Interview mit Autorin Asha Hedayati: „Jede Frau kennt Gewaltbetroffene“

Gewalt gegen Frauen bleibt oft unbemerkt, schreibt Asha Hedayati in ihrem neuen Buch. Ein Gespräch über strukturelle Abhängigkeiten von Frauen.

Der Flur eines Amtsgebäudes

Stille Gewalt ist unsichtbar, aber alles durchdringend – auch die Verwaltung und Justiz Foto: Lars Berg/imago

taz: Frau Hedayati, warum haben Sie Ihr Buch „Die stille Gewalt“ genannt?

Asha Hedayati: Mir ist es ganz wichtig klarzustellen: Es geht nicht vordergründig um die Gewalt des Partners oder Ex-Partners. Sondern um die Gewalt, die durch misogyne Mythen, durch patriarchale, aber auch wirtschaftliche Strukturen und durch staatliche Institutionen ausgeübt wird. Wir nehmen sie im ersten Moment gar nicht wahr. Sie ist unsichtbar, trotzdem alles durchdringend – also Gesellschaft, Verwaltung und Justiz. So wirkt Gewalt still.

Sie schreiben: „Die Strukturen stützen Gewalt gegen Frauen und gleichzeitig stützt die Gewalt gegen Frauen die Strukturen.“ Wie ist das gemeint?

Das System profitiert immens von der kostenlosen Care-Arbeit der Mütter und kann auch nur so überleben. Während der Coronapandemie galten Care-Berufe als systemrelevant. Gleichzeitig sind diese so prekär bezahlt, dass Frauen in wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse geraten, was eine Trennung erschwert. Davon profitiert das System ebenfalls. Wenn Frauen so leicht gehen könnten, könnten Männer nicht mehr so leicht Teil dieses Wirtschaftssystems sein.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch über wirtschaftliche Dimensionen von Gewalt.

„Die wahnsinnig großen strukturellen Widerstände erschweren es der Frau, sich zu trennen“

Ja, der Partner übt beispielsweise wirtschaftliche Gewalt aus, indem er die Kontrolle über das Einkommen und das Konto hat. Manchmal gibt es für die Partnerin dann nur Taschengeld. Oder er kontrolliert finanzielle Ein- und Ausgänge. Das geht teils so weit, dass Mandantinnen sich nicht mehr die Kleidung kaufen können, die sie gerne tragen möchten. Es geht auch hierbei darum, der Frau ein selbstbestimmtes, freies Leben zu verwehren.

Oft heißt es, eine Frau, die Partnerschaftsgewalt erlebt, soll sich einfach trennen. Doch so einfach scheint das nicht zu sein.

ist Familienrechtsanwältin und Dozentin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht. Ihr Buch zum Thema Gewalt gegen Frauen erscheint voraussichtlich im Herbst 2023 im Rowohlt Verlag.

Seit 10 Jahren arbeite ich als Rechtsanwältin und beobachte, dass der Fokus immer auf dem Verhalten der Frau und nicht auf dem Verhalten des gewalttätigen Partners liegt. Die wahnsinnig großen strukturellen Widerstände erschweren es der Frau, sich zu trennen. Ein konkretes praktisches Hindernis ist der hoch eskalierte Wohnungsmarkt. Wie sollen diese Frauen bezahlbare Wohnungen finden? Und dann sitzen Betroffene in den gewalttätigen Partnerschaften fest, weil sie sich eben keine Wohnung leisten können.

Für Alleinerziehende ist das sicher besonders problematisch?

Alleinerziehende sind massiv armutsgefährdet, daher fällt Betroffenen eine Trennung so schwer. 43 Prozent der Alleinerziehenden sind einkommensarm. Wenn Mandantinnen vor mir sitzen, wissen sie schon, dass sie im Falle einer Trennung sehr wahrscheinlich in ärmlichen Verhältnissen landen werden. Die Entscheidung treffen sie dann nicht nur für sich, auch für ihre Kinder. Für deren Leben tragen sie ebenso Verantwortung. Das macht es belastender für die Betroffenen.

