Parlamentswahl in Spanien: Im Zeichen von Überdruss und Brexit
Die zweite Wahl binnen sechs Monaten: Viele Spanier sind wütend, weil wieder keine stabilen Verhältnisse in Sicht sind.
MADRID dpa | Charo fuchtelt empört mit den Armen. „Das kostet ein Vermögen“, schimpft die Rentnerin aus dem Madrider Stadtteil Chamberí, während ihr Ehemann Tomás zustimmend nickt. Sie können – wie so viele in Spanien – einfach nicht verstehen, wozu die erneute Parlamentswahl gut sein soll. Es würden dabei ohnehin ähnlich unklare Mehrheitsverhältnisse herauskommen wie beim ersten Urnengang am 20. Dezember.
Das sagen alle Umfragen voraus. „Alle unsere Verwandte, Freunde, Nachbarn, sie werden ihre Stimme nicht plötzlich einer anderen Partei geben, nur weil die Parteiführer es sich leicht machen wollen“, sagt das Rentnerpaar, das auf dem Chamberí-Platz auf den Beginn der Nachmittagsmesse wartet, unisono.
Radikaler als Charo und Tomás, die brav ihre Stimme abgegeben haben, reagierten Chema (22) und seine sieben Freunde, die sich einige Straßen weiter auf dem Olavide-Platz bei 32 Grad im Schatten eine „Caña“, ein Bierchen genehmigen. Sie wählen diesmal nicht.
„Ich habe letztes Mal für (die Linkspartei) Podemos gestimmt, bin aber enttäuscht, dass sich in den vergangenen Monaten auch Linke und Sozialisten nicht einigen konnten, um die Konservativen von der Macht zu verdrängen. Alle Politiker sind gleich“, klagt Chema. Der Student gründete mit Kommilitonen die private Gruppe „Tomar Si, Votar No“ (Trinken ja, Wählen nein).
„Alle an der Uni schnauben vor Wut, aber nicht alle haben mitgemacht“, erzählt er. Wie viele kehren den Urnen den Rücken? Im Vergleich zum 20. Dezember fiel die bis 14.00 Uhr (MESZ) registrierte Wahlbeteiligung trotz des harten Wahlkampfes von 36,91 auf 36,87 Prozent. Viele fühlen sich wie Chema von den Politikern auf den Arm genommen, haben aber gewählt, weil sie nach der Abstimmung der Briten für einen Austritt aus der EU noch mehr Angst vor der Zukunft haben.
Sind dritte Wahlen möglich?
Die Zeitung „El Mundo“ hatte schon vor Öffnung der Wahllokale auf Seite eins geschrieben: „Der Überdruss der Bürger, die Drohung der Unregierbarkeit und der Schock des Brexits prägen die zweite Wahl innerhalb von sechs Monaten.“ „Das sind die Wahlen des Überdrusses“, konstatiert – wie so viele Medien – „El Periódico de Extremadura“.
„Wir spüren heute die Erschöpfung derjenigen, die gezwungen werden, nach einem unendlich langen Wahlkampf, der das ganze Elend der Politik an die Oberfläche getrieben hat, erneut ihre Stimme abzugeben“, klagte der angesehene Geschichtswissenschaftler und Soziologe Santos Juliá im Renommierblatt „El País“.
Klarere Mehrheitsverhältnisse und Koalitionsabkommen waren am Sonntag in Spanien nicht in Sicht. Sind dritte Wahlen denn möglich?, fragen sich viele dieser Tage in der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Iñigo Errejón (32), die junge Nummer zwei des Linksbündnisses UnidosPodemos hinter dem Spitzenkandidaten Pablo Iglesias (37), sprach im Interview von „El País“ das aus, was viele denken: „Noch denkt der Wähler an die Zukunft, aber dritte Wahlen, ja, das wäre ein Desaster.“
Leser*innenkommentare
Arne Babenhauserheide
Es ging auch ein Argument unter Spaniern, dass die letzten 6 Monate eigentlich ganz gut waren: Viele korrupte Politiker wurden erwischt, es gab keinen Sozialkahlschlag und auch keine schlechten neuen Gesetze. Natürlich auch keine guten, aber bei dem, was in Spanien z.B. beim Urheberrecht in den letzten Jahren passiert ist, ist ein Stop immer neuer schlechter Gesetze kein so schlechtes Fazit von 6 Monaten…
Bei TTIP/TISA/CETA würde ich mir auch mal einfach einen Stopp wünschen: Macht doch einfach mal ein paar Jahre lang keinen Mist, damit wir uns darauf konzentrieren können, die Probleme vor unserer Haustür zu lösen.
Andreas Zwirlein
Liebe taz-Redaktion, ihr habt eine sehr komische Sicht auf die Dinge. Kein einziges Wort über die katastrophalen Verhältnisse in Spanien, also beispielsweise Jugendarbeitslosigkeit 50% usw usf die dass kollektive Versagen der Politik sichtbar machen. Konzentriert euch lieber darauf anstatt von einer Erschöpfung zu fantasieren, weil die Leute ein zweites Mal wählen gehen.
LittleRedRooster
Wie bitte? Was?:
"(...) die Erschöpfung derjenigen, die gezwungen werden, ...(...)..., erneut ihre Stimme abzugeben..."
Das Wahlrecht als erschöpfende Zwangsbürde? Tonnenschwere Stimmzettel in Spanien?
Oh, heilige St. Dekadentia steh ihm bei, dem Santos Julia !