„human error“-Ausstellung in Bremen: Der Frankenstein-Trick

Louisa Clement stellt ihre mit KI gefütterten Roboterselbstbildnisse in Bremen Paula Modersohn-Becker gegenüber. Ist das feministische Kritik?

Eine Puppe, der Künstlerin Louisa Clement nachempfunden, mit langen, welligen und braunen Haaren

Spricht gegenüber von Paula Modersohn-Beckers Selbstbildnissen über Sex und Eis: die Repräsentantin Foto: Louisa Clement

Es ist keine Überraschung, dass es hier spuken soll. Die windschiefen Gässchen, ziellosen Treppen und zwielichtigen Innenhöfe der Bremer Böttcherstraße sind ein andersweltlicher Raum: die Backstein gewordene Idee von „völkischem Expressionismus“. Man rechnet also schon mit Gespenstern und zuckt trotzdem zusammen, als der tote Körper im Paula Modersohn-Becker Museum tatsächlich zu sprechen beginnt.

Die Frau im Kleinen Schwarzen ist ein Roboter, eine „Repräsentantin“ der Bonner Künstlerin Louisa Clement, die hier gerade die Sonderausstellung „human error“ bestreitet. Ähnlich sehen sie einander – die 36-jährige Künstlerin und ihre Puppe – bei diesem Repräsentieren geht es aber um etwas anderes. Die künstliche Clement spricht im Namen der echten, und beantwortet schamlos auch persönliche Fragen vom Lieblingsessen, bis zu Freun­d:in­nen und Sexualität.

Die Maschine wird mit der Zeit besser darin, Informationen zu verknüpfen, und lernt dazu, wie das Leben so funktioniert. Vielleicht. Louisa Clement greift nicht mehr ein, sondern lässt den Dingen ihren Lauf. „Ich habe einen Teil der Kon­trol­le abgegeben“, sagt sie. Das heißt auch, zu ertragen, dass Museumsbesucher ein intimes Gespräch mit ihr imaginieren können und dabei auch echte private Informationen abrufen.

Ein Creep findet sich immer

„human error. louisa clement“: Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen. Bis 21. Januar 2024. Katalog: 28 Euro.

Warum das allerdings überhaupt jemand tun sollte, lässt die Arbeit unterbelichtet. Es braucht ja wen, der im Museum eine Gummifrau im knappen Kleid anquatscht, um sie hochnotpeinlich nach Louisa Clement auszufragen. Vielleicht ist die Botschaft: Wer Informationen ins Netz stellt, muss damit rechnen, dass sich irgendwann ein Creep findet, der sie auflesen kommt. Ob es für diese Erkenntnis Clements Exhibitionismusmaschine gebraucht hätte, sei mal dahin gestellt.

Louisa Clement arbeitet seit etwa zwei Jahren zu künstlicher Intelligenz und kommt damit im deutschen Ausstellungswesen gerade gut an. Die Repräsentantin entspringt zwar nicht dem allerjüngsten KI-Hype – vielmehr wirkt sie in ihrer perfekten Künstlichkeit wie aus einem Sci-Fi-Film der 1980er, sie trifft aber einen Nerv der Zeit. Im Bremer Paula-Modersohn-Becker Museum stehen Clements Arbeiten neben dem Werk der 1907 jung gestorbenen Namensgeberin des Hauses: mitten in Moderne und frühem Expressionismus.

Die Reibungsfläche ist gewollt. Häufig lädt Direktor Frank Schmidt Künst­le­r:in­nen ein, sich mit der Sammlung des Hauses auseinanderzusetzen. In Clements Fall wird freundliche Distanz geübt. Wie eine Besucherin sitzt die Repräsentantin zwischen den Gemälden. Und im Gespräch wirkt der Roboter auch nicht interessiert an Paula Becker, Worpswede, der Avantgarde und so weiter.

Was beide Künstlerinnen aber teilen, ist die Erfahrung von Entäußerung: Clement mit ihrem Informationspaket und Paula Modersohn-Becker in mehr als 60 Selbstporträts, die damals Grenzen überschritten. Bis heute aufrüttelnd ist etwa ihr berühmter Selbstakt zum sechsten Hochzeitstag von 1906, in dem sich die Künstlerin schwanger mit freiem Oberkörper zeigt. Doch Paula Modersohn-Becker war beim Malen genauso wenig schwanger, wie die tatsächliche Louisa Clement jetzt in der Böttcherstraße sitzt.

Hilflose Maschinenmenschen

Ein paar Räume später zeigt ein Video zwei Roboterköpfe, die in nervtötender Monotonie fehlende Internetanbindung beklagen, irgendwo zwischen technischer Fehlermeldung und existenzialistischer Sinnkrise.

Clements Maschinenmenschen sind hilflose und abgeleitete Figuren. Sie stellt sie aus als offline abgenabelt – auf eine diffuse Art, die zwischen einer Lust am Objektstatus dieser Wesen und einer feministischen Kritik changiert. Im Nebenraum liegen die Gussformen auf dem Boden, mit denen (männliche wie weibliche) Sexpuppen in Serie reproduziert werden können.

Wirklich finster ist der letzte Raum, der Detailaufnahmen scheinbarer Misshandlungsspuren an einer Puppe zeigt: blaue Flecken, Hämatome und Schnitte. Das wirkt wie ein inszenierter Schockmoment, doch die Puppe kam so zerschunden von einer Ausstellung zurück, die Verfärbungen stammen von unsachgemäßem Transport. Nur harmlose Erklärungen für offensichtliche Gewaltspuren?

Louisa Clements Schauerästhetik ist zwar schwer zu ertragen, doch wie sie die Puppen ihrem Eigenleben überlässt, eröffnet auch empfindliche Fragen über Gewalt, über den Körper der Frau, über unsere Lust am Exhibitionismus anderer. Man weiß nur nicht, ob diese Fragen nicht eher zufällig entstehen, denn von der Künstlerin gewollt.

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