe-Zitat zu kennen. Ich bin klargekommen. Trotzdem wünsche ich mir für meine Tochter etwas anderes.

Ich weiß gar nicht, wann ich im Leben festgestellt habe, dass ich gerne lerne. Während meiner Schulzeit jedenfalls nicht.

Mein Interesse für Geschichte beispielsweise habe ich eigentlich erst entdeckt, als ich während des Corona-Homeschoolings meine Tochter Olivia irgendwie für das Thema Antike begeistern musste, ohne selber auch nur zu wissen, wann die eigentlich war. Das Schulmaterial war dafür nutzlos. Da brauchte ich schon die Hilfe von Monty Pythons „Life of Brian“ und Michael Köhlmeiers Nacherzählungen griechischer Sagen (die als Verfilmung wohl eine FSK-18-Kennzeichnung haben müssten).

Ich habe mich seitdem oft gefragt, ob ich das Thema Griechen und Römer in meiner Schulzeit verschlafen habe oder ob es einfach nicht auf dem Lehrplan der Haupt-und Realschule stand. Seit ich nun also selber ein bisschen über Geschichte wissen möchte, gehe ich meiner Tochter auf den Senkel, indem ich sie ungefragt mit meinen neu erworbenen Kenntnissen belästige. Glotze ich mich im Wohnzimmer bei Funk durch „Musste wissen Geschichte“, spürt sie sofort meine Erwartung, sie möge auch „von sich aus“ Feuer fangen und verkrümelt sich. Auf meine Versuche, ihr Spielfilme zu bestimmten historischen Themen unterzujubeln, fällt sie schon lange nicht mehr rein.

Es ging nie um die Zusammenhänge der Themen untereinander

Später besuchte ich übrigens ein Gymnasium. Ich hatte begriffen, wie es funktioniert: Im Unterricht einigermaßen aufpassen und zu den Klausuren auswendig lernen, was abgefragt wird. Direkt danach konnte alles wieder vergessen werden, denn es ging nie um die Zusammenhänge der Themen untereinander. Genau diese geschichtlichen Zusammenhänge sind es, die mich heute faszinieren und durch die ich die Bedeutung der einzelnen Ereignisse überhaupt erst begreife.

Meine Tochter konnte ich mit dieser Faszination leider nicht anstecken. „Es ist nicht Schule“, sagt sie, wenn sie eines ihrer Pfadfinder-Revolutionslieder singt und ich dazu mit einer Russland-Lektion ankomme. „Ja, EBEN“ denke ich dann und könnte ins Kissen beißen. Mit gequältem Gesichtsausdruck hört Olivia dann manchmal aber doch ein bisschen zu – mir zuliebe. Immerhin hat sie erlebt, wie viel witziger mit dem entsprechenden Hintergrundwissen ihre Känguru-Kultbücher sind.

Zum Beispiel, wenn das Gespenst des Kommunismus dem Känguru und Marc Uwe beim Versuch einen Joint zu drehen von seinen Verfolgungsängsten erzählt. Trotzdem wäre es ihr lieber, ich ließe sie mit meinen Zusatzinformationen in Ruhe. Ich wünschte so sehr, ich könnte ihre Einstellung zum Lernen verändern, weg von der Gute-Schulnoten-Wissens-Bulimie. Aber es scheint ein Trauma zu sein.

Wenn ich allerdings merke, wie widerwillig ich mich selber zum Elternabend schleppe, scheint mir meine eigene Einstellung zur Schule auch nicht optimal. Da sitzen wir Eltern dann genau wie unsere Kinder in diesem trostlosen Raum und hoffen, dass es bald vorbei sein möge. Neulich traute sich eine Mutter (trotz böser Blicke) zu fortgeschrittener Stunde zu fragen, wie wir mit dem massiven Unterrichtsausfall im Fach Englisch umgehen könnten. Die Antwort lautete: „Kein Problem: Alle Klassenarbeiten sind geschrieben, die Konferenzen durch, die Noten stehen fest.“ Der Fehler liegt eben einfach im System.

In den Gesprächen beim Rausgehen konnte ich mich dann damit trösten, dass mein Kind nicht das einzige ist, das auf den Vorschlag seiner übermotivierten und förderverkrampften Eltern, wenigstens mal die Netflix-Serien auf Englisch zu streamen, nur milde lächelnd die Augen verdreht.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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