Seiltanz in Belgrad

Serbiens Regierung und Bevölkerung sind hin- und hergerissen zwischen Russland, dem Westen und Erinnerungen an die Bombardierungen 1999

Entschiedener als die Regierung: Die serbische Organisation „Women in Black“ demonstriert am 26. Februar gegen den Krieg Foto: Darko Vojinovic/ap

Aus Belgrad Andrej Ivanji

Die Regierung Serbiens hat sich sehr schwer damit getan, Stellung zum Krieg in der Ukraine zu nehmen. Am Freitagabend trat dann der serbische Staatspräsident Aleksandar Vučić dramatisch vor die Kameras. Er erklärte den Serben, welch großem Druck er ausgesetzt gewesen sei, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen, beklagte sich über seine Müdigkeit und Augenringe, qualifizierte sowohl das russische als auch das ukrainische Volk als „brüderlich“ und kam dann zur Sache.

Die Stellungnahme zeigt letztlich den serbischen außenpolitischen Seiltanz zwischen Ost und West: Man unterstützt die territoriale Integrität der Ukraine, doch lehnt es ab, gegen Russland Sanktionen zu verhängen. Wörter wie „Verurteilung“ oder „Verdammung“ wurden strikt vermieden.

Serbiens Nationaler Sicherheitsrat hatte mehrmals getagt, um über jedes einzelne Wort zu beraten und wartete zugleich ab, um zu sehen, wie westliche Staaten und China auf die russische Invasion reagieren würden.

Serbiens Energieversorgung ist abhängig von Russland, zugleich ist die Europäische Union mit Abstand der größte Handelspartner und Geldgeber. Wladimir Putin erwartet Loyalität von Partnern, die russisches Gas zum Vorzugspreis bekommen und umgekehrt erwartet die EU vom Beitrittskandidaten Serbien, dass es seine Außen- und Sicherheitspolitik mit Brüssel in Einklang bringt. Der serbische Machthaber Vučić hofft auch diesmal mit einer neutralen Haltung davonzukommen und weder Moskau noch Brüssel und Washington allzu sehr zu brüskieren oder gar zum Feind zu machen.

Dabei geht es nicht nur um außenpolitische und wirtschaftliche Sorgen. Die Serben sind ausgesprochene russophile „Putinversteher“. Russland wird von vielen als slawisch-orthodoxe Schutzmacht Serbiens empfunden. Da am 3. April noch Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen stattfinden, kann man es sich nicht leisten, sich gegen Russland zu wenden.

Auch der staatliche Rundfunk berichtete von einer russischen „speziellen militärischen Aktion“ in der Ukraine und nutzte damit Putins Ausdrucksweise statt Wörter wie „Aggression“ oder „Invasion“. Eine Einordnung dessen, was in der Ukraine passiert, wird in regimetreuen Medien strikt vermieden. Die gleichgeschalteten Boulevardblätter betonten, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Friedensgespräche mit Putin „abgelehnt“ hätte.

In Fernsehtalkshows wechselten sich außenpolitische Experten ab, die erklärten, dass Putin völlig zu Recht von der Nato fordere, die Osterweiterung einzustellen und ihre Raketen aus der Nähe der russischen Grenzen abzuziehen.

Immer wieder wird von der heuchlerischen Haltung des Westens gesprochen. Denn die Nato hatte 1999 das souveräne Serbien fast drei Monate lang bombardiert, das Völkerrecht mit dem Recht des Stärkeren ersetzt und danach das serbische Territorium Kosovo von Serbien abgespalten. Und wenn Russland das Gleiche mache, rege sich der Westen im Brustton moralischer Überlegenheit auf.

Der Krieg in der Ukraine löst in der kollektiven Seele der Serben einen Zwiespalt aus: Einerseits riefen die Fernsehbilder aus der Ukraine – der heulende Fliegeralarm, das Rattern der Flak, die dumpfen Explosionen nach dem Einschlag der Marschflugkörper, die Einschläge in Wohnhäusern, verängstigte Menschen in Metrostationen – wieder das eigene Kriegstrauma hervor, worauf man sich mit dem Leid der Ukrainer identifizierte.

Andererseits können viele Menschen in Serbien die Schadenfreude kaum unterdrücken, wenn Putin es dem Westen zeigt. Denn der Westen hätte den Serben im und nach dem Jugoslawien-Krieg unerhörtes Unrecht angetan. Und letztendlich neigt man dann doch zu Russland, denn Moskau verhindere mit seinem Vetorecht die Aufnahme der Ukraine und „die Russen haben uns nie bombardiert“. Ein Schönheitsfehler ist, dass Putin nun mit der Bombardierung der Ukraine genau dies antut, aber was soll’s.

Serbien und die serbische Entität Republika Srpska in Bosnien sind ein russisches Standbein auf dem Westbalkan, was in der nun euphorisch polarisierten Welt noch mehr zum Ausdruck kommt. Als Putin 2014 Belgrad besuchte, schmiss man ihm zu Ehren eine Militärparade. Hunderttausend Serben kamen in die Hauptstadt, um ihm zuzujubeln.