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Frauen, Männer, Waffen – und Kultur Wehrpflicht – aber anders?

Viele denken zurecht mit Grausen an ihren Wehrdienst zurück. Kann die Wiedereinführung der Wehrpflicht dazu beitragen, die Bundeswehr verteidigungsfähig zu machen? Für taz-FUTURZEI-Kolumnist Udo Knapp ginge das nur mit einem Kulturwechsel.

Jetzt bitte mal alle stramm stehen und grimmig gucken Foto: Kay Nietfeld/dpa

taz FUTURZWEI | Verantwortung und Bereitschaft, für die Bundesrepublik im Notfall auch mit der Bundeswehr einzutreten, hat im politischen Bewusstsein von den hier zitierten Bundestagsabgeordneten von FDP und Grünen offenbar keinen festen Platz:

„Wir werden keinem Modell für eine neue Wehrpflicht zustimmen, das junge Leute zwangsverpflichtet. Die Bedrohungslage ist zwar gestiegen, aber lange nicht so groß, dass wir allen jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens in Freiheit nehmen müssen.“

Alexander Müller, MdB, FDP, in der FAS

„Wenn Putin wirklich Nato-Gebiete angreifen würde und die Amerikaner schnell ins Baltikum verlegt werden müssten, dann müssten die Soldaten in Deutschland sicher parken, schlafen, essen. Das ist eine riesige Logistik-Aufgabe, die mit militärischer Infrastruktur kaum zu bewältigen wäre. Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, das ist nicht nur Flecktarn.“

Sara Nanni, MdB, B'90/Grüne, in der FAS

Woran ihnen gelegen ist: Alle individuellen Freiheiten für unsere Jungen zu sichern und den Schutz ihrer Freiheit dem Kämpfen und Sterben von US-Soldaten zu überlassen.

Mit dieser Position sind Alexander Müller und Sara Nanni nicht allein, auch ihre Regierungsfraktionen von FDP und Grünen lehnen die Wehrpflicht ab. Das gilt auch für Bundeskanzler Scholz, der damit im Widerspruch zu seinem SPD-Verteidigungsminister Pistorius steht. Der jüngste Parteitag der Oppositionspartei CDU hat dagegen mit großer Mehrheit für die Aufhebung der Aussetzung der Wehrpflicht gestimmt, die sie selbst 2011 in der Regierung beschlossen hatte.

Verteidigungsbereite Bundeswehr dauert Jahre

Sie kann, so ist die Beschlusslage, im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ wieder eingeführt werden. Aus technischen und logistischen Gründen würde es Jahre brauchen, bis die Wiedereinführung dazu beitragen könnte, eine verteidigungsbereite Bundeswehr aufzubauen. Dazu kommt, dass ungeklärt ist, wo in den öffentlichen Haushalten dafür Mittel an anderer Stelle eingespart werden könnten.

Jenseits dieser politischen Probleme ist es vielleicht zunächst mal wichtig, innezuhalten und sich zu erinnern. Viele meiner Freunde denken mit Grausen an ihren Wehrdienst. Das fing schon mit der Musterung an, bei der 18-Jährige vor den Musterungsoffizieren die Unterhosen runter lassen mussten. Das ging weiter mit der Schleiferei, dem Mobbing und den Demütigungen durch machtbesoffene Unteroffiziere. Die hatten es besonders auf die Abiturienten abgesehen. Vom sinnlosen Exerzieren, den Gewaltmärschen und dem Herumhängen und Saufen ganz abgesehen.

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taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken

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Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?

Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.

U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.

Sicher: Eine Armee ohne Gehorsam, ohne die Bereitschaft, Befehlen ohne Debatten zu folgen, kann nicht funktionieren. Ob dazu Kadavergehorsam gebraucht wird, ist eine andere Frage.

Restbestände der Wehrmacht

Es gibt seit dem 1. Oktober 1956 die Akademie für die Innere Führung der Bundeswehr. In ihr sollten die Offiziere, in Abkehr von den Gepflogenheiten der Wehrmacht, dazu erzogen werden, Soldaten als Staatsbürger in Uniform zu behandeln. Das hat aber für alle Jahrgänge meiner Alterskohorte an ihrem Albtraum vom sinnlos verbrachten Lebensjahr wenig geändert hat.

