Wandern und Weingenuss in Österreich: Wien und Wein, das muss sein

In diesen Tagen findet der Wiener Weinwandertag statt. Unsere Autorin hat vorab die schönsten Strecken und besten Heurigen besucht.

Ein Mann trägt ein Tablett mit zwei vollen Weingläsern

Einer der bekanntesten Heurigen Wiens: das Mayer am Pfarrplatz Foto: Florentina Olareanu/NYT/Redux/laif

Tram 38, sagt das Navi, Haltestelle „An den langen Lüssen“. Die Häuser werden flacher, die Straßen grüner. Wer sich mit mittelalterlicher Geschichte auskennt (oder die Fahrzeit zur raschen Online-Recherche nutzt), weiß, dass Lüssen eine alte Bezeichnung für Parzellen von Ackerflächen oder Weingärten ist.

Der Name der Haltestelle kommt nicht von ungefähr: Hier draußen, „an den langen Lüssen“, am nördlichen Stadtrand, beginnen die Wiener Weinberge.

Schon die Römer, die auf dem heutigen Stadtgebiet das Militärlager Vindobona unterhielten, pflanzten an den umliegenden Hängen Weinreben an. Vermutlich geht die Tradition noch weiter zurück, zu den Kelten, die das Gebiet im 5. Jahrhundert vor Christus besiedelten. Fest steht: Wien und Wein sind seit jeher eng verbandelt.

Auf über sieben Quadratkilometern wird in der Stadt Wein angebaut. Rund 400 Weinbaubetriebe gibt es, die jedes Jahr an die 20.000 Hektoliter keltern. Wien – so der stolze Claim auf der Webseite des Tourismusbüros – sei weltweit die einzige Metropole, die innerhalb der Stadtgrenzen nennenswerten Weinbau betreibt.

Vor allem seit viele vormals eigenständige Vororte (samt ihrer Weinhänge) im 19. und 20. Jahrhundert eingemeindet wurden.

Auch Peter Alexander besang den Wein

„An den langen Lüssen“ wirkt Wien bis heute wie ein Dorf. Nach wenigen Gehminuten sieht man hinter einem verlassenen Friedhof die ersten Reben. Die dahinterliegende Straße führt sachte den Hang hinauf. Wer hier wohnt, schaut beim Kochen auf die gegenüberliegenden Weinhänge. Ein paar hundert Meter weiter kann man den daraus gekelterten Wein probieren. Denn dort, am Ende der Sackgasse, liegt der Heurige des Weinbaubetriebs Zawodsky.

Der Heurige ist nicht nur der junge Wein des „heurigen“ Jahrgangs (die Saison beginnt alljährlich am 11. November, in Österreich Martini genannt, wenn der aktuelle Jahrgang getauft wird). Als Heuriger bezeichnet man auch all jene Lokale, in denen Heuriger – und sonstige lokale Weine – ausgeschenkt werden.

Der Begriff ist nicht geschützt, doch ein echter Heuriger würde es niemals wagen, etwas anderes als den eigenproduzierten Wein zu verkaufen.

Wien ohne seine Heurigen – undenkbar. „I muss wieder a mal in Grinzing sein / Beim Wein, beim Wein, beim Wein / Da sieht man ja grad in Himmel nein“, sang der in Wien geborene Peter Alexander. Vor allem Grinzing im Norden ist für seine Heurigen bekannt. Es gibt sie aber auch in Mauer ganz im Westen, in Oberlaa im Süden, in den Bezirken jenseits der Donau und in der Innenstadt. Rund 100 gibt es in der ganzen Stadt.

Den Grundstein für die Heurigen-Tradition legte im Jahr 1784 niemand Geringeres als der Kaiser: Damals wurde Wein vorwiegend von Klöstern und Stiften verkauft. Kaiser Joseph II. wollte dem kirchlichen Weinmonopol ein Ende bereiten und erlaubte den Weinbauern, ihre Erzeugnisse fortan selbst zu verkaufen.

Das taten sie, meist unter freiem Himmel: Ein paar Holztische in den Weinreben, das Essen wurde selbst mitgebracht. Geöffnet war, wenn die Weinbauern einen Zweig Tannenreisig ans Eingangstor gesteckt hatten. Heute werden Ausg’steckt-Daten („ausg’steckt“ = geöffnet) auf Facebook und Instagram geteilt, der Brauch des Zweiges aber hat sich gehalten.

Manche Heurigen haben ganzjährig geöffnet. Am bekanntesten sind eben jene in Grinzing. Bei schönem Wetter sitzt man draußen in grün bewachsenen Innenhöfen, bei schlechtem in Gaststuben, in denen – bis auf ein paar Zugeständnisse an die moderne, vegan essende Kundschaft – die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zu den ältesten zählt der „Feuerwehr Wagner“: Seit mehr als 330 Jahren existiert das Weingut der Familie Wagner. Keine zehn Minuten Fußweg entfernt liegt Mayer am Pfarrplatz, auch dies ein Traditionsbetrieb, 150 Meter weiter der „Muth“ mit seinen riesigen alten Bäumen. Wohin man auch geht, eines ist sicher: Zum nächsten Wein ist es niemals weit.

Neben den ganzjährig geöffneten Weinstuben gibt es auch solche wie den Heurigen Zawodsky, der nur zu bestimmten Zeiten ausg’steckt hat. Zadowsky ist kein urig-rustikaler Heuriger wie jene in Grinzing, eher ein zweckmäßiger Bau. Doch der Blick schweift beim Besuch ohnehin schnell weiter – über die umliegenden Hänge, die Stadt, die einem hier oben zu Füßen liegt und weiter hinaus über die Donau bis zur slowakischen Grenze.

Im weitläufigen Garten stehen Holztische unter Walnussbäumen oder versteckt hinter Weinreben. Kinder rennen umher, ein Paar spielt Schach, am Nachbartisch wird gesungen, die Gläser klirren und der Himmel färbt sich rosa.

An schönen Abenden wie diesem wird gegrillt. Wie funktioniert das hier mit dem Essen? Und wo bekomme ich mein Achterl Wein? Das Ehepaar am Nachbartisch hilft weiter: „Suchen Sie sich a Platzerl. Die jungen Burschen bringen dann was vom Grill oder vom kalten Buffet.“

Gemischter Satz

Das befindet sich unten im Keller: Sauer Eingelegtes, Strudel, Wurst und Käse gibt es dort. Bezahlt wird nach Gewicht. Das Achterl Wein gibt’s für unschlagbar günstige 2,60 Euro. Gestartet wird natürlich mit dem Gemischten Satz: Ein Wein mit langer Tradition, von den Wienern hoch geschätzt und mittlerweile auch geschützt.

Aus mindestens drei, manchmal bis zu zwanzig unterschiedlichen Rebsorten besteht ein Gemischter Satz. Im Gegensatz zum Cuvée treffen die Rebsorten schon im Weingarten aufeinander: Sie wachsen gemeinsam und werden anschließend gemeinsam gepresst.

Der Gemischte Satz ist hervorragend. Langsam bricht die Nacht herein. Es zirpt und singt, die ersten Sterne tauchen auf. Der Plan, noch weiterzuziehen, vielleicht zum Feuerwehr Wagner nach Grinzing zu wandern, rückt in weite Ferne. Nach dem dritten Glas beschließen wir, einfach hier zu versacken.

Am nächsten Tag ist der Himmel blau und der Wein verdaut. Wir wollen zum Nussberg wandern, wo viele andere Weingüter ihre Pop-up-Heurigen aufgebaut haben. Die alte Tradition gibt es noch immer: Bei schönem Wetter werden Tische zwischen die Reben gestellt, Wein und kalte Jausenplatten angeboten.

Wer will, kann rund zehn Kilometer von Neustift am Walde im Nordwesten Richtung Donau nach Nussdorf wandern. Der Weg führt mitten durch die Weinberge hindurch, vorbei an zahlreichen Heurigen und Aussichtspunkten wie beispielsweise dem „Himmel“, von dem aus der Fernblick wahrlich himmlisch ist.

Pinot Noir Vienna

Auf halber Strecke hat der Feuerwehr Wagner seine Außenstelle aufgebaut. Die Frau, die wir unterwegs getroffen haben, empfiehlt, noch ein Stück weiter zum Monte Nucum zu laufen. Etwas voreingenommen ist sie, denn ihre Tochter arbeitet dort. Das Argument – „Ist viel ruhiger, ein Ort, wo nur echte Wiener hingehen“ – überzeugt jedoch.

Die Wanderung von Neustift nach Nussdorf ist eine von vier Routen, die am alljährlichen „Wiener Weinwandertag“ (dieses Jahr am 23. und 24. September) erkundet werden können.

Wenn nicht die Frau wäre, die sich uns angeschlossen hat – wir wären wahrscheinlich gleich an der ersten Weinschänke eingekehrt, so verlockend ist der Anblick der freudig zusammensitzenden Menschen und der Ausblick auf die umliegende Stadt.

Doch das Durchhalten lohnt sich, denn der Monte Nucum ist wirklich besonders entzückend und der Blick besonders fern. Wir bestellen Gemischten Satz (natürlich) und Pinot Noir („Den gibt es hier in Wien?“ – „Ja, die Trauben wachsen direkt neben euch.“) und versinken in tiefster Weinseligkeit.

Als wir aufbrechen, ist es fast dunkel. Es geht bergab, einfach durch die Weinberge hindurch, wo noch ein paar kuschelnde Paare auf ihren Picknickdecken sitzen. Die Tram bringt uns in kaum fünfzehn Minuten zurück in die Stadt.

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