Die linke und …

Die SPD steckt tief im Chaos – unangenehme Personaldebatten, unsicherer Ausgang beim Mitgliederentscheid. Nun soll Fraktionschefin Andrea Nahles versuchen, den Laden zusammenzuhalten. Aber kann sie das überhaupt?

Hat sooo eine große Aufgabe vor sich: Andrea Nahles muss ihre Partei auf Linie bringen Foto: Axel Schmidt/reuters

Von Ulrich Schulte

Die Jecken in Düsseldorf sehen keine glänzende Zukunft für Andrea Nahles und ihre SPD. Beim Rosenmontagszug in Düsseldorf rollte ein Mottowagen durch die Straßen, darauf eine siegesgewiss grinsende Nahles aus Pappmaché, die ihre Fäuste in Boxhandschuhen in die Luft reckt. „Genossen“, steht in weißen Buchstaben auf der Figur, „das ENDE ist NAHles.“

Ein schnelles Ende ist für Nahles tatsächlich nicht mehr ausgeschlossen. Zwar könnte sie am Dienstag vom SPD-Präsidium als kommissarische Parteivorsitzende bestätigt werden. Zudem mehren sich in der SPD-Spitze Rufe nach Geschlossenheit. „Alle Disziplinlosigkeiten – egal von wem – müssen aufhören“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner. „Es geht jetzt nicht um Einzelinteressen, sondern um die Inhalte, die wir in Verhandlungen mit der Union durchgesetzt haben.“

Aber solche Appelle sind auch aus der Verzweiflung geboren. Seit der gescheiterte Martin Schulz die 47-jährige Fraktionsvorsitzende am vergangenen Mittwoch zur designierten Parteichefin ausrief, ist die SPD-Spitze geradezu implodiert. Erst die interne Rebellion gegen Schulz’Wunsch, Außenminister zu werden. Dann der widerwärtige Angriff von Sigmar Gabriel auf Schulz. Und zuletzt, am Freitag, Schulz’überstürzter Abschied von seinen Ambitionen aufs Außenamt.

Nahles steht inmitten rauchender Trümmer. Sie muss die geschockte Partei beruhigen und den Mitgliederentscheid zur Großen Koalition zu einem gütlichen Ende bringen. Sie muss sich überlegen, was sie mit ihrem Intimfeind Sigmar Gabriel macht. Und sie muss vergessen machen, dass sie selbst an der Anbahnung der Katastrophe nicht ganz unschuldig war. Denn auch Nahles hat im SPD-Chaos Fehler gemacht. Eine aus dem SPD-Vorstand sagt: „Andrea hat als kommende Chefin ein denkbar schlechtes Entrée hingelegt.“

Eigentlich schien ja alles bestens für sie zu laufen. Die Frau an der Spitze der Fraktion hielt Schulz seit Längerem für ungeeignet, um den Vorsitz auszufüllen, scheute aber vor einer offenen Konfrontation zurück. Jahrelang hing ihr nach, dass sie 2005 den damaligen Parteichef Franz Müntefering stürzte. Nach dem Wahldesaster im September, als sich die SPD auf die Opposition freute, gehörte Nahles zu denen, die eine Entscheidung über Schulz verschoben – wissend, dass ihr ein schwacher Übergangschef nur nutzen konnte. Nahles, jung, Frau und Symbol für Erneuerung, wäre in der Opposition die Zukunft gewesen, Schulz die Vergangenheit.

Weg

Andrea Nahles, geboren 1970 als Tochter eines Maurers und einer Finanzangestellten, trat 1988 in die SPD ein. 1995 wurde sie Juso-Chefin. 2009 stieg sie zur SPD-Generalsekretärin auf. Als Arbeitsministerin im Kabinett Merkel III (2013–2018) setzte sie unter anderem den Mindestlohn durch. Nach der Wahl 2017 wurde sie zur Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt.

Risiken

Das Postengerangel im möglichen Kabinett Merkel IV bringt Nahles Kritik aus der eigenen Partei ein. Sie versprach Martin Schulz das Außenministerium. Sein plötzlicher Rückzug schwächt die Partei – und Nahles selbst. Ab dem 20. Februar werden die SPD-Mitglieder über eine Große Koalition abstimmen. Eine Ablehnung könnte das Ende von Nahles als SPD-Chefin einläuten.

Nächste Schritte

Heute könnte das SPD-Präsidium Andrea Nahles zur kommissarischen Chefin ernennen. (taz)

Als Schulz sie nach dem SPD-Parteitag im Januar auf den Parteivorsitz ansprach, trafen seine wachsenden Zweifel an seinem Rückhalt in der Partei auf ihre Ambitionen. Schulz stand nach diversen erratischen Wendungen unter Druck, Spitzengenossen versuchten ihn dazu zu bewegen, Vorsitz und Ministeramt zu trennen. Sonst, so das Argument, werde es schwierig mit dem Basisentscheid.

