Vor den Wahlen in der Türkei: Es geht um Erdoğans Macht

Die Türkei wählt am Sonntag ihr Parlament und ihren Präsidenten. Aber sind die Wahlen fair? Und was hat es mit der Stichwahl auf sich? Ein kurzes Q&A.

Ein Banner mit dem Portrait Erdogans vor dem Fenster eines Wohnhauses

Das Gesicht von Präsident Erdogan ist in diesem Wahlkampf überall zu sehen, hier in Bursa Foto: Murad Sezer/reuters

Was wird gewählt?

Am 14. Mai stehen in der Türkei nicht nur die Präsidentschafts-, sondern auch die Parlamentswahl an. Die Nationalversammlung in Ankara ist seit dem Verfassungsreferendum 2017 zwar geschwächt, dennoch werden auch diese Abstimmungsergebnisse mit Spannung erwartet.

Diese Resultate könnten auch einen Einfluss auf den künftigen Präsidenten haben, wenn es bei der Wahl zum Staatsoberhaupt zu einer zweiten Runde kommen sollte – aber dazu gleich mehr.

Wer tritt bei den Wahlen in der Türkei an?

Insgesamt werden 600 Abgeordnete in die Kammer in Ankara einziehen, 24 Parteien sind für die Wahlen registriert. Nach Angaben der Wahlbehörde YSK nehmen Frauen etwa 25 Prozent der Listenplätze ein.

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Bei den Präsidentschaftswahlen stehen drei Kandidaten zur Abstimmung: Neben Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan von der religiös-konservativen AKP und seinem Hauptkontrahenten Kemal Kılıçdaroğlu von der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP ist das der Nationalist Sinan Oğan. Muharrem İnce, der bei den Wahlen 2018 noch für die CHP als Präsidentschaftskandidat angetreten war und in dieses Mal als Kandidat für seine neue Heimat-Partei ins Rennen ging, gab am Donnerstag überraschend seinen Rückzug bekannt.

Warum ist İnce zurückgetreten?

Der Druck auf Muharrem İnce wird am Ende zu groß gewesen sein. Der Kandidat lag je nach Umfrage zwischen etwa 2 und 5 Prozent, und seine ehemaligen Weg­ge­fähr­t*in­nen von der CHP hatten schon länger versucht, ihn zu bearbeiten, seine Kandidatur zurückzuziehen, um die Abwahl von Erdoğan zu unterstützen. Es ist unklar, ob es jetzt wieder Gespräche im Hintergrund gab und ob die Stimmen, die İnce zugekommen wären, jetzt bei Kılıçdaroğlu landen.

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Wie wird gewählt?

Knapp 61 Millionen türkische Staats­bür­ge­r*in­nen sind am Sonntag aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. In direkter Wahl entscheiden sie über den Staatspräsidenten und die Besetzung der Nationalversammlung. Eine Wahlrechtsreform aus dem März 2022 hat die 10-Prozent-Hürde auf 7 Prozent abgesenkt. So müssen die Kan­di­da­t*in­nen der kurdisch-linken HDP diesmal weniger bangen, um in das Parlament einzuziehen.

Auch einer weiteren Hürde konnten sie sich vorerst entledigen: Die HDP ist mit einem Parteiverbotsverfahren konfrontiert, das kurz vor dem Wahlgang den kurdisch-linken den Einzug in die Nationalversammlung verhageln könnte. Deshalb treten die Kan­di­da­t*in­nen der HDP auf den Listenplätzen der sogenannten Grün-Linken Partei an.

Und was hat es mit dem 2. Wahlgang auf sich?

Der 2. Wahlgang würde nur die Präsidentschaftswahlen betreffen. Erreicht keiner der Präsidentschaftskandidaten am Sonntag mehr als 50 Prozent der Stimmen, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl zwischen dem Erst- und Zweitplatzierten. Hier würde dann eine einfache Mehrheit für den Wahlsieg ausreichen.

Weil weder Erdoğan noch Kılıçdaroğlu mit dem alleinigen Rückhalt ihrer Parteien mehr als 50 Prozent erreichen können, sind beide Kandidaten komplizierte Wahlbündnisse eingegangen. So steht hinter Kılıçdaroğlu ein breites Bündnis aus sechs Parteien und Kurd*innen, sowie linke Kräfte.

Interessanterweise könnte diese Ausgangslage dazu führen, dass sich Erdoğan mit der von ihm durchgesetzten Verfassungsänderung zum Präsidialsystem jetzt selbst schaden könnte: Seine AKP wird Umfragen zufolge wieder als stärkste Kraft ins Parlament einziehen und könnte wohl mit ihrem Koalitionspartner von der nationalistischen MHP wieder eine Regierung bilden.

Doch die Präsidentschaftswahlen machen die Abstimmungen in diesem Jahr richtig spannend, weil Kemal Kılıçdaroğlu durch sein breites Wahlbündnis realistische Chancen hat, Erdoğan als Präsident zu schlagen.

Wie fair werden die Wahlen überhaupt sein?

Das ist die Frage, mit der am Sonntag alle in die Türkei blicken werden. Das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) ist seit dem 7. April mit 28 Langzeit-Wahlbeobachter*innen in der Türkei im Einsatz.

In einem Zwischenbericht von Ende April schreibt die Organisation, dass die Wahlvorbereitungen bislang „weitestgehend innerhalb der gesetzlichen Fristen“ verlaufen seien. Doch das Vertrauen in eine unabhängige Justiz im Land sei teilweise geschwächt und die Arbeit der Wahlbehörden an manchen Stellen intransparent.

Das Erdbeben vom 6. Februar hat demnach die Wahlvorbereitung erschwert, und es sei unklar, wie die Menschen, die wegen der Katastrophe die Region verlassen haben, abstimmen können, wenn sie an ihrem neuen Wohnort nicht im Wäh­le­r*in­nen­ver­zeich­nis stehen.

Drei internationale Institutionen werden am Sonntag in der Türkei die Wahlen beobachten: Neben dem ODIHR, die mit knapp 400 Wahl­be­ob­ach­te­r*in­nen im Land sein wird, eine Parlamentarier*innen-Gruppe der Organisation für Internationale Zusammenarbeit (OSCE PA) und eine Parlamentarier*innen-Gruppe des Europarats (PACE). Beide Parlamentarier*innen-Gruppen stehen in diesem Jahr unter deutscher Leitung, OSCE PA wird von FDP-Politiker Michael Georg Link koordiniert, PACE vom SPDler Frank Schwabe.

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