Zahnpasta ist gut für die Latrine

Viel mehr Inklusion braucht das Land. Das Dancefloor-Projekt „Ick mach Welle“ aus Berlin macht die Fusion von Party, Musik und Do-it-Yourself-Produktion vor

Voll geflasht: Die vier von der Tanzfläche von „Ick mach Welle“: Foto: Chris Hartl

von Stephanie Grimm

Erstmal eine gute Nachricht: Die Zeiten, in den Menschen mit Beeinträchtigung zur kulturellen Erbauung bestenfalls einen Volksmusikabend in einer sozialen Einrichtung angeboten bekamen, scheinen vorbei. In den vergangenen Jahren passierte einiges in puncto Inklusion.

Doch auch wenn das Thema in der Clubszene, die sich gerne als offen in verschiedenste Richtungen präsentiert, auf der Agenda nach oben gerückt ist: Die Realität jenseits von geförderten Projekten gestaltet sich nach wie vor schwierig. Schließlich liegt der Teufel im Detail: Fahrdienste, die nachts nicht zur Verfügung stehen; Türsteher, an denen nicht vorbeikommt, wer nicht ins Bild passt. Und Eintrittspreise, zumeist zu hoch für Menschen, die in einer sozialen Einrichtung nur kleines Geld verdienen.

Zugleich hat sich nicht nur für Fans, sondern auch für Musikproduzenten mit Behinderung die Lage gebessert. Leuchtendes Beispiel ist „Ick Mach Welle“. Bei diesem inklusiven Musikprojekt in Berlin wird der Zugang zum Aufnahmestudio ermöglicht, Knowhow mit Mentoring-Programmen und in Workshops vermittelt, damit Musik selbst produziert werden kann.

Der Berliner DJ und Labelbetreiber Nico Deuster wurde auf das Thema aufmerksam, als er bei einer „Spaceship“-Party auflegte, direkt im Anschluss an eine Afterhour. Dabei war ihm gar nicht klar, dass man ihn für eine inklusive Party gebucht hatte. Aber Deuster war total geflasht von der Feierlaune, die ihm da zur Peakhour 18.00 Uhr entgegenschlug; sonst ist das ja eher eine undankbare Uhrzeit zum Auflegen. Daraus entwickelte sich „Ick Mach Welle“ als Kooperation zwischen Deusters Technolabel Killekill, zum Veranstalter des Krake-Festivals, und dem Selbsthilfeverband Lebenshilfe.

Gefördert wird das Projekt zudem vom Musicboard Berlin, das sich dem Thema Inklusion angenommen hat. Das alljährlich vom Musicboard ausgerichtete Festival Popkultur etwa sorgt nicht nur für Barrierefreiheit und andere Erleichterungen bei der Teilhabe, etwa Gebärdendolmetscher, sondern holt Menschen mit Behinderungen auch auf die Bühne.

Dafür, dass der Wechsel von der Konsumenten- zur Produzentenseite öfter gelingt, macht sich auch „Ick Mach Welle“ stark. Einen Einblick in den Stand der Dinge gibt der Sampler „Super­brains“, eine facettenreiche Werkschau. Der Track „Ciao Mama, Goodbye“ von DJ Locati wirkt eigenwillig düster, getragen von einem verschleppten Beat; „Komischet Jedudel“ von Bläck Dävil dagegen klingt weder seltsam noch dudelig, sondern holt die Hö­re­r:in auf den bouncenden, euphorisierten Mainfloor. Und im angedubbten „Tierisch verboten“ der Band Wellen.Brecher, zu der Werner Soyeaux alias Bläck Dävil und Uwe Locati gehören, wird offenherzig angesprochen, was für viele Menschen mit Beeinträchtigung der Elefant im Raum ist: „Was muss man denn machen, um dazuzugehören/Ich versteh das alles nicht/Hab ich nicht die coolen Klamotten wie ihr?/Sind es meine Schuhe, die scheiße aussehen? Ist es mein Aussehen allgemein? Im Gesicht?“ Das Video findet für diese drängenden Fragen eine stimmige Bildsprache.

Schrunzels Schrampfsound

„Sind es meine Schuhe, die scheiße aussehen?/Ist es mein Aussehen allgemein?“

Locati

Der multimedial arbeitende Schrunzel, auf dem Sampler mit dem Instrumentaltrack „Wurstel-knurstel“ vertreten, macht sein ganz eigenes, experimentelles Klanguniversum auf. Seinen kongenialen Stil, in dem meist über klöppelnd-galoppierenden Beats dadaistische Texte schweben, bezeichnet er selbst als Schrampf; seine EP heißt entsprechend „Schrampf um die Galaxis“. Auf diesem Debüt gibt es neben kniffeligen Beats schön freidrehende Lyrics („Zahnpasta hat weniger Kalorien als Butter oder Margarine/Und das ist gut für die Latrine, sagt die Biene“). In die Texte fließen diverse Interessen ein: Physik, Religionswissenschaften und dänische Mittelalterlyrik. Auch die Frage, ob Roboter der Menschheit nun helfen oder schaden, treibt Schrunzel um. Der Blick auf ein Thema, das angesichts der Diskussion um Künstliche Intelligenz aktuell bei vielen Ängste weckt, stellt sich für Menschen mit Beeinträchtigung vielleicht nochmal anders dar: „Zum Schutz der Zivilisation programmiert! Jede Bedrohung wird lokalisiert! Und restlos eliminiert! Computer-Analyse-Zyklus aktiviert! Menschliche Bio-Charakteristika werden analysiert! Der Mensch wurde als Bedrohung identifiziert!“ Neben der Musik malt Schrunzel, produziert Videos und schreibt an einem Science-Fiction Roman.

Anfang Juni wird es zwei weitere Solo-Veröffentlichungen aus dem „Ick Mach Welle“-Kosmos geben, von Wellen.Brecher und Bläck Dävil (dem nun auch ein schöner Dokfilm im Rahmen der Reportage-Reihe „einfach Mensch“ gewidmet ist; zu finden im Killekill-Youtube-Kanal und der ZDF-Mediathek).

Und die Künst­le­r:in­nen stehen nicht nur bei Partys wie „Spaceship“ im Line-Up, sondern auch bei Festivals wie „Fusion“ und „Nation of Gondwana“, die sich Inklusion nicht explizit auf die Fahnen geschrieben haben. Da geht noch was!

Verschiedene Künst­le­r:in­nen: „Superbrains“ (Killekill); weitere „Ick Mach Welle“-Veröffent­lichungen im Juni.

Plattentaufe ist beim Krake-Festival in Berlin, 21. bis 24.6.