Diese Sicht auf die Bundeswehr jener Jahre ist nachvollziehbar, waren doch die Kader der neuen Bundeswehr zunächst die Kader der alten Wehrmacht. Wer konnte es meinen Freunden verübeln, wenn sie glaubten in ihnen die nie für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogenen Nazis wieder zu erkennen? Das Beschweigen der Verbrechen der Wehrmacht im II. Weltkrieg wurde erst gebrochen durch die beiden Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung; 1995 mit dem Titel „Vernichtungskrieg“ und 2001 mit dem Titel „Verbrechen der Wehrmacht“.

Es verwundert auch nicht, dass in diesen Alterskohorten die Kultur eines wohltrainierten Beschisses bei den Versuchen, als Wehrdienstverweigerer anerkannt zu werden, auch zum Eintrainieren ihrer Distanz zu staatlichen Institutionen entscheidend beigetragen hat. Und dann gab es ja noch den Fluchtweg vor der Bundeswehr nach Berlin. Dort gab es keine Wehrpflicht, stattdessen ein Leben unter Gleichgesinnten, Systemkritikern, Aussteigern und Lebenskünstlern.

Bundeswehr nie ernst genommen

Die Bundeswehr war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr als die Demonstration der Bereitschaft der Bundesrepublik, sich fest im Westen zu verorten. Als eine zum Kampf im westlichen Bündnis wirklich gebrauchte Armee, wurde sie nie ernst genommen.

Dennoch war die Bundeswehr von den 1950er Jahren an im Widerstand gegen die Wiederbewaffnung, im Antiamerikanismus der Linken, in der Friedensbewegung und in der Appeasement-Politik gegenüber Russland immer umstritten, selbst im Kalten Krieg. Dass es einen Zusammenhang von Freiheit und der Pflicht gibt, diese Freiheit gegebenenfalls auch gegen einen militärischen Angriff verteidigen zu können, das wurde in diesen Jahren kulturell als ewig gestrige Zumutung codiert und zurückgewiesen.

Nun aber ist der Krieg als Mittel der Politik zurück und damit in allen westlichen Demokratien als existenzbedrohende Zumutung. Der Vernichtungskrieg Putins gegen die Ukraine, der Krieg des Iran, der Hamas, Huthi und Hisbollah gegen Israel, die Drohungen Chinas, Taiwan militärisch zu erobern, das alles sind reale Bedrohungen des freiheitlichen Westens. Sie erfordern Verteidigungskraft. Dazu gehört auch die Stärkung der Bundeswehr.

Kultur der Wehrpflicht

Deshalb sollte nun ernsthaft diskutiert werden, ob und wie die Aufhebung der Aussetzung der Wehrpflicht dazu beitragen kann. Allerdings in einer überarbeiteten Form, die den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 40 Jahre Rechnung trägt. Roderich Kiesewetter, Verteidigungspolitiker der CDU, sagt: „Das geht nur mit einem gesamtgesellschaftlichen Dienst, einem verpflichtenden Dienstjahr für Frauen und Männer, das sowohl eine zivile Reserve für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz im Blick hat, als auch die Bereitschaft zur militärischen Verteidigung unter Lebensgefahr.“

Ein solcher Dienst an der Gesellschaft erfordert deutlich mehr als martialische Reden. Er braucht für die Wehrpflichtigen Strukturen, die die militärischen Notwendigkeiten von Befehl und Gehorsam erfüllen, sie aber im Sinne des Soldaten als Staatsbürger in Uniform vom Makel der bloß verlorenen Lebenszeit befreien. Es braucht außerdem soldatisches Knowhow, dass die Wehrpflichtigen tatsächlich befähigt, innerhalb kurzer Zeit einen komplexen Job gut auszuüben.

Und es braucht eine Kultur der Wehrpflicht, die ins Erwachsenwerden als Selbstverständlichkeit und als Chance eingefügt wird, die eigenen Lebenswege in der Gesellschaft zu präzisieren. Israel ist dafür ein Beispiel. Die Reservepflichten für Frauen und Männer sind Grundlage für das Überleben Israels.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.