Schreiblust auf dem taz.lab: „Wen interessiert schon die Realität?“

Das Leben schreibt seine Geschichten nicht von selbst. Man muss „die ganze Scheiße alleine machen“, weiß Lea Streisand, Autorin der Lesebühne „Rakete 2000“.

Für Lea Streisand die Erfindung schlechthin: das Telefon – „so richtig Alltag“ Bild: dpa

taz.lab: Frau Streisand, erfinden Sie Ihre Geschichten?

Lea Streisand: Was heißt schon erfinden? Für die Bühne schreibe ich Alltagsbegebenheiten auf. Der Spruch „Geschichten, die das Leben schreibt“ beleidigt mich sehr, weil das Leben keine Geschichten schreibt. Ich muss die ganze Scheiße alleine machen.

Was inspiriert Sie zur Scheiße?

Es passiert viel und man sucht sich eine Sache raus, die man erzählt. Meistens ist die Realität doch keine fertige Geschichte. Also erfindet man etwas dazu. Manchmal die Hälfte, manchmal auch gar nichts. Wie viel, ist egal. Es geht ja darum, dass es so hätte passieren können. Wen interessiert schon die Realität, wenn es um die Wahrheit geht?

Eine Geschichte kann erfunden, aber trotzdem wahr sein?

Genau. Es geht nicht darum, etwas zu beweisen, sondern zu erzählen. Man muss Vertrauen in die Geschichte haben, die man schreibt. Bei wirklich guten Texten passiert mir oft, dass ich Jahre später denke: Krass, das steht da schon drin. Habe ich gar nicht gemerkt. Das ist etwas zwischen festhalten und loslassen. Bei kurzen Texten muss man den Blick dafür haben, wo Schluss ist.

Geboren 1979, lebt, liest und schreibt in Berlin. Sie studierte Neuere Deutsche Literatur und Skandinavistik und ist taz-Autorin.

Auf dem taz.lab wird sie mit „Rakete 2000“ eine musikalische Lesung halten.

Was ist für Sie die beste Erfindung in unserem Zeitalter?

Das Telefon. Nicht nur, weil mein erster Studentenjob im Callcenter war, sondern auch, weil es als Kommunikationsmedium unheimlich spannend ist. Telefon ist so richtig Alltag. Man trägt es mit sich rum; es ist so klein, dass man es nicht weiter beachtet.

Ihre liebste erfundene Geschichte?

Harry Potter natürlich. Weil es Alltag ist, erweitert um witzige Einfälle - wie depressive Geister und mythischen Figuren. Erfindungen, die es vorher gab, aber neu zusammengestellt wurden. Letztlich ist es eine Internatsgeschichte um Liebe, Trauer, Tod, Familie, Verantwortung und Pubertät. Das kennen wir doch alle. Harry Potters Welt ist ein um die Hälfte erweiterter Rahmen für alltägliche, zwischenmenschliche Katastrophen und Geschichten. Ich möchte auch mal den neuen Harry Potter schreiben.

Wie kamen Sie zum Schreiben?

Das wollte ich schon immer. Ich bin ziemlich eitel und eine Rampensau. Deshalb habe ich nie Tagebuch geschrieben. Ich dachte: Wozu die Mühe, wenn das keiner lesen soll? Stattdessen schrieb ich seitenlange Briefe mit Freundinnen, die im Ausland waren. Die habe ich alle aufgehoben.

Und die Lesebühnen …

… habe ich 2003 entdeckt und gedacht: Das will ich auch machen. Den Alltag zu ästhetisieren hat mir sehr gefallen. Aber von dem „Wir machen hier keine Kunst, wir erzählen nur Geschichten“, habe ich mich schon wegentwickelt. Ich hab schon den Anspruch, Kunst zu machen. Aber da komme ich ja auch her.

Wofür sollen Menschen ihren Erfindungsgeist einsetzen - um die Welt zu verbessern oder etwas zu verändern?

Die sollen endlich ein Mittel gegen Aids finden! Aber eigentlich bin ich ja eher eine Freundin des Nachdenkens: Ich denke, die großen Probleme können nicht damit gelöst werden, irgendetwas neu zu machen. Ich wünsche mir, dass man weiter diskutiert, sich mehr miteinander beschäftigt und nicht aufhört, sich zu streiten.

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