Razzien bei der Letzten Generation: Immer noch krasser

Weder überraschend noch sympathisch: Warum ich mich über die Razzien gegen die Letzte Generation nicht empören kann.

Zwei Hände halten einander, im Hintergrund Asphalt

Führt das zum Ziel? Foto: Michele Tantussi/reuters

Es tut mir leid, ich habe mich wirklich angestrengt. Aber irgendwie kann ich mich über die Razzien gegen die Letzte Generation nicht empören. Denn Empörung benötigt im besten Fall: Überraschung und Sympathie mit den Betroffenen.

Überrascht kann niemand sein, der die Geschichte sozialer Bewegungen und ihrer staatlichen Repression kennt: Zu oft schon haben Behörden den „Schnüffelparagrafen“ 129 des Strafgesetzbuchs gegen unbequeme Gruppen benutzt. Meist konnten sie im juristischen Nachspiel keine Straftaten nachweisen. Das war so bei den Aktivist:innen, die Blockaden beim G8-Gipfel in Heiligendamm planten, bei Antifa-Gruppen in Göttingen und anderswo.

Überrascht ist nicht einmal die Letzte Generation selbst. Denn die Ak­ti­vis­t:in­nen haben es darauf angelegt, letztlich ist Eskalation ihr politisches Konzept. Sie kündigen ihre Aktionen offen an, sie radikalisieren sich von Straßenblockaden zu Aktionen am Flughafen – Fortsetzung folgt.

Dieses politische Konzept führt dazu, dass auch meine Sympathie mit der Gruppe nicht sonderlich groß ist, obwohl ich ihre Ziele teile. Es ist das Konzept einer politischen Avantgarde: Wir müssen die Gesellschaft nur heftig genug schütteln, wir müssen sie aufwecken, dann erkennt sie den Ernst der Lage und wird tun, was notwendig ist.

Ein irres Medienspektakel

Natürlich kann man sagen, dass die Gruppe mit ihrem Protest Erfolg hat. Aber nur, wenn man Erfolg allein diskursiv misst. Wir sind aber längst nicht mehr an einem Punkt, an dem die Dramatik der Klimakrise nicht verstanden wird. Die meisten Menschen haben verstanden, sind aber hilflos angesichts der Größe der Aufgabe und verdrängen die Realität.

Vielleicht ist diese avantgardistische Vorstellung, dass eine Gruppe wild Entschlossener nur überzeugt genug vorangehen muss, damit viele folgen, die einzige ernstzunehmende Parallele zur RAF.

Es gibt eine andere Aktionsgruppe, an die mich die Letzte Generation erinnert. Sie ist ähnlich hierarchisch organisiert: das Zentrum für Politische Schönheit. Erinnern Sie sich? Die trugen einst Särge nach Berlin, in denen vermeintlich an der Europäischen Außengrenze gestorbene Geflüchtete liegen sollten, um sie dort auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude zu vergraben. Ein irres Medienspektakel! Aber was ist davon geblieben? Welcher politische Erfolg, außer die Gesellschaft auf ihre blinden Flecken zu stoßen, auf dass sie sich noch ein bisschen mehr schäme? Ziemlich protestantisch, diese Vorstellung von Politik.

Es ist kein Zufall, dass der Vortänzer des Zentrums für politische Schönheit, Philipp Ruch, vor Kurzem in einem Gastbeitrag im Spiegel der Letzten Generation Haltungsnoten vergab – und ihr empfahl, sie solle doch die Gemälde in den Museen nicht mit Kartoffelbrei, sondern mit Benzin überschütten. Hier ist sie wieder: Die Vorstellung, dass man nur immer noch ein bisschen krasser werden muss, bis es die Leute endlich kapieren.

Natürlich sind die Hausdurchsuchungen, ist die Kriminalisierung der Klimabewegung dennoch ein Skandal. So stehlen sich politisch Verantwortliche aus der Verantwortung. Trotzdem darf die staatliche Repression nicht dazu führen, dass keine Kritik an der Bewegung mehr erlaubt ist.

„Aber die tun doch wenigstens was?“ Das stimmt, aber das ist ein hilfloses Argument. Einen anderen Hoffnungsschimmer habe ich gerade auch nicht, ich weiß nur: Eine Avantgarde, die versucht, den Wahnsinn des fossilen Alltags aktionistisch zu unterbrechen, wird niemanden retten. Ohne eine grüne Linke, die auch die Machtfrage stellen und Umverteilung organisieren kann, sind wir verloren. Klingt unrealistisch? Das stimmt.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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