piwik no script img

Der Fehler des Kampfmodus Wer kämpft, hat schon verloren

Unser Leben mitsamt all seinen Widerständen scheinen wir vor allem im Kampfmodus bewältigen zu wollen – gegen den Tod, gegen das Virus, gegen rechts, gegen Männer. Das macht keinen Spaß und bringt nichts nach vorn.

Von HEIKE-MELBA FENDEL

»Gehofft, gekämpft und doch verloren«, heißt es in Traueranzeigen. Der Spruch ist so beliebt wie deprimierend. So deprimierend wie der Tod eines nahestehenden Menschen, der lange krank war, nun einmal ist. Wie der Kranke selbst, hofften die seinen, dass er nicht sterben, sein Kampf nicht vergebens sein würde. Stirbt er, so hat er den Kampf verloren. Gegen die Krankheit und damit gegen den Tod. Und mit ihm haben alle Hoffenden und Kämpfenden verloren. Und der Tod hat einmal mehr gewonnen: gegen das Leben und damit gegen uns alle. Zu oft will man das genau so sehen, in agnostischen Zeiten allemal.

Auch was die letzten Dinge betrifft, befinden wir uns also im Kampfmodus: Gegen das Falsche und für das Richtige oder was wir dafür halten. Der Tod ist falsch, so er nicht hochbetagte oder schwer leidende Menschen betrifft. Da lassen Begriffe wie Gnade und Erlösung, als zulässige religiöse Anleihen, den Kampfgeist pausieren. Doch die nächste tödliche Gefahr kommt bestimmt. Wieder ziehen wir in den Kampf gegen das Unausweichliche. Die moderne Medizin steuert ihr Waffenarsenal bei. Schicksal war gestern. Oder eben doch nicht: Auch wem die moderne Reproduktionsmedizin das Wunschkind beschert hat, wem neue Brüste, Pos oder Lippen verpasst wurden oder wer mittels HIV-Therapie Aids in Schach zu halten vermag, wird früher oder später sterben.

Unser Kampf gegen den Tod zielt mitten ins Ungewisse seiner Verortung. Weil wir ihm erst ins Auge sehen können, wenn es zu spät ist, rufen wir den Schatten, den er auf unser Heute wirft, zum Gegner aus. Einen Kampf gegen Windmühlen, der uns wie Don Quichotte zum Narren macht, führen auch wir gegen die »windmills of our mind«.

Das Schicksal, der miese Verräter

Lachend sagen wir, dass wir die An- und Überforderungen des Lebens »sportlich«, also nicht so recht ernst nehmen. Wobei doch kaum etwas so ernst genommen wird wie der Sport und der Kampf, der ihm eingeschrieben ist. Den wir längst in alle Lebensbereiche übertragen haben. Vielleicht puffern im Sport die viel beschworene Fairness und das festgefügte Regelwerk den Vernichtungswillen der Wettkämpfenden und ihrer Fans. Und doch ist ihnen die Willkür einer gänzlich fiktiven, per Marketing etablierten und aufgebauschten Gegnerschaft zur zweiten Natur geworden: Wer nicht zu uns und unserem Team gehört, ist Gegner. Allen Fairness-Gesten zum Trotz ist der Vernichtungswille immens, bleibt etwas von der Kriegslogik haften, die weniger nach Gewinnern und Verlierern, sondern, erniedrigungsaffiner, nach Siegern und Besiegten sortiert.

Wo kein Team oder Gegner, wenden wir uns der Autoaggression zu – siehe der vielzitierte innere Schweinehund, den es zu besiegen gilt. Von dort ist es begrifflich nicht weit zum Krebs als Arschloch und dem Schicksal als miesem Verräter. Oder, um im sportlichen Duktus zu bleiben: vom Kranken und Sterbenden als schlechten, weil endgültigen Verlierer. Der Tod jedoch gewinnt nicht und besiegt niemanden. Er tritt ein. Er ist der Fall. – Sorry Elon.

Das hat er mit Corona gemeinsam. 2020 war das Jahr des Kampfes gegen Covid-19. Das Virus hat uns, wenn schon nicht besiegt, so doch in die Knie gezwungen. Und, in schönster vorauseilender Siegermentalität schon einmal seine Regeln aufgezwungen: Ausgangssperre, Kontaktsperre, Alkoholverbot – ein auf Kriegszeiten verweisender Ausnahmezustand lässt nur einen Schluss zu: Corona ist der Gegner, der Feind, den es zu besiegen, ja, auszurotten gilt. Mittels der erwähnten Maßnahmen oder einem wirksamen Impfstoff oder wackerem Ignorieren.

Sehnsucht nach Kontrolle

Allein: Kann jemand, etwas, unser Gegner sein, für den wir, mitsamt unserem brachialen Kampfgeist, gar keiner sind? Ein Wirtsorganismus wie wir, ist kein Gegner. Er ist Brutstätte und Heimstatt für Viren, wie der Kaschmirpullover es für Kleidermotten ist. Zudem sind wir dem Virus egal, wo hingegen das Virus uns, in perfekter Asymmetrie, als Einzelne wie als nationales und internationales Schicksalskollektiv in Atem hält. Das Schicksal kennt, wie das Virus, keine Gegner, nur ihm Ausgelieferte. Und vielleicht wollen wir uns eben deshalb vom Konzept Schicksal abwenden, weil wir so vehement sein genaues Gegenteil suchen: Kontrolle. Nun gibt es von Rosa von Praunheims Vintage-Erkenntnis »Ein Virus kennt keine Moral« über Christian Drostens: »Dies Virus lässt nicht mit sich verhandeln« bis Angela Merkels »Das Virus bestraft Halbherzigkeit« viele Erkenntnisse über den Charakter des Virus, dem alles Menschliche fremd ist. Dennoch glauben wir durch Gehorsam (seine, ihn eindämmenden, Bedingungen akzeptieren) wie Gegenwehr (mit »Hochdruck« Impfstoff entwickeln) den Kampf gegen diesen Gegner, für den wir keiner sind, zu gewinnen. Und dann ist es irgendwann gut, mindestens vorbei.