Wieso werden Betroffene nicht ausreichend geschützt?

Schon der Begriff „häusliche Gewalt“ verortet die Problematik im Privaten. Das ist Teil des Problems. So werden die Gewalt und ihre Konsequenzen verharmlost. Aber wenn Jugendämter oder Familiengerichte Partnerschaftsgewalt nicht ernst nehmen, hat das massive Konsequenzen für die Kinder und nachfolgende Generationen. Es gibt Studien, die belegen, dass Kinder, die Zeugen von Partnerschaftsgewalt sind, in der Adoleszenz häufiger selbst zu Tä­te­r*in oder Opfer werden.

Was läuft da bei Institutionen wie Polizei oder Jugendamt falsch?

Bei der Polizei beobachte ich bedauerlicherweise oft, dass eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet. Allein durch die Befragung werden Frauen retraumatisiert. Ich hatte Mandantinnen, deren Ex-Partner ihnen nachstellten. Dann hieß es seitens der Polizei, dass ja noch nichts passiert wäre. Es werden misogyne Vorurteile bedient und das Bild einer sich rächenden Frau konstruiert. Beim Jugendamt empfehlen sie den Frauen, sich zu trennen, weil Partnerschaftsgewalt als Kindeswohlgefährdung gilt. Wenn die Mutter den Umgang zum Vater aus Angst vor Rache nicht zulassen möchte, unterstellt ihr das Jugendamt wiederum Kindeswohlgefährdung.

Sie schreiben, die derzeitigen Aufenthaltsgesetze führten dazu, dass migrantische Frauen deutlich schlechter vor Partnerschaftsgewalt geschützt sind.

Für mich ist das eine der belastendsten Beratungssituationen. Wenn eine Frau über die Eheschließung mit einem deutschen Mann die Aufenthaltserlaubnis erlangt hat, muss sie mindestens drei Jahre in der Partnerschaft bleiben, um nicht abgeschoben zu werden. Erst danach könnte sie eine vom Ehemann ungebundene Aufenthaltserlaubnis erhalten. Vor Ablauf dieser drei Jahre müsste sie entweder ausreisen oder einen Härtefallantrag stellen. Häusliche Gewalt wäre zwar ein Härtefall. Das Problem dabei ist aber die Nachweisbarkeit.

Ist denn grundsätzlich eine Ehe für Frauen noch ratsam?

Bei einer Familiengründung kann ich Frauen noch eher dazu raten, zu heiraten. Im Falle einer Trennung gibt es die Möglichkeit, Trennungsunterhalt zu beantragen. Zusätzlich die Hälfte der Rentenansprüche zu erhalten, die während der Ehe erworben wurden. Das ergibt wirtschaftliche Sicherheiten. Aber laut einer Studie wirkt sich eine Ehe für die Frau existenzbedrohend aus. Viele Frauen fallen in Geschlechterrollen zurück, die sie gar nicht so ausführen möchten.

Im Schlusswort des Buchs sprechen Sie vom „ohrenbetäubenden Schweigen der Männer“ zu diesem Thema. Was fordern Sie von ihnen?

Jede Frau kennt mindestens eine Gewaltbetroffene aus ihrem Umfeld, wobei viele Männer angeben, keinen Täter zu kennen. Ich würde mir wünschen, dass Männer Verantwortung übernehmen, sich mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen und eine radikale Neugestaltung von Männlichkeit einleiten. Selbst Männer, die überzeugt davon sind, feministisch und progressiv zu sein, sind stark von patriarchalen Strukturen beeinflusst: Liebe und Empathie werden deutlich weniger belohnt als Macht, Dominanz und Kontrolle. Diese blinden Flecke müssen aufgearbeitet werden. Das am besten in einer gesunden und liebevollen Partnerschaft.

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