Nahles hatte sich bis dahin stets loyal verhalten, den Vorsitzenden sogar mit einer starken Parteitagsrede herausgepaukt. Die beiden verabredeten einen Deal, der beiden nutzte – und in den nur „ein sehr kleiner Kreis“ eingeweiht war, wie es in der SPD-Führung heißt. Auch der Hamburger Olaf Scholz wusste Bescheid. Scholz, ein Verbündeter von Nahles, wird in der SPD als Vizekanzler und Finanzminister gehandelt. Man verabredete ein goldenes Exit-Ticket: Der angeschlagene Schulz sollte seinen Traumjob bekommen, den des Außenministers, und im Gegenzug den Parteivorsitz an Nahles übergeben. Das Problem: Vereinbarungen wie diese sind an der SPD-Basis als Kungelei in Hinterzimmern verschrien – und bestens geeignet, um das tiefe Misstrauen in die Führung zu verstärken. Nahles hatte offenbar nicht den Mut, Schulz ins Gesicht zu sagen, dass seine Zeit vorbei sei. Und sie witterte die Chance, ihren Intimfeind, den geschäftsführenden Außenminister Sigmar Gabriel, aufs Abstellgleis zu schicken. Denn der wäre durch Schulz’Zugriff arbeitslos geworden.

Erst Mitte vergangener Woche, kurz vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen, wurde der Nahles/Schulz-Deal in der SPD-Spitze bekannt. Kritiker warnten intern vor der Wirkung – vergeblich. Am Mittwoch wurde die News an die Medien durchgestochen. Das Unheil nahm seinen Lauf. Über Nahles Beweggründe kursieren in der SPD mehrere Theorien – und keine ist schmeichelhaft. Ließ sie Schulz bewusst ins Messer laufen? Das gilt als unwahrscheinlich. Denn die Eskalation, die folgte, beschädigt ja die ganze SPD-Führung und gefährdet den Ausgang des Mitgliedervotums.

Wahrscheinlicher ist, dass Nahles einfach unterschätzte, welche Irritationen eine solche Verabredung verursachen würde. Dabei betonte die SPD-Spitze nach außen stets, es komme auf Inhalte an – über Posten werde ganz zum Schluss geredet. „Das Ganze belegt die Sprachlosigkeit, die zwischen wichtigen Leuten herrscht“, sagt ein gut vernetzter SPD-Stratege. Nahles Entscheidung, sagt eine andere, stehe für eine machttechnokratische Sicht auf Politik, die nicht mehr zeitgemäß sei.

Die Ereignisse der vergangenen Tage lassen Nahles beschädigt zurück. Auch ihre Idee, Gabriel aus dem Weg zu räumen, könnte noch scheitern. „Widerwärtig“, „unglaublich“, „unentschuldbar“ – mit solchen Formulierungen machen sich Genossen im Moment Luft, wenn sie über den ehemaligen Parteichef sprechen. Gabriel hatte am Donnerstag seine fünfjährige Tochter vorgeschoben, um einen Schlag gegen Schulz zu landen, „den Mann mit den Haaren im Gesicht“. Gabriel, gekränkt durch den faktischen Rausschmiss, wusste da noch nicht, dass Schulz einen Tag später hinwerfen würde.

Wenig später wird er den Eklat sehr bedauert haben. Schließlich minimierte er mit dem Tabubruch seine Chancen, im Amt zu bleiben. Prompt ließ Gabriel am Wochenende über Vertraute streuen, er bereue es, seine Tochter ins Spiel gebracht zu haben. Für Nahles bedeuten seine Ambitionen ein neues Problem. Sie hegt eine tiefe Abneigung gegen Gabriel, als Generalsekretärin litt sie jahrelang unter seinen Launen und Demütigungen. Nahles’Idee, ihn über Schulz auszubremsen, ist nun gescheitert.

Hinter den Kulissen kämpft Gabriel um sein Amt. Johannes Kahrs, Anführer des Seeheimer Kreises, unterstützt ihn, doch ansonsten sind Gabriels Truppen in der SPD überschaubar – zu volatil war sein jahrelanger Zickzackkurs, zu demütigend sein Führungsstil. Für Nahles bleibt der in der Bevölkerung beliebte Nochminister aber ein Risiko. Ein Heiko Maas hat nicht die außenpolitische Expertise Gabriels, ein Niels Annen nicht die politische Gewichtsklasse.

Entscheidend wird für Nahles aber das Mitgliedervotum sein. Stegner sagt: „Über das Personaltableau der SPD für die Ministerämter sollten wir erst nach dem Mitgliedervotum entscheiden.“ Aber falls die Mehrheit der 463.000 Mitglieder gegen die Große Koalition stimmen, wäre Nahles desavouiert. Fragt man Sozialdemokraten, ob Nahles dann schon wieder weg wäre, bekommt man oft dieselbe Antwort: Schweigen.