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Innerer Rechtsruck bei Linken? Frau Doktor, habe ich Rechtsruck?

Unser Kolumnist Arno Frank, 51 und Biodeutscher, war immer ordentlich links. Aber nun spürt er einen Drall nach rechts in sich.

Von ARNO FRANK

Ah, die Couch ist aber gemütlich. Da mache ich es mir doch gleich mal bequem, Frau Doktor. Wie es bei mir losging? Woran ich es bemerkte? Schwer zu sagen. Vielleicht sollte ich mich vorstellen, ganz knapp, zwecks Bestimmung der »Sprechposition«, wie man heute sagt.

Ich bin ein 51 Jahre alter »Biodeutscher«, wie man heute ebenfalls sagt, in vergleichsweise freier Beschäftigung, aber es läuft. Noch! Freie Beschäftigungen laufen immer noch, bis sie nicht mehr laufen. Politisch? Links, immer. Ganz früher, auf dem Gymnasium, habe ich zu Distinktionszwecken Marx studiert, Bakunin gelesen und Gedichte von Brecht auswendig gelernt. Habe dann doch nur SPD gewählt, als es dazu keine linkere Alternative gab. Als es die linkere Alternative dann gab, war sie mir zu dogmatisch vernebelt. Bisweilen habe ich, trotz meiner Abneigung gegen bürgerliche Parteien, auch mal grün gewählt.

Deshalb hat es mich auch so irritiert, als ich da diesen Drall in mir verspürte. Gibt es so etwas wie einen schleichenden Ruck?

Ich weiß noch, wie ich einmal in der taz die Ansicht publizierte, man dürfe einen Taxifahrer durchaus nach seiner Herkunft fragen, es komme auf den »Kontext« an und habe etwas mit »Kommunikation« zu tun. Daraufhin bezeichnete mich nicht irgendeine anonyme Arschgeige, sondern ein Referent der Heinrich-Böll-Stiftung öffentlich als rassistischen »Hund«, der sein »Revier markiert«. Ich fand den Ton ein wenig drastisch, bis ich belehrt wurde, dass Den-Ton-ein-wenig-drastisch-finden neuerdings als ungehöriges »Tone Policing« bezeichnet wird.

Ja, damit ging es wohl los. Argumente verlieren ihre Bedeutung, Kontext verdampft. Kommunikation findet nicht statt. Mich störte weder die plumpe Beleidigung noch der Umstand, dass sie von links kam. Mich wunderte und wundert bis heute, dass ich nicht einmal eines Besseren belehrt werden sollte. Weshalb ich Taxifahrer noch immer nach ihrer Herkunft frage, wenn es mich interessiert und der Kontext passt. Da findet dann Kommunikation statt.

Ich möchte überzeugt werden!

Damals wurde mir immerhin klar, dass ich offenbar den Anschluss an eine progressive Phalanx verloren hatte, der ich mich bis dahin noch unbekümmert zugerechnet hatte. Fürderhin rechnete ich mich ihr nur noch bekümmert zu, sozusagen unter Vorbehalt. Als Wähler, Bürger, Publizist, meinetwegen Alman oder »irgendso’n Typ« stehe ich voll und ganz hinter so gut wie jedem linken Projekt, das man sich nur vorstellen kann.

Der Vorbehalt besteht darin, dass ich ganz gerne überzeugt werden möchte. Ich finde, dass ich darauf einen Anspruch habe. Vielleicht ist das auch schon der ganze »Rechtsruck«, den ich in mir verspüre.

Er betrifft vor allem drei Punkte. Erstens bin ich nicht überzeugt davon, dass das Geschlecht ein rein soziales Konstrukt ist, sage ich als Vater. Zweitens bin ich nicht überzeugt, dass die Welt gerechter wird, wenn die deutsche Grammatik einem freihändigen Umbau durch Leute unterzogen wird, die von Grammatik keinen Schimmer haben; sage ich als Professioneller, an dessen Werkzeugkasten da herumgefummelt wird. Drittens bin ich nicht davon überzeugt, der Staat dürfe über Herkunft und Identität von Zugewanderten ruhig weniger wissen, als er über mich als Bürger und Steuerzahler weiß, sage ich gerechtigkeitshalber.

Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung sind herzlich eingeladen, mich einen transphoben, reaktionären oder fremdenfeindlichen »Hund« zu nennen; jeder, wie er mag. Ich weise das als »übergriffige Fremdzuschreibung«, wie man heute sagt, mühelos zurück. In diesen drei Punkten schwanke ich, das ist alles. »I am not convinced!«, wie ein deutscher Außenminister mal sagte, und ich füge ausdrücklich hinzu: »Convince me! Please!« Wenn es sich einrichten lässt, dann bitte nicht mit Stanzen und anglizistischen Neologismen. Unter Beschuss mit Ideologie kippe ich nicht notwendigerweise in die richtige Richtung – übrigens auch nicht unbedingt in die falsche. Ich schwanke einfach weiter, wenn’s gestattet ist. Stört ja keinen, außer mich selbst.

Wie meinen, Frau Doktor? Mein innerer Rechtsruck ist eigentlich ein Realitätsruck? Hm, klingt gut. Schade nur, dass ich leider auch von der Psychoanalyse nicht überzeugt bin.

taz FUTURZWEI N°23 „Die Zukunft von gestern“

Dieser Beitrag ist im Dezember 2022 in taz FUTURZWEI N°23 erschienen.