Bis dahin bespielen wir Nebenkriegsschauplätze: Corona-Leugner gegen … ja, was eigentlich, Corona-Gläubige? Covidioten gegen Covigentzia? Egal, Hauptsache, man kann einer als irrational erfahrenen Pandemie mit einem Kampf irgendwer-gegen-irgendwen begegnen. Einem Kampf, der, wie eigentlich jeder Kampf, sich selbst und den eigenen Modus meint. Vielleicht ist etwa schnödes zu Hause bleiben nicht zwingend ein kämpferischer Akt. Vielleicht ist auch das, was die Mediziner gerade tun, nicht kämpfen, sondern, genauso schlicht: forschen. Und vielleicht muss und kann dieses Virus, wie manche vor und viele nach ihm, gar nicht bekämpft und besiegt, sondern schlicht ausgetrickst oder gar ausgehalten werden. Der Kampfmodus, mit dem wir Covid-19 begegnen, ist am Ende nicht mehr als ein Ausrufezeichen hinter die eigene Hilflosigkeit. Eines, das sie bestärkt, nicht auflöst.

Natürlich muss man gegen den Satz, demzufolge das Private politisch ist, allein deswegen kämpfen, weil er so oll ist. Weil kämpfen und Kampfgeist doch jung ist, siehe Fridays for Future – wenn da die jungen Aufwiegler nicht so krass gegen die alten Kompromissler gekämpft hätten, dann wehe Klimakrise? usw. Vielleicht – und ja, all diese Vielleichts sind sicher Ausdruck eines Kampfes gegen Gewissheiten – vielleicht also ist es egal, dass die FFF-Bewegung jung ist und sich kämpferisch geriert, wie es rückblickend auch egal war, dass die Anfänge der grünen Bewegung zum Beispiel, von keinesfalls jungen oder linken Männern wie Baldur Springmann und Herbert Gruhl durchsetzt war. Weil Zeiten und Menschen bisweilen reif sind für Aufbruch und Veränderung. Und gute Argumente auf fruchtbare Bereitschaft fallen können. Auf eine durch endlos heiße Sommer, zu warme Winter und traurige Eisbären präparierte Bereitschaft zum Beispiel.

Die Ausweitung des Kampfmodus ins Private

Dialog wird möglich, wenn und weil man ihn eröffnet.

Und der Kampf gegen das Gebot der Stunde verliert sich in Rückzugsgefechten jener wenigen, die sich an Greta Thunberg abarbeiten müssen, weil sie den Schuss nicht gehört haben, der in die eigene Hose gegangen ist. Die Rechten also und das Unrechte, das sie verbreiten, also alles, was sie sagen. Weswegen man nicht mit ihnen reden darf, ihnen zuhören auch nicht und auch all jene bekämpfen muss, die das womöglich tun. Weil, klar: keinen Millimeter nach rechts. Kurze Frage: rechts von wo? Rechts von der Biomülltonne, dem Seeheimer Kreis oder dem rechten Weg, den all jene beschreiten, die mit dem Lineal der mit Löffeln gefressenen Weisheit die Millimeter abmessen. Ganz Twitter lässt sich so als Millimeterpapier begreifen, auf dem der Eiertanz um das gerade noch Erlaubte echt keinen guten Groove hat.

Wie auch immer es um die Kongruenz von Privatem und Politischem bestellt sein mag, die Ausweitung des Kampfmodus ins Private ist längst vollzogen – Frauen inbegriffen und nicht selten vorneweg. Vielleicht – und das mag hier das größte Vielleicht von allen sein – weil es vor allem Hilflosigkeit ist, die den Kampf eröffnet und plausibilisiert, kämpft das vormals schwach konnotierte Geschlecht womöglich um im Grunde alles: Darum, im Geschäft ihren Mann stehen zu müssen – trotz, wegen oder gegen Quote. Und ansonsten Löwenmutter sein zu können – das Kind wird nicht in irgendeiner Kita angemeldet, es wird um den richtigen Kitaplatz gekämpft! Und Liebende wie Geliebte sein zu können, wird zum Kampf darum, aus Verliebtheit feministisch wie emotional korrekte Sicherheit zu schmieden. Der Gegner der Frauen bleibt derselbe: Die Unmöglichkeit kämpfend ihr, ja, Glück zu machen. Die Frauen, und nicht nur sie, kämpfen immer verbissener um ein Glück, das jemals zu erlangen, eben dieser Kampf ihnen verunmöglicht. Für das Glück – wie für die Liebe – lässt sich ebenso wenig kämpfen wie gegen den Tod. Dinge ereilen uns – ob Glücksfall oder Schicksalsschlag. Und es ist an uns, mit dem Leben und miteinander zu verhandeln, wie wir das gestalten wollen und können. Gestalten ist das Gegenteil von Kämpfen. Weil es ein Miteinander sucht und findet und so Auftrieb verschafft und Aufbruch ermöglicht. Der Kampf führt hingegen zu einer Bruchlandung ins Ich. Beide, Gewinner und Verlierer, tragen schwer am Gerät ihres jeweiligen Irrtums. Dem Irrtum, das Verlieren ein bisschen wie Sterben ist und jeder Sieg ein kleines Stück Unsterblichkeit verschafft.

HEIKE-MELBA FENDEL ist Künstleragentin und Autorin.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°15 erschienen.