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Kolumne „Neue Ideen, neue Allianzen“ Die Standortfrage

Was ist „unser“ Standort in der neuen Realität? Erst einmal ist es der Westen und insbesondere Deutschland. Die Standortfrage wird tatsächlich nur mit einer guten Prise Patriotismus zu lösen sein, schreibt Maja Göpel in ihrer Kolumne.

Millionen Pakete aus China werden durch den deutschen Zoll gequetscht Foto: Daniel Reinhardt/dpa

taz FUTURZWEI | Wie kommen wir denn nun raus aus diesen ganzen Krisen? Die Diversität der Antworten war wohl selten so breit gespannt wie heute. Und prompt ertönt aus nicht wenigen Ecken der Transformationsrenitenz, wir gingen jetzt besser mal zurück zur Normalität vor den Krisen. Oder lieber gleich zu der Variante der 90er-Jahre. Also raus aus der Krise durch rigiden Rückwärtsgang? Das wird leider nichts. Denn die Welt hat sich schlicht weiterentwickelt. Und damit auch die Frage nach unserem Standort in eben dieser neuen Realität.

Mit „unserem“ ist nun erst einmal der Westen und insbesondere Deutschland gemeint. Also die Nationen und Konzerne, die nach dem Fall der Mauer und mit dem Aufbau globaler Institutionen ihre Version einer kapitalistischen Marktwirtschaft zum Standard erhoben und verallgemeinert haben. Das hat vielen Menschen sehr viel materiellen Wohlstand beschert. Insbesondere auch an den Standorten, an denen die Regeln des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation ersonnen wurden. Heute aber kehrt die Globalisierungslogik als Bumerang in den Westen zurück.

Ambitioniertere Standortstrateg anstatt kleinteiliger Einzelsymptombekämpfung

Heute fluten subventionierte Produkte aus China die westlichen Märkte und machen lokale Anbieter kaputt. Das kannten wir bisher nur andersherum, seien es die hohen Exportsubventionen der EU für Agrarprodukte oder die Haufen billiger Kleider, die sich als „Spenden“ an Stränden Afrikas stapeln und in Dörfern brennen. Dort wird wohl auch das landen, was die chinesischen Onlinehändler Shein und Temu in Millionen Paketen durch den deutschen Zoll quetschen, der ob der schieren Menge den Anspruch auf Qualitäts- oder Sicherheitskontrollen aufgegeben hat.

Die deutsche Zwischennutzung auf dem Weg zum Müllberg zerstört dennoch die Absatzchancen von Anbietern mit höheren Produktstandards und Preisen. Das werden auch die Strompreise nicht richten und wer diese Produkte kaufen soll, wenn die Löhne nicht steigen dürfen, wird auch nicht beantwortet. Anstatt kleinteiliger Einzelsymptombekämpfung braucht es also eine etwas ambitioniertere Standortstrategie und das Zusammenwirken von Maßnahmen. Und in dieser Strategie darf nicht vergessen werden, dass „die Wirtschaft“ immer noch eine Kooperationsform von Gesellschaften ist und nicht von den Lebenserfahrungen der Menschen dort zu trennen.

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Das lässt sich in den USA beobachten, deren Wirtschaft und Jobmarkt brummen, wo eine Menge Leute aber trotzdem wütig und unzufrieden sind. Gefangen im Verdrängungskampf zwischen Demokraten und Republikanern ist die bisherige Weltmacht so gespalten, dass sie politisch kaum mehr handlungsfähig ist, zumindest nicht zuverlässig. Die seit Langem aufgebaute Rekordverschuldung deutet darauf hin, wie wichtig das Gelddrucken für noch mehr Produktion und Konsum inzwischen ist, um die Nation zusammenzuhalten.

Nationale Selbstüberschätzungen

Dabei hilft natürlich, dass die USA den Standortvorteil der globalen Reservewährung genießt und auch die machtvollsten Finanz-, Technologie- und Rüstungskonzerne sich dort noch heimatlich verpflichten. Diese treiben heute die „Öffnung“ der Märkte voran und werden trotz Rekordgewinnen mit geringen politischen Auflagen oder Subventionen gelockt, insbesondere wenn es um die Technologien der digitalen und elektrifizierten Zukunft geht. In den USA wiederum wird die Standortsicherung durch mehr Zölle, lokale Produktionsauflagen, nachgelagerte Steuergutschriften und Einfuhrverbote betrieben.

