Neue ARD-Doku: HipHop ist wie Kirche

Die Dokuserie „HipHop – Made in Germany“ zeigt, wie die Kultur hierzulande entstanden ist. Und bietet einen anderen Blick auf deutsche Geschichte.

Portrait der Rapperinnen Eunique und Lady Bitch Ray

Die Rapperinnen Eunique (links) und Lady Bitch Ray in Hamburg Foto: David Meister/NDR

Man kann Geschichte so oder so erzählen. Man kann die Schlüsselereignisse der letzten vierzig Jahre chronologisch aneinanderreihen und dabei die Wichtigkeit dieses oder jenes Ereignisses betonen. Oder man kann Lieder spielen, die Leute gehört haben, als dieses oder jenes passiert ist, und darüber reden, warum die Leute diese Lieder gehört haben, was das über diese Leute, die Geschichte, und die Lieder sagt.

So geht die vierteilige Dokuserie „HipHop – Made in Germany“ an 43 Jahre deutsche Geschichte heran. Die Ma­che­r:in­nen begreifen ihren Gegenstand HipHop nicht als irgendeine Musikrichtung oder Jugendkultur, sondern als spezifischen Zugang zum Leben. Konsequent ist, dass hier Geschichte nicht frontal im Klassenzimmer oder Seminarraum erzählt wird, sondern sich aus Gesprächen in einem goldgelben Mercedes Oldtimer 230 herauskristallisiert, in dem HipHop-Größen und prominente Fans durch Heidelberg, Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main fahren.

In der ersten Folge sammeln Toni L von den Rap-Pionieren Advanced Chemistry und Martin Stieber von den Stieber Twins etwa Cora E., erste weibliche MC in Deutschland, für eine Tour durch Heidelberg ein. Anfang der 1980er kommt die HipHop-Kultur durch die amerikanische Militärpräsenz hier her. Zunächst steht dabei nicht Rap im Vordergrund, sondern Breakdance als ein weiteres Element der HipHop-Kultur. „Es war wie eine Messe. Das war wie wenn Leute sonntags in die Kirche gehen. Für uns war es das Jugendhaus“, sagt Comedian Özcan Cosar über die Breakdance Sessions in seiner Jugend.

In der zweiten Folge erörtern Denyo und Eunique die Besonderheiten des Hamburger Rap, der in den 1990ern mit Crews wie den Absoluten Beginnern oder Dynamite Deluxe zum Zentrum der Szene wird. Gruppen wie die Fantastischen Vier oder Fettes Brot feiern die ersten kommerziellen Erfolge. Ihre Musik, von vielen als Spaß-Rap kritisiert, hat aber nichts mit den sozialen Wurzeln von HipHop zu tun. Die Frage nach der kommerziellen Ausbeutung der Kultur kommt zum ersten Mal auf. Gleichzeitig entstehen sehr politische Texte als Reaktion auf rechtsextreme Anschläge und Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und Solingen.

Harter Rap über harte Verhältnisse

„Der Rap wurde härter, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse härter wurden“, sagt Marcus Staiger, Gründer des Labels Royal Bunker, in der dritten Folge über die 2000er in Berlin. Es ist die Zeit nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001, also die Zeit des War on Terror und der großen Integrationsdebatten. Außerdem: der Einführung von Hartz IV.

Der Rap, den Deutschland zu dieser Zeit verdient, kommt von Aggro Berlin um Sido und Bushido, die gesellschaftliche Konventionen kurz und klein schlagen. Kitty Kat erzählt dem Fahrer Ali Bumaye, wie schwer es für sie als Frau bei Aggro Berlin war: „Bisschen Plus Size gab es nicht in der Musikszene. Mir wurde auch gesagt, ich soll zehn Kilo abnehmen.“ Ihre Plattenfirma habe sie jahrelang versteckt gehalten.

In der finalen Folge über die 2010er bis heute sitzt Abdi von Celo & Abdi zwar am Steuer, die beiden werden aber von einem Abschleppwagen durch Frankfurt gefahren, weil Abdi seinen Führerschein abgeben musste. Hier führen die Gespräche immer wieder zu Haftbefehl, der Rap sprachlich revolutioniert hat. Frauen sind jetzt keine Ausnahme mehr in der Szene, feministische Erzählungen werden längst vermarktet.

Reproduziert und zugespitzt

Schon lange geht es nicht mehr um die Frage, ob jemand die eigene Kunst verkauft, sondern wie weit das Verkaufen geht. Braucht es wirklich Eistee, Pizzen und Vapes mit den Gesichtern der Künstler:innen? „Die Leute konsumieren sowieso. Warum sollen sie nicht etwas von ihrem Lieblingsrapper konsumieren, dass sie sich dann noch bisschen wie dieser Rapper fühlen“, antwortet Abdi unaufgeregt.

Gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und Antisemitismus, die zwar nicht von Rap erfunden wurden, durch ihn aber oft reproduziert und zugespitzt werden, behandelt diese Dokuserie nicht nur pflichtschuldig. Der Komplex Frauen im Rap, Sexismus und Männlichkeit zieht sich quasi durch alle vier Teile, wobei die Erzählungen und Einordnungen von Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray und der Soziologin Heidi Süß besonders erhellend sind.

Nicht alle Protagonist:innen, die zusammen im Auto sitzen, viben miteinander. So wirken manche Konstellationen nicht ganz so locker, wie sie wirken sollen. Dass Fahrer und Bei­fah­re­r:in ein Fazit über jeden Gast ziehen, den sie gerade abgesetzt haben, macht es nicht besser.

Die Gespräche plätschern manchmal auch etwas ziellos dahin. Vielleicht wären sie mit einer fixen Mo­de­ra­tion ungezwungener und inhaltlich ertragreicher verlaufen. Andererseits ist das hier ja kein Uniseminar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.