Schwerelosigkeit in Bremer Fallturm: 146 Meter mit weißem Zylinder

Das im Bremer Fallturm erzeugte Vakuum ist besonders gut, sagen Wissenschaftler. Doch auch für eine Kunstaktion eignet er sich.

Gegenstände schweben in einem noch oben offenen Rohr

Schwerelos auf der Erde: Der Bremer Fallturm macht's möglich Illustration: Jeong Hwa Min

Nähert man sich Bremen, sieht man ihn von Weitem: einen dünnen weißen Zylinder, 146 Meter hoch, obenauf ein spitzer Kegel, glänzend wie eine Diskokugel. Ein Minarett? Ein Leuchtturm? Jedenfalls ein Wahrzeichen – der Bremer Fallturm.

Mit ihm im hat die noch recht junge Bremer Uni eine Landmarke gesetzt. Er ermöglicht Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus aller Welt, die Schwerkraft auszublenden – bis zu 9,2 Sekunden lang können kleine Experimentkapseln hier in der Schwerelosigkeit beobachtet werden.

Nun ist jeder geworfene Ball einen Moment lang schwerelos, mit Abstrichen jede Gabel, die irgendwo runterfällt. In Bremen aber gibt es nicht nur länger andauernde Schwerelosigkeit, sondern auch solche für echte Connaisseure: Hier, so wirbt das „Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation“, werde „die beste Qualität an Schwerelosigkeit geboten“, sie sei „teilweise sogar noch besser als auf der internationalen Raumstation“.

Das liegt an dem besonders guten Vakuum, das den freien Fall erst perfekt macht – kein Luftwiderstand hält die stürzenden Experimentkapseln auf. Wenn das Labor leergepumpt ist, befindet sich in dem 1.700-Kubikmeter-Raum noch etwa die Luft, die in einen Ballon passen könnte. Gut genug für die beste Schwerelosigkeit der Erde.

In der Halle am Fuße des Fallturms herrscht Betriebsamkeit: Mechaniker verstöpseln Kabel an einer Experimentkapsel der Wissenschaftlerinnen, die kaum einer so ganz versteht – es geht um Quanten. Die offenen Metallträger, die durch die Halle führen, erinnern an ein Stadion, ein ziemlich kleines. Beherrscht aber wird der Raum von einer Art sehr, sehr großen Wäschetrommel. Wer sie betritt, kommt in ein riesiges Labor. Hier beginnt die eigentliche Fallröhre, hier wird das Vakuum geschaffen.

122 Meter völlig frei nach oben

Gerade stehen hier aber noch ein paar Schü­le­r*in­nen und schauen hoch zum knatschegelben Fallrohr. 3,5 Meter Durchmesser soll das Rohr haben – aber die Breite verliert sich optisch, wenn man hineinschaut in diese Höhe. 122 Meter ragt es nach oben, völlig frei ohne sich je anlehnen zu dürfen an die Betonröhre, die es von außen umgibt: Das Rohr soll keinen Einflüssen der Außenwelt unterliegen. Alles bleibt draußen, wenn draußen Sturm ist, dann knirscht das Gebäude.

Die Besonderheit Nirgendwo auf dem Planeten lässt sich Schwerelosigkeit so formvollendet beobachten. 2018 war hier für zwei Sekunden lang der kälteste Punkt im Universum, als Quantenforscher*innen ganz nebenbei in einem Experiment eine Atomwolke schufen, die nur 38 Billionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt lag.

Die Zielgruppe Alle, die wissen möchten, wie sich eine Flamme in der Schwerelosigkeit verhält, wie Quanten dort springen, wie Impulse weitergegeben werden. Oder auch mal, wie richtig alter Staub dort fällt.

Hindernisse auf dem Weg Das Telefon im Vorraum. Ein alter Apparat, mit Tastatur und davon unabhängigem Hörer, von dort aus kann man den Pförtner anrufen. Einen Grund muss man schon angeben in die Sprechmuschel, sonst kommt keiner, um die Tür aufzuschließen.

Unter den Füßen knirscht es auch, denn überall liegt Styropor. Wo immer man seine Hände ablegt, lässt feiner Staub die Finger weiß und ein bisschen stumpf werden. Mit Styropor wird die Experimentkapsel nach ihrem freien Fall aufgefangen, mit 170 km/h stürzt die Experimentkapsel hinein, die Kügelchen werden dabei hochgeschleudert, zerreiben unter Hitze und Druck und setzen sich überall nieder. Einiges bleibt liegen bis zum nächsten Experiment.

Das beginnt gleich: Ein Achtklässler lenkt eine Experimentkapsel mit einem Hubwagen heran. Einige Mit­schü­le­r*in­nen winken, als die silberne Dose mit einem Seilzug nach oben in die Fallröhre gezogen wird. Man könnte sie auch mit dem Katapult nach oben schießen – die Schwerelosigkeit würde dann schon auf dem Flug nach oben beginnen; aber hier und heute reichen die 4,74 Sekunden des freien Falls völlig aus.

Üblicherweise genutzt wird der Fallturm für die Weltraumforschung. Heute ist in der Kapsel: Staub. Ziemlich alter Staub, um genau zu sein, 500 Jahre alt, so circa. Schü­le­r*in­nen aus zwei Unesco-Projektschulen haben ihn auf dem Speicher des gotischen Bremer Rathauses gesammelt, an einer selten genutzten Wendeltreppe, wo wirklich selten jemand durchfeudelt.

Ganz exakt kommt es nicht an aufs Alter, denn der heutige freie Fall ist eher künstlerischer Art. Wolfgang Stöcker, Leiter des Internationalen Staubinstituts in Köln beziehungsweise eigentlich das Staubinstitut in Person, ist auch da, er hat sich die Aktion ausgedacht.

Alter Staub vor dem Fall

Ganz, ganz oben wartet jetzt der alte Staub auf seinen Fall in die Schwerelosigkeit. Eine Kamera sendet live aus dem Inneren der Kapsel Bilder, wie er dort liegt vor einer kleinen, vielleicht 20 Zentimeter großen Rathausbühne aus Pappe, die die Schü­le­r*in­nen gebastelt haben.

Für die 4,74 Sekunden Schwerelosigkeit müssen 18 Pumpen 90 Minuten lang Luft abpumpen. Die Bremer Schü­le­r*in­nen streiten, wer von ihnen mit dem blauen Knopf im Kontrollraum den Abwurf auslöst. Als es passiert ist, überträgt die Kamera einen kurzen Moment lang, wie der Staubhaufen vor dem Rathaus scheinbar vom Boden abhebt und schwebt. Dann bricht die Verbindung ab.

Endlich jubelt ein Lehrer los – die Schü­le­r*in­nen stimmen ein, und es wird laut im kleinen Kontrollraum.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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