Rotes Sparprogramm: Senat spart beim Frauen-Schutz

Ein Wohnprojekt für von Zwangsheirat bedrohte Frauen wird eingestampft. Die Opfer sollen ins Frauenhaus gehen, aber die sind seit Jahren mehr als überbelegt.

Spätestens seit dem Tod von Morsal O. im Jahr 2008 ist Zwangsheirat ein Thema in Hamburg. Bild: dpa

SPD-Sozialsenator Detlef Scheele hat ein wichtiges Projekt von Schwarz-Grün beerdigt. Das geplante Wohnhaus für von Zwangsheirat bedrohte Frauen, für das im Haushalt 200.000 Euro eingeplant sind, soll nicht realisiert werden. 150.000 Euro spart der Senat ein, die restlichen 50.000 sollen den fünf Frauenhäusern zukommen.

„Diese Maßnahme dient dem Schutz der Frauenhäuser“, sagt Scheeles Sprecherin Nicole Serocka. „Wir wollen bestehende Projekte nicht gefährden, indem wir in neue Projekte investieren.“ Die Frauenhäuser habe Scheele trotz Haushaltskonsolidierung „ausdrücklich zum Schonbereich“ erklärt, sagt Serocka. Von Zwangsheirat Bedrohte könnten in eins der Frauenhäuser gehen.

Von den verblieben 50.000 Euro solle nun eine „nachsorgende Betreuung“ eingerichtet werden, für Frauen, die nach dem Frauenhaus wieder allein in einer Wohnung wohnen.

Die frauenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Kersten Artus, nennt die Entscheidung eine Katastrophe. „Wir hätten diese spezielle Einrichtung dringend gebraucht“, sagt sie. „Schwarz-Grün wollte dieses Projekt, weil es großen Bedarf gibt“, sagt GAL-Politikerin Stefanie von Berg. Die Entscheidung sei „fachlich falsch und politisch eine Farce“.

Zwangsheirat ist seit dem Tod der 16-jährigen Morsal O. im März 2008 verstärkt Thema in der Stadt. Das von ihren Bruder ermordete Mädchen war zuvor Opfer einer versuchten Zwangsheirat gewesen und darüber mit ihrer Familie in Streit geraten.

Solche Dramen spielen sich nicht selten in Familien ab. Wie eine Kleine Anfrage der Linksfraktion ergab, hatten die interkulturellen Beratungsstellen Lale und Ibera im Jahr 2010 rund 179 Beratungsfälle, bei denen es um drohende oder bereits vollzogene Zwangsheirat ging. In 14 Fällen suchten Männer Rat, unter anderem waren junge Homosexuelle von Zwangsheirat bedroht. Für junge Mädchen bis zu einem Alter von 21 Jahren gibt es mittlerweile die Einrichtung Zuflucht. Doch die Mehrheit der Betroffenen ist älter.

Die Beratungsstellen bedauern das Aus für das Projekt. „Wir hatten gehofft, die Frauen finden einen Ort, an dem sie anonym leben können“, sagte eine Mitarbeiterin gegenüber NDR 90,3.

Die bestehende Frauenhäuser mit ihren 194 Plätzen gelten zudem seit Jahren als überfüllt. „In solchen Kriseneinrichtungen darf die Belegung nicht über 80 Prozent liegen, damit rund um die Uhr Platz für Notfälle ist“, sagt Kersten Artus. Real seien die Häuser meist zu 100 Prozent belegt. In der Folge müssten Frauen in Fluren auf Matratzen schlafen. Artus: „Hamburg fehlen 42 Frauenhausplätze.“ So empfehle der Europarat, einen Frauenhausplatz pro 7.500 Einwohner zu schaffen, in Hamburg liege der Schlüssel bei eins zu 9.115.

Den Ausbau der Frauenhäuser hatte 2009 auch die SPD-Fraktion gefordert. Misshandelte Frauen müssten in Kellern übernachten, klagte die Abgeordnete Gabi Dobusch und sprach von „inakzeptablen Verhältnissen“. Doch als zwei Jahre später die Linkspartei einen entsprechenden Antrag stellte, lehnte die inzwischen regierende SPD dies ab.

Dennoch hat auch sie sich das Thema auf die Fahnen geschrieben. Die SPD beantragt am Mittwoch einen „Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“, den der Senat bis Mitte 2013 erstellen möge, damit unter anderem Maßnahmen zur Prävention und Reaktion besser verknüpft werden.

In der anschließenden Debatte dürfte es heiß hergehen. Denn anders als im „Landesaktionsplan Opferschutz“ des alten Sentas, in dem es auch um Frauenschutz ging, wird das Wohnprojekt in diesem Antrag nicht erwähnt.

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