Und der europäische Standort? Verzettelt sich in nationalen Selbstüberschätzungen. Deutschland first in den Subventionen und Beihilfen und das German Vote für Partikularinteressen gegen bereits abgestimmte Politik. Diese Partikularinteressen werden noch von Dexit-Fantasien der Rechtsaußen übertönt. Nur sind europäische Nationalismen sehr klein verglichen mit Flächenstaaten wie China, Russland, die USA oder auch Brasilien, Indien, Indonesien und Südafrika im Konzert der African Union. Bei Großbritannien gibt es noch das Commonwealth.

Über die Hälfte der deutschen Exporte gehen ins europäische Ausland. Auch die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Freiheitsenergien, wegweisender Wissenschaft und Forschung, gut gebildeten und kooperativen Menschen, mit Innovationskapital und Zukunftstechnologien, sauberem Wasser und gesundem Lebensraum, kulturellem Reichtum und Kreativität, all das wird durch ein Zurückdrehen ins Nationale und vermeintlich Normale nicht wachsen. Auch die Verteidigungssicherheit wird nicht besser durch 27 Einzelstrategien, dafür werden die Ausgaben zur Aufrüstung als Konkurrenz zur sozialen Absicherung der Bevölkerung verhandelt. Nullsummenspiel. Statt, dass durch eine vergemeinschaftete Strategie die Gesamtkosten für Verteidigung geringer werden und das soziale in der Marktwirtschaft geschützt werden kann.

Digitalisierung als Brandbeschleuniger

Um aus den vielen Krisen rauszukommen, müssen wir die Standortfrage aus der Zukunft denken. Raus aus dem Normalismus-Tunnel, durch den nur eine Zukunftsvision als möglich erscheint: alles wie bisher, nur noch doller und schneller, sei es arbeiten und produzieren, shoppen, chatten und selbstoptimieren, dann natürlich wieder investieren und – wenn möglich – Renditen kassieren. Die Digitalisierung wird dabei zum Brandbeschleuniger. Und doch wird Deutschland damit weder das chinesische noch das US-amerikanische Standortmodell kopieren können. Wohl aber die gemeinsame Strategie mit den europäischen Nachbarn verlieren. Gewinnen werden dabei immer weniger Personengruppen.

Um aus den vielen Krisen rauszukommen, müssen wir die Standortfrage aus der Zukunft denken.

Die Konzentration der Subventionen auf bereits große Firmen oder Bauern zulasten der vielen kleineren und damit diversen, in ihren Standorten eingebundenen Unternehmen wird weder dem Thema Resilienz gerecht, noch wird erklärt, wie diese Oligopolstrukturen eigentlich zu Wettbewerbsfähigkeit durch Qualität statt Macht führen sollen. Dann ist da die Schere zwischen Finanzkapitalerträgen und Reallöhnen, die einen steigen fröhlich durch die Inflation, die anderen sind durch sie so stark gesunken wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Nicht zu vergessen die Einseitigkeit, mit der Steuererleichterungen für wichtige IT-Berufler erfolgen – ohne Rücksicht auf die kurz mal als systemrelevante Dienstleistungen erkannten Pflege- und Logistikberufe. Der Druck auf Frauen, nun auch alle aus der Teilzeit zu kommen, ohne ernsthaft zu fragen, wo Kinder und Pflegebedürftige versorgt werden sollen und wieso es eine Fortschrittserzählung ist, wenn Familien neben der Fürsorgeleistung und dem Schlafmangel auch noch 40 Stunden in Erwerbsarbeit verbringen dürfen. Daran wird auch eine Leitkultur nichts ändern, in der es zum guten Ton gehört, „auf gepackten Koffern“ zu sitzen.

Das Normale war nicht nachhaltig

Wir werden aus den Krisen genau dann rauskommen, wenn statt diverser „anderer“, die sich zu ändern hätten, einmal der Blick klar auf die gesellschaftlichen Ziele gelegt wird, die sich der Standort Deutschland, die Europäische Union und auch die Weltgemeinschaft noch 2015 gesetzt haben. Die globalen Nachhaltigkeitsziele sind der bisher weitgehendste Versuch, soziale, ökologische und ökonomische Faktoren so zusammenzudenken, dass Lösungen entstehen, die weniger gegeneinander ausspielen und die allen Bürger:innen auf dem Planeten ähnliche Lebenschancen einräumen sollen. Der Auftrag an reiche Länder wie Deutschland war klipp und klar formuliert: Das Normale war nicht nachhaltig. Daraus folgt die Agenda einer sozialökologischen Transformation.

Diese Ziele sind heute nicht weniger durchdacht, nur weil Krisen den Weg dorthin weniger planbar machen. Genau betrachtet, hängen die Krisen genau damit zusammen, dass so lange gewartet wurde, das Erreichen der Ziele auch mal zu priorisieren und eben nicht im Normalismus weiter zu adaptieren.

Eine Politik, die uns dahin führte, würde auch die zunehmende und undefinierte Labelei in links und rechts endlich wieder einnorden. Sowohl die liberale Werteordnung des Grundgesetzes als auch die Nachhaltigkeitsstrategie als übergeordnete politische Richtschnur sind in Situationen entstanden, die von Krisen bestimmt waren: nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem ersten großen Ölpreisschock und der Entdeckung, dass Menschen ohne gesunde Umwelt nicht gut leben können.

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Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

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Gemeinwohl über das Partikularinteresse

Gerade wenn es krisenhaft rüttelt und schüttelt, bietet ein klarer Wertekompass mehr Sicherheit im Wandel als immer wieder implodierende Versprechen an das Wahlklientel, dass alles wieder so werden könnte, wie es bisher war. Natürlich ist es auch menschlich, in besorgniserregenden Zeiten die eigene Situation zu priorisieren. Genau deshalb haben wir in repräsentativen Demokratien Regelwerke, Institutionen und Ämter geschaffen, die das Gemeinwohl über das Partikularinteresse stellen. Gerade in Zeiten der Verunsicherung und des schwindenden Vertrauens in die Führung aus Politik und Wirtschaft, sollten sich eben diese Instanzen mehr denn je daran messen lassen, ob ihre Entscheidungen dabei helfen, diese Ziele zu erreichen. Dabei hilft eine Leitkultur, sich in dieser Darstellung auch an wissenschaftlicher Evidenz zu orientieren.

Umgekehrt ist gerade für privilegierte Personen höchste Zeit, sich selbst die Standortfrage zu stellen und nicht nur auf „die Politik“ zu schimpfen, sondern als Unternehmensentscheider oder vermögende Person den ehrbaren Kaufmann und die Citoyen wiederzuentdecken: Nichts hat das Vertrauen in „die Elite“ so geschwächt, wie das Muster, die Verluste zu sozialisieren (Kurzarbeit und andere Bazookas) und die dann nachfolgenden Gewinne wieder zu privatisieren. Nichts wirkt aktuell schaler als eine erzürnte Debatte über arbeitsunwillige Bürgergeldempfänger:innen, die den Staat 10 bis 20 Millionen kosten, wenn pro Jahr 100 Milliarden an Steuern von denen hinterzogen werden, die wirklich genug haben.

Und so wird die Standortfrage tatsächlich nur mit einer guten Prise Patriotismus und konservativen Werten zu lösen sein. Ludwig Erhard hat die Ethik dahinter in seiner Regierungserklärung als Bundeskanzler 1963 auf den Punkt gebracht: „Es würde einen gewaltigen Fortschritt in den öffentlichen Dingen unseres Staates bedeuten, wenn die große Macht und der Sachverstand der Interessengruppen und die Fülle der Talente auch für die allgemeinen Aufgaben des Gemeinwesens zur Verfügung stünden.“

■ MAJA GÖPEL ist Ökonomin, Bestsellerautorin und Gründerin des Science-Society-Netzwerks Mission Wertvoll. Ihr Kolumne „Neue Ideen, neue Allianzen“ erscheint regelmäßig im Magazin taz FUTURZWEI. Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe N°29.