Spannende Spanienrundfahrt: Tränen zur Motivation

Team Movistar setzt bei der Vuelta dem Titelverteidiger und Tour-Zweiten von 2020 zu. Das liegt vor allem am neu entdeckten Selbstbewusstsein.

Der Mann im goldenen Trikot.

Dreifaltigkeit mit Maske: Vuelta-Leader Roglič ganz rechts Foto: dpa

MADRID taz | Viel Gegenwehr hat Primož Roglič bei dieser Vuelta nicht mehr zu befürchten. Die Dreifachspitze von Team ­Ineos ist zerbrochen. Olympiasieger Richard Carapaz verließ entnervt und erschöpft die Spanienrundfahrt. Co-Kapitän Adam Yates fährt meist hinterher. Nur Giro-Triumphator Egan Bernal zeigt ansteigende Form, war zu großen Angriffen allerdings kaum in der Lage.

Anders ist die Situation beim Team Movistar. Der Traditionsrennstall verlor zwar auch seinen Leitwolf Alejandro Valverde. Der Ex-Weltmeister fiel aber im Offensivmodus aus. Bei einer perfekt lancierten Attacke auf der 7. Etappe fuhr er durch ein Schlagloch. Die Luft war raus. Die Felge des Vorderrads schlitterte über den Asphalt, und der Rennfahrer schoss unter der Absperrung hindurch den Abhang hinunter. Es waren schlimme Bilder. Blutend richtete sich Valverde auf, kam wieder auf die Füße. Er stieg auch aufs Rad, musste aber einsehen, dass es nicht weiterging. Tränen rannen sein kantiges Gesicht herunter – Tränen, die seinen verbliebenen Co-Leadern offenbar neue Motivation verliehen.

Bei der nächsten Gelegenheit, der 9. Etappe, attackierten sowohl der Kolumbianer Miguel Ángel López als auch der Spanier Enric Mas die Führungsgruppe. Den Angriff von Lopez konterte Roglič noch persönlich, schob die Gruppe an den Ausreißer heran. Bei einer Beschleunigung von Mas folgte ebenfalls der bereits ohne Teamkollegen fahrende Slowene dem Angreifer. Jetzt kam niemand mehr mit. Mas und Roglič strebten als gut harmonierendes Duo dem Ziel entgegen. López verlor zwar Zeit auf die beiden, hielt aber den Rest der Konkurrenz in Schach.

Am Samstag setzte der Kolumbianer, „Superman“ genannt wegen seiner mentalen und auch physischen Kraft, erneut ein Zeichen. Drei Kilometer vor dem Ziel schoss er aus dem Favoritenfeld heraus. Bis auf 20 Sekunden betrug sein Vorsprung, bevor Roglič-Helfer Sepp Kuss die Verfolgungsfahrt aufnahm, die der Chef auf den letzten 500 Metern mit einem lang gezogenen Bergsprint beinahe noch erfolgreich beendete. Vier Sekunden Vorsprung rettete Lopez ins Ziel. „Das ist nicht viel“, gestand er ein. „Wichtiger als die Zeit war aber das Gefühl in den Beinen“, betonte er. López spürt: Die Form kommt. Und sie reicht auch aus, um von Roglič wegzukommen. „Jetzt kommen noch einige schöne Tage“, sagte er mit Blick auf die Bergetappen der dritten Vuelta-Woche.

Gut als Team arbeiten

Ähnlich gut gestimmt ist sein Kompagnon Mas. „Wir wissen, wie wir Roglič bezwingen können. Wir müssen nur gut als Team arbeiten“, sagte er. Das klappt bei dieser Vuelta bisher verblüffend gut. Mal attackiert der eine, mal der andere. Als Valverde noch dabei war, erhöhten dessen Tempoverschärfungen die Komplexität der Angriffskomposition. Im Gegensatz zu früheren Jahren, als die diversen Movistar-Kapitäne sich gern gegenseitig aus den Schuhen fuhren, koordinieren Mas und López ihre individuellen Anstrengungen besser. Ihre Angriffe sind Schläge, die Roglič einstecken muss. Sie haben weniger selbstzerstörende Wirkung als früher.

Hinzu kommt gewachsenes Selbstbewusstsein. López, der sich in seiner Jugend selbst von mit Messern bewaffneten Räubern nicht einschüchtern ließ, hat ohnehin sehr viel davon. Mas gewinnt es Tag für Tag. „Ich bin gut aus der Tour de France gekommen, habe mich gut danach erholt“, sagte der Tour-Sechste dieses Jahres. „Was mir in Frankreich aber fehlte, war das Selbstbewusstsein. Das habe ich jetzt“, meinte er. Vor allem der gemeinsame Ritt im Finale der 9. Etappe bestätigte ihm, dass er mit den Besten nicht nur mithalten, sondern eigene Akzente setzen kann.

Damit dringt der gebürtige Mallorquiner endlich in jene Sphären vor, in denen man ihn längst schon wähnte. 2018 war er bereits Vuelta-Zweiter, allerdings bei schwächerer Konkurrenz. Spaniens Alt-Star Alberto Contador benannte Mas sogar als legitimen Nachfolger. Er hatte ihn einige Zeit in seinem eigenen Nachwuchs-Rennstall.

Der hochtalentierte Enric Mas blieb aber noch zu häufig unter den Erwartungen. Er war zwar oft vorn dabei. Fünfte Plätze bei Tour und Vuelta im letzten Jahr sowie Platz 6 in Frankreich in diesem Juli sprechen natürlich für Konstanz auf hohem Niveau. Es fehlte aber der Punch, um den nächsten Schritt ganz nach vorn zu machen. Diesen Punch hat er jetzt. Und gemeinsam mit López könnte er Roglič tatsächlich zermürben.

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