Zivilgesellschaft in Tunesien: Kompromisslos gegen Kritiker*in­nen

Tunesien lässt vermehrt Kritiker*in­nen verhaften. Vor laufender Kamera hat es nun eine prominente Anwältin getroffen. Proteste sind geplant.

Protestierende stehen mit Schildern in den Händen auf der Treppe vom Justiz Palast in Tunis.

Anwälte tragen Transparente während einer Protestaktion gegen die Verhaftung von Sonia Dahmani Foto: Jihed Abidellaoui/reuters

TUNIS taz | Die Reporterin des Nachrichtensenders France 24 wollte Sonia Dahmani gerade vor die Kamera bitten, als vermummte Polizeibeamte in das „Haus der Anwälte“ stürmten. Mit einem stummen Lächeln ließ sich die prominente Rechtsanwältin und Kommentatorin des politischen Lebens in Tunesien abführen. Wie die zwei zeitgleich mit ihr verhafteten Jour­na­lis­t:in­nen Mourad Zeghidi und Bohren Bsaies sitzt sie nun in Untersuchungshaft.

„Nicht einmal während des Ben-Ali-Regimes haben es Sicherheitskräfte gewagt, in unser Gebäude einzudringen und das Recht so offensichtlich zu brechen“, sagt ein sichtlich geschockter Anwalt der taz wenige Momente nach dem Sturm. Auch der Kameramann von France 24 wurde kurz festgehalten. Als die Beamten die Herausgabe der Speicherkarte seiner Kamera einforderten, wurde ihnen klar, dass die ganze Aktion live übertragen worden war.

Die für regierungskritische Kommentare landesweit bekannte Dahmani hatte mit ihren Anwälten und einigen Ak­ti­vis­t*in­nen zu einem Protest gegen das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft aufgerufen. Ihr droht nun eine mehrjährige Haftstrafe für das Verbreiten von Falschinformationen.

Offensichtlich geht den Anhängern von Präsident Kais Saied mittlerweile selbst vorsichtige Kritik zu weit. Wie viele weibliche Stimmen der tunesischen Zivilgesellschaft fordert Dahmani gesellschaftliche Reformen und ein Ende der Gewalt gegen Mi­gran­t:in­nen und Andersdenkende.

Aufruf zu landesweitem Streik

Die täglich über Libyen und Algerien kommenden Mi­gran­t:­in­nen seien Teil eines Ansiedlungsplans dunkler Mächte, erklärt Präsident Kais Saied. Mit Beginn der verstärkten Kooperation zwischen der EU und Tunesien wurden tausende Mi­gran­t:in­nen und Flüchtlinge verhaftet und an den Landesgrenzen ausgesetzt. Kritik an dieser Praxis und der Verhaftung von mehr als 60 Politiker*innen, Jour­na­lis­t*in­nen und Saied-Gegner*innen wagten bisher nur wenige.

Die Verhaftung vor laufender Kamera könnte dies nun ändern. Der Verband der Rechtsanwälte rief am Sonntag zu einem landesweiten Streik auf. Verschiedene der zuletzt inaktiven Menschenrechtsorganisationen planen für diese Woche Protestaktionen.

Die Justiz gibt sich derweil kompromisslos. Die Jour­na­lis­t*in­nen Bsaies und Zeghidi bleiben in Haft, wurde am Montag entschieden. Zeghidi hatte auf sozialen Medien seinen Kollegen Mohammed Boughalleb verteidigt, der wegen „Diffamierung eines Offiziellen“ zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